„Disruptieren Sie sich“
Wie kann der Standort Deutschland wieder smart werden? Wir sprachen mit Oliver Bendig, CEO von Matrix42, über die Chancen der Digitalisierung. Nicht rasten, sondern sich kontinuierlich neu erfinden, rät er im Laufe des Gesprächs. Dafür ist insbesondere der Mittelstand in einer hervorragenden Situation sind. Weil Geschwindigkeit in der digitalen Welt ein extrem hohes Gut ist.
Welche Potenziale für den Standort Deutschland stecken in den neuen Technologien im Kontext von Automatisierung, KI und deren Anwendungen sowie Vernetzung?
Insbesondere künstliche Intelligenz und Machine Learning sind nicht nur Buzzwörter, daraus können ganze Geschäftsmodelle entwickelt werden. Deshalb investieren Unternehmen und auch wir kräftig in diesen Bereich. Eine besondere Rolle spielt dabei der digitale Arbeitsplatz, der idealerweise alle möglichen Informationen wann und wo und wie ich sie benötige zur Verfügung stellt und über mich lernt, sich also meinem Nutzerverhalten anpasst. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Kombination von KI und Automation am Arbeitsplatz, der Robotic Process Automation. Wie schaffe ich es, Arbeitsabläufe in Unternehmen soweit zu automatisieren, dass die Maschine in der Lage ist sich selbst immer weiter zu optimieren? Hierzu benötigen wir verschiedene Daten – Nutzungsverhalten, Rollen, Personen, Lokationen, etc. – die wir in einen Kontext bringen, um einen besseren Service bereitzustellen.
Welche Möglichkeiten KI und Machine Learning in diesem Zusammenhang in unserer Welt ermöglichen, verdeutlicht beispielhaft unser Virtual Support Agent. Die Vision dahinter ist, einen virtuellen Buddy im Unternehmen zu haben, der den Mitarbeitern alle möglichen Fragen beantwortet und sie zusätzlich proaktiv bei der Arbeit unterstützt. Er stellt beispielsweise Dokumente zur richtigen Zeit auf dem richtigen Arbeitsgerät bereit, oder findet durch Kalenderabfragen und dem Kontext von E-Mail-Kommunikationen den richtigen Zeitblock für Terminabsprachen.
Problematisch ist allerdings, dass die digitale Transformation in den Unternehmen oft schneller voranschreitet als das dazugehörige notwendige Security-Know-how. Ich kann daher nur mahnen, sich bei der ganzen fortschrittlichen Entwicklung viel mehr Gedanken um Security-Elemente zu machen.
Welche Rolle wird speziell das Quntencomputing in puncto Security spielen?
Durch Quantencomputing werden die Verschlüsselungstechniken, die wir über Jahrzehnte entwickelt haben – von denen wir glaubten, dass sie sicher sein, weil sie so unheimlich komplex sind – der Vergangenheit angehören. Wir selbst sind schon dabei Verschlüsselungstechnologien zu entwickeln, die auch über Quantencomputing abgesichert sind und die sie nicht einfach berechnen lassen und brechen können.
Was wichtig ist, ist Awareness zu schaffen im Unternehmen, das Handlungsbedarf besteht, das man in Security nicht nur technisch investieren muss, sondern auch ins Knowhow der Menschen und Personen – und hier beraten wir sehr stark hin – auch mit unseren Lösungen. Es ist ein Riesenthema. Wenn Computing immer schneller, exponentiell voranschreitet, muss auch Security nachziehen oder besser – voranschreiten.
Droht die zunehmende Automatisierung den Menschen zu ersetzen?
Entscheidend ist, dass es bei unseren Automationslösungen nie darum geht Mitarbeiter abzubauen. Wenn Sie Ihr Geschäft ausbauen, wollen Sie keine Mitarbeiter einsparen, sondern Kosten – ein wichtiger Unterschied. Die Mitarbeiter können im Idealfall woanders eingesetzt werden, wo sie an Innovationen, am Unternehmen der Zukunft arbeiten. Automatisierung soll also nicht bloß dazu dienen, die Lichter am Laufen zu halten, sondern das Geschäft voranbringen. Sie soll Freiräume schaffen, um neue Produkte zu entwickeln oder Kunden neue Leistungen anzubieten.
Wo lagen die Herausforderungen bei der Entwicklung Ihres Virtual Support Agent Marvin?
Zunächst einmal mussten ganz einfach Menschen gefunden werden, die in der Lage waren den Code zu bauen, die also programmieren können und sich mit künstlicher Intelligenz und Machine Learning auskennen.
Damit Marvin als Virtual Support Agent wie gewünscht agieren kann, Sie ihn also als Ihren virtuellen Buddy anchatten können und er bei IT-Problemen hilft, mussten zudem einige technische Herausforderungen gemeistert werden:
Hierzu gehört die Interpretation von Sprache, von der Semantikanalyse bis hin zur Emotionserkennung. Schließlich soll Marvin anders reagieren wenn Sie sauer sind, als wenn Sie freundlich fragen. Als Virtual Support Agent spielt auch der Content, aus dem er lernen und den er zur Verfügung stellen kann, eine ganz zentrale Rolle. Ein konkretes Beispiel: PowerPoint funktioniert nicht mehr. Jetzt kann ich zwar einen einfachen Entscheidungsbaum aufbauen, wie das System auf diese Situation reagieren kann. Wichtiger ist jedoch, dass ich ein System habe, das kontinuierlich dazulernt und so auch bei neuen Probleme helfen kann. Hier haben wir eine Technologie entwickelt, die es ermöglicht aus den Informationen, die wir von den Anwendern bekommen, und aus früheren Anfragen zu lernen. Dabei spielt auch wieder die Interpretation von Sprache eine wichtige Rolle. Schließlich muss das System erkennen, bei welchen unterschiedlichen Anfragen eigentlich das gleiche gemeint ist. Darüber hinaus haben wir eine Fehlererkennung für Marvin entwickelt. Wenn also eine Fehlermeldung aufpoppt, erkennt Marvin schon das Problem, ehe Sie danach fragen. Auch damit muss Marvin natürlich gefüttert werden. Die größte Herausforderung war also definitiv, der KI den grundlegenden Content zur Verfügung zu stellen. Dabei machen wir uns einen Netzwerk-Effekt zu Nutze: Wir haben über 5.000 Kunden und je mehr Kunden, das System nutzen, desto cleverer wird das System. Die einfachste Form der Quelle sind dabei noch Knowledge-Artikel in der Knowledge-Base der Kunden, die Lösungen behandeln. Zusätzlich zapfen wir aber auch Dritt-Systeme an, um das System weiter mit Content zu befüllen.
Was raten Sie speziell kleineren Unternehmen mit bis zu 250 Mitarbeitern im Kontext neuer Technologien, um nicht abgehängt zu werden?
Auch als KMU muss ich im Zuge der Digitalisierung unheimlich schnell reagieren, sonst werde ich disruptiert, überholt, überfahren. Als KMU haben Sie dabei einen riesigen Wettbewerbsvorteil – Sie sind nicht so schwerfällig. Nicht umsonst versuchen Konzerne sich vielfach in kleine Zellen aufzuteilen und Spin-offs zu machen, die sei später wieder integrieren. Sie brauchen die Geschwindigkeit. KMU müssen diesen Vorteil ausspielen. Das heißt auch nicht erst alles bis zum Ende durch zu definieren, sondern, salopp gesprochen, einfach mal los zu legen. Der Build-measure-learn-Denkansatz ist schon lange keine Neuheit mehr, aber einfach mal loszulegen, heißt, auf das Minimum Viable Product, den MVP-Ansatz zu setzen. Ich probiere und ich experimentiere.
Inkrementelle Innovation – kleine Optimierungen in kleinen iterativen Schritten – ist natürlich wichtig. Aber ganz offen: wenn wir heute an den Maschinenbauer, das Industrieunternehmen denken, dann hilft da keine inkrementelle Innovation mehr.
Da geht es um disruptive Innovationen. Deswegen rate ich jedem Unternehmen, lieber sich selbst zu disruptieren, bevor es jemand anderes tut. Hinterfragen Sie, was Digitalisierung für Ihr Geschäftsmodell bedeutet. Uber beispielsweise arbeitet selbst am autonomen Fahren und disruptiert damit sein eigenes Geschäftsmodell, entwickelt aber gleichzeitig neue Dienstleistungen, die auch dann noch Bestand haben. Mit Uber-Eats z.B. kann man jetzt Essen bestellen.
Es gilt nicht zu rasten, sondern sich kontinuierlich neu zu erfinden. Mittelständische Unternehmen sind hier in einer hervorragenden Situation, eben weil Geschwindigkeit in der digitalen Welt ein so extrem hohes Gut ist.
Wie können Sie da den Umsatz stabil halten und sich gleichzeitig neu erfinden?
Hier gibt es von McKinsey das Treiber-Horizont-Modell: Sie bauen Ihre Organisation so auf, dass sie einen Horizont 1 haben, der Ihren Cashflow und Umsatzstrom jetzt und für die nächsten 12 – 18 Monate sicherstellt. Dann bauen sie in der Organisation einen Bereich Horizont 2 – dort beginnen schon Menschen an der Zukunft zu arbeiten, die den Umsatzstrom ab dem 18. bis zum 36. Monat generieren soll.
Dann gibt es den Horizont 3 – das ist eine ganz kleine Truppe. Das ist mein Startup – ich sage es salopp, das sind meine Spinner. Das sind die Leute, die hinter den Horizont schauen und fragen, was kommen könnte. Das sind die Leute, die Ihnen die Zukunft bauen, die sich vielleicht in den nächsten 72 Monaten materialisieren lässt.
Dabei weiß ich, dass ein Produkt aus Horizont 1, welches ich heute erfinde, in fünf, zehn oder 15 Jahren weniger Umsatz abwerfen wird. Durch Horizont 2 und 3 gleichen Sie diesen Verlust aber immer wieder aus.
Weitere Informationen unter:
www.matrix42.com
KI im Service-Desk