Eine Frage von Werten – warum Diversity so viel mehr ist

Autor: Kai Grunwitz, Geschäftsführer der NTT Ltd. in Deutschland

„Wir leben noch lange nicht in einer Welt, wo Chancengleichheit herrscht und Vorurteile keine Rolle mehr spielen.“

Es ist erfreulich zu sehen, wie selbstverständlich Diversity heute für viele Unternehmen ist: Sie reden nicht nur über Vielfalt, sondern handeln danach. Etwa indem Teams bewusst gemischt zusammengesetzt werden, es Deutschkurse oder Sprach-Tandems für ausländische Mitarbeiter gibt, Awareness-Trainings zur aktiven Bekämpfung von Stereotypen angeboten und bestehende Recruiting-Prozesse für mehr Chancengleichheit umgebaut werden.

Natürlich sind diese Maßnahmen nicht immer ganz uneigennützig und zielen vorrangig darauf, gerade durch die Einbindung verschiedenster Perspektiven die Produktivität zu steigern, neue Märkte zu erschließen und damit für Wettbewerbsvorteile zu sorgen. Aber als ebenso wichtig wird es inzwischen angesehen, die Mitarbeiterzufriedenheit zu verbessern und eine moderne, offene Unternehmenskultur zu schaffen.

Für mich greift das Thema Diversity anhand der klassischen Merkmale wie Geschlecht, Alter, Nationalität, ethnische Herkunft oder Religion jedoch etwas zu kurz. Was ist mit dem sozioökonomischen Umfeld, der familiären Situation oder einer psychischen Erkrankung, die auf den ersten Blick nicht sichtbar sind und trotzdem zu einer Chancenungleichheit in der beruflichen Karriere führen können?

Eine gute Orientierungshilfe im Dschungel der Diversity-Diskussion liefert aus meiner Sicht das Modell „Four Layers of Diversity“ der zwei Wissenschaftlerinnen und Autorinnen Lee Gardenswartz und Anita Rowe.

Im Zentrum dieses Modells steht die Persönlichkeit, um die herum drei Dimensionen angeordnet sind. Die innere Dimension beinhaltet Eigenschaften wie Alter, Geschlecht und Hautfarbe, die äußere Dimension Merkmale wie Familienstand oder Bildungsabschluss und die organisationale Dimension schließlich Faktoren, die mit dem jeweiligen Unternehmen in Verbindung stehen, wie die Position in der Firmenhierarchie.

Eine vielfältige Arbeitswelt schließt all diese Ebenen ein – und fängt in der Tat schon bei der Persönlichkeit an. Manche Mitarbeiter sind leistungsorientiert, ihnen machen Überstunden nichts aus. Andere wiederum möchten genügend Zeit für Freunde, Familie oder einfach sich selbst haben. Die einen treibt Sicherheit an, die anderen dagegen Freiheit und der Wunsch, regelmäßig neue Wege zu gehen. Und je nachdem, wie man tickt, möchte man auch arbeiten.

Was heißt das nun für Unternehmen?

Nur mit einem ganzheitlichen Ansatz lässt sich eine offene und wertschätzende Organisationskultur etablieren, die jeden einzelnen Menschen respektiert und ihm eine Chance gibt. Das bedeutet neben all den bekannten Maßnahmen beispielsweise im Recruiting-Bereich, nicht nur nach Experten von einer Elite-Uni zu suchen, sondern auch nach jenen, die sich auf dem zweiten oder dritten Bildungsweg hochgearbeitet und dadurch neue Möglichkeiten geschaffen haben. Es geht darum, die richtige Person für den jeweiligen Job zu finden – und das hat mit dem sozioökonomischen Hintergrund wenig zu tun. Und es geht darum, jedem Mitarbeitenden die gleiche Wertschätzung entgegenzubringen – unabhängig davon, ob sie oder er am Empfang sitzt, in einer Führungsposition arbeitet oder sich im Betriebsrat engagiert.


„Für Unternehmen war und ist die Auseinandersetzung mit Diversity unverzichtbar – sie müssen einen Werte-Kanon schaffen, der jeden einzelnen Mitarbeiter abholt, Brücken zwischen Kulturen und Traditionen baut und Vielfalt mit Freude lebt.“


Gleichzeitig ist die Umsetzung von Diversity-Management wie alle Change-Management-Prozesse nichts, was nach Schema F erledigt werden kann. Es kann dabei durchaus zu Reibungspunkten und spezifischen Herausforderungen kommen, denen sich Unternehmen stellen müssen. Umso wichtiger ist es, dass das Management die verschiedenen Facetten von Diversity vorlebt und die eigenen Entscheidungen immer wieder kritisch hinterfragt. Aber auch die Mitarbeiter müssen in den Prozess eingebunden werden, nur so lassen sich die Zustimmung für die Veränderungen gewährleisten und potentielle Widerstände frühzeitig aus dem Weg räumen. Im Idealfall beginnt diese Einbeziehung bereits bei der Planung, in jedem Falle aber bei der Durchführung und Evaluierung. Um die Einhaltung der Diversity-Ziele überprüfen zu können, ist zudem das Benchmarken der umgesetzten Maßnahmen sehr hilfreich.

Wir leben noch lange nicht in einer Welt, wo Chancengleichheit herrscht und Vorurteile keine Rolle mehr spielen. Es gibt für uns alle viel zu tun. Nichtsdestotrotz sehe ich uns auf einem guten Weg, da allein die konstruktive Auseinandersetzung mit dem Thema und der Vielfalt des Themas neues Denken fördert und unsere Gesellschaft weiterentwickelt. Für Unternehmen war und ist die Auseinandersetzung mit Diversity unverzichtbar – sie müssen einen Werte-Kanon schaffen, der jeden einzelnen Mitarbeiter abholt, Brücken zwischen Kulturen und Traditionen baut und Vielfalt mit Freude lebt. Dabei werden sie feststellen, dass die Palette an Themen viel bunter ist, als sie bisher dachten, und das Erreichen der Unternehmensziele als Nebeneffekt sogar positiv beeinflusst.

Autor Kai Grunwitz

Kai Grunwitz, NTT Ltd. Kai Grunwitz schreibt exklusiv für unsere Leser und Follower. Er ist seit Oktober 2019 Geschäftsführer der NTT – einem weltweit führenden IT-Technologie und Service Provider in Deutschland. In den letzten Jahren verantwortete Kai Grunwitz als Senior Vice President EMEA von NTT Security das Geschäftsfeld Cybersecurity. Nach dem Studium der Betriebswirtschaft ist er nun seit mehr als 25 ..

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