Digitale Teams

Im Interview mit der TREND-REPORT-Redaktion erläutert Michael Ochs, Geschäftsfeldmanager Software & Platform Business, Fraunhofer IESE, Hintergründe und Ziele des Projekts „Digitale Teams“.

Durch die in diesem Vorhaben entwickelten Ansätze soll Unternehmen (vorrangig KMU) und ihren Arbeitnehmer(inne)n gezeigt werden, dass das Arbeiten in virtuellen Teams mit Unterstützung moderner IKT funktioniert und durch agile und empirische Prozesse kontinuierlich verbessert werden kann, ohne dass dies zu Einbußen bei der Arbeitszufriedenheit oder Produktivität im Vergleich zu lokalen Teams führt.

Herr Ochs, warum wurde das Projekt Digitale Teams gestartet?
Wenn die Deutschen aus freien Stücken und unabhängig von ihrer finanziellen Situation ihren Wohnort wählen könnten, so würden sich lediglich 21% für die Großstadt entscheiden. Etwa 45% würden sogar eine Landgemeinde bevorzugen [Baukulturbericht der Bundesstiftung Baukultur 2016/17]. Dennoch wächst die Bevölkerung in den großen Städten und Metropolen wegen des Arbeitsangebots. Würde man den Wissensarbeiterinnen und Wissensarbeitern in Deutschland ermöglichen, als Teil von digitalen virtuellen Teams und von ihrem bevorzugten Wohnort zu arbeiten, könnte der Landflucht in Deutschland nachhaltig entgegengewirkt werden. Darüber hinaus würden Unternehmen − vor allem kleine und mittlere − viel leichter neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter finden, wenn der Unternehmensstandort und der Arbeitsplatz entkoppelt wären. In der Praxis ist dies häufig nicht möglich, denn trotz allgegenwärtiger Fortschritte bei der digitalen Transformation, herrscht in Deutschland immer noch die Präsenzkultur.


Michael Ochs,
Business Area Manager Software & Platform Business

Fraunhofer IESE
Bildquelle

Welches übergeordnete Ziel verfolgt Digitale Teams?
„Digitale Teams“ möchte in Zukunft Wissensarbeiterinnen und Wissensarbeiter unterstützen, ihre Arbeit in frei kombinierbaren digitalen virtuellen Teams so effizient und effektiv zu gestalten wie in einer gemeinsamen Büroumgebung. Damit wird das Arbeiten zu jeder Zeit, vom frei gewählten Wohn- oder Arbeitsort sowohl in der Stadt als auch auf dem Land Wirklichkeit, beispielsweise auch über Co-Working Spaces. „Digitale Teams“ kann dabei helfen, der Abwärtsspirale im ländlichen Raum entgegenzuwirken, indem wieder mehr Menschen auf dem Land leben und bequem arbeiten können. Die aktuelle Corona-Krise zeigt, dass dies in Zukunft keineswegs nur für den ländlichen Raum der Fall sein muss und wird.
Es gibt bereits eine Vielzahl von digitalen Kollaborationsplattformen, die zum Teil oder gar nicht integrierbar sind und jeweils auf bestimmte eingeschränkte Dienste fokussieren oder die Nutzer in ein Vendor-Lock-in treiben. Ziel des Vorhabens „Digitale Teams“ ist es, von isolierten Einzellösungen für Kollaboration zu einer offenen Daten- und Dienste-Plattform für Kollaboration in der Arbeitswelt der Zukunft zu kommen: die abgestimmte Entwicklung einer unter Aspekten der User Experience, Interoperabilität sowie Arbeitspsychologie optimierten Plattform steht im Fokus.
Dabei sollen virtuelle, verteilte Teams von Wissensarbeiterinnen und Wissensarbeitern optimale Unterstützung durch Ende-zu-Ende-Applikationen, digitale Assistenten sowie notwendige organisatorische und arbeitswissenschaftliche Rahmenbedingungen und Best Practices erfahren. Dadurch können die Teams entscheidend die Qualität ihrer Zusammenarbeit und Produktivität erhöhen. Als Ergebnis von „Digitale Teams“ wird die Plattform weitgehend als Open Source angeboten.

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Was macht Digitale Teams aus Mittelständler-Perspektive attraktiv?
Alle Unternehmen haben heute einen Bedarf an Fachkräften, der zum Teil nur schwer zu decken ist. Auch eine längerfristige Bindung von Fachkräften ans Unternehmen wird immer wichtiger. Ländlich regional finden sich kaum Fachkräfte, während in den Metropolen die Konkurrenz im Lohnniveau durch große Unternehmen für KMU erheblich ist − ein Dilemma für KMU.
Der in der Gesellschaft bestehende Wunsch zum Wohnen außerhalb der Metropolen und flexibleren Arbeitsformen wie Homeoffice und mobilem Arbeiten kann konstruktiv genutzt werden. Mit „Digitale Teams“ kann dieses Dilemma für Unternehmen und Wissensarbeiterinnen und Wissensarbeiter aufgelöst werden: digitale, verteilte Kollaboration wird ermöglicht und technologisch optimal unterstützt. Die aktuelle Corona-Krise zeigt zusätzlich, wie wichtig es ist, solche Technologien zu besitzen und einsetzen zu können. Auch in Krisensituationen wird eine kontinuierliche Weiterarbeit der Wissensarbeiterinnen und Wissensarbeiter in Unternehmen gewährleistet und durch Homeoffice beispielsweise das Infektionsrisiko der Mitarbeitenden zumindest im Bereich ihrer beruflichen Tätigkeit minimiert.
Damit erfüllt der Arbeitsgeber seine Fürsorge-Pflicht.

Auch Digitale Teams setzt auf eine Cloud-Infrastruktur. Was machen Unternehmen und Mitarbeiter, die gerade im ländlichen Raum über keine gute Internetanbindung verfügen?
Laufende parallele Forschungsarbeiten beschäftigen sich auch mit dem Thema „Offline-Fähigkeit“ von Online-Services, wie sie in „Digitale Teams“ entwickelt werden. So soll und kann ermöglicht werden, dass auch bei niedriger Bandbreite digitale Dienste mit möglichst geringen Einschränkungen genutzt werden können. Daneben arbeitet das Projekt „Digitale Teams“ an einem Partnermodell und Netzwerk für regional verfügbare Co-Working Spaces, sogenannten Hubs. Diese haben eine sehr gute Internetanbindung und sind für Wissensarbeiterinnen und Wissensarbeiter von ihrem Wohnort aus meistens sehr gut erreichbar. Eine Reihe von Anbietern ist bereits Teil des Netzwerks der assoziierten Partner von „Digitale Teams“.

Gerade im Mittelstand steht man neuen Arbeitsweisen und digitalen Werkzeugen eher kritisch gegenüber. Entwickelt Digitale Teams auch Ansätze, wie man dieses Mindset in vielen Unternehmen verändern kann?
„Digitale Teams“ forscht und handelt auch im arbeitswissenschaftlichen und -psychologischen Bereich. So werden beispielsweise Konzepte für die Einführung von verteilter, digitaler Wissensarbeit entwickelt. Daneben sind Handlungsempfehlungen aus arbeitswissenschaftlicher und arbeitspsychologischer Sicht entstanden, die typische Probleme und Herausforderungen in solchen Arbeits- und Teamsituationen („Digital Leadership“) aufgreifen und einen Leitfaden mit Best-Practices bereitstellen, wie diese optimal behandelt werden können, damit digitale verteilte Wissensarbeit von Beginn an reibungslos funktioniert. So werden neueste wissenschaftliche Erkenntnisse mit der praktischen Anwendung verzahnt.
Zusätzlich werden die Themen „Informationssicherheit und Datenschutz“ bereits seit Beginn der Konzeption der Plattform und Dienste intensiv einbezogen. Die Sicherstellung beider Aspekte wird durch entsprechende Maßnahmen wie Verschlüsselung, Anonymisierung oder Berechtigungsmanagement in der Entwicklung und im Betrieb gewährleistet.

Sind perspektivisch vielleicht auch Coachings bzw. Coaching-Programme angedacht?
Ein Coaching ist als digitaler oder persönlicher Service denkbar. Erste Planungen und Arbeiten dazu laufen bereits.

Das Projekt wird vom Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering (IESE) geleitet und gefördert durch das BMWI.

https://www.digitale-teams.de/das-projekt/