Data Driven Finance

 „Es braucht mehr Raum für innovative Finanzierungsmodelle“

Viele Finanzierungsmodelle sind langwierig und behäbig. In diesen schnelllebigen Zeiten braucht es aber vor allem mehr Flexibilität. Ist der Markt bereit für Neues? Wir sprachen mit Gert Sylvest, Gründer und VP Network Products bei Tradeshift.

Gehen wir direkt ans Eingemachte und reden wir über Innovationen bei Finanzierungen. Wie sehen Sie das?

Bei den heutigen Finanzierungsmodellen ist es im Grunde so, dass Banken oder andere Anbieter nur einen begrenzten Einblick haben. Typischerweise sehen sie nur eine Seite, nämlich wer finanziert wurde. Bei Supply-Chain-Finance (SCF) sehen sie die Einkäuferseite und viele Details. Bei Factoring oder anderen, ähnlichen Produkten, wissen sie eine Menge über die Lieferantenseite. Aber sie haben immer nur Einblick in eine Seite, nie in beide. 

Doch was ist, wenn Einkäufer und Lieferanten digital auf einer Netzwerk-Plattform miteinander verbunden sind? Und die Finanzierungsmodelle vom Netzwerkanbieter kommen? Das ermöglicht plötzlich die Sicht auf beide Seiten, die der Einkäufer und die der Lieferanten. Es sind teilweise sogar die internen Prozesse des Einkäufers und des Lieferanten sichtbar.

Mit diesem Wissen lassen sich innovative und ganz neue Finanzierungsmöglichkeiten entwickeln. Einkäufer und Lieferanten profitieren von denselben Vorteilen. Jeder kann daran teilhaben. Bei digitalen Transaktionen sehen Sie tatsächlich beide Seiten der Transaktion. P2P-Finanzierung bedeutet geringes Risiko und geringere Kapitalkosten. Und es ermöglicht Dinge, die einfach anders sind als der Markt.


„Einkäufer und Lieferanten profitieren von denselben Vorteilen. Jeder kann daran teilhaben. Bei digitalen Transaktionen sehen Sie tatsächlich beide Seiten der Transaktion. P2P-Finanzierung bedeutet geringes Risiko und geringere Kapitalkosten.“

Gert Sylvest, Gründer und VP Network Products bei Tradeshift.


Ist der Markt bereit? Was meinen Sie?

Unternehmen, die Finanzierungen in Anspruch nehmen, schauen bei den Angeboten vor allem darauf, welche Vorteile sie davon haben. Digitale, rein datengesteuerte Produkte sind neu auf dem Markt. Vor allem auf dem eher konservativen Finanzmarkt. Ich denke, hier braucht es noch ein Umdenken auf vielen Ebenen. Wir nennen das Data Driven Finance.

Wenn Sie mit einem rein datengesteuerten Ansatz arbeiten, gehen Finanzierungen teilweise so schnell, dass Einkäufer ihre Lieferanten bereits am Tag nach der Rechnungstellung bezahlen können. Es braucht keine langwierigen Genehmigungsschritte mehr. Die Optimierungsrate liegt derzeit bei 30 Prozent.

Wie funktioniert das Modell? Können Sie das genauer erläutern?

Unternehmen und Lieferanten sind auf einer digitalen Plattform in Netzwerken verbunden. Alle Einkaufs- und Rechnungsprozesse laufen über diese Plattform und können historisch analysiert werden. Das heißt alle Daten sind vorhanden, um Lieferanten zügig zu bezahlen. Hinzugezogen wird dafür die Rechnungshistorie der letzten zwei Jahre. Diese dient als Basis, um das Ausfallrisiko zu berechnen und einen Rabatt für vorzeitige Zahlung (Early Payment Discount) festzulegen. Lieferanten können so, wenn sie es wollen, innerhalb von zwei Tagen bezahlt werden unter Einbezug eines Finanzdienstleisters.

Warum haben Sie diese neue Form entwickelt?

Der Vorteil dieses Models ist es, dass es nicht zwingend wie klassische SCF Programme auf eine Zwischenfinanzierung über eine Bank angewiesen ist. Beim Bankkredit ist es fraglich, wie stark die Kreditlinie des Unternehmens bereits ausgeschöpft ist und wie viel des Kredites für die Liquidität der Lieferketten hergenommen wird. Oft ist hier nur ein bestimmter Anteil verfügbar, was dazu führt, dass nur ausgewählte Lieferanten in den Vorzug der früheren Bezahlung kommen. Zudem muss der Lieferant die i.d.R. aufwändigen KYC Prozesse der jeweiligen Bank durchlaufen.

Mit dem Modell Tradeshift Cash wird der Lieferant aufgrund der oben beschrieben Analyse für vertrauenswürdig befunden und erhält seine Rechnung innerhalb von zwei Tagen beglichen – zwischenfinanziert über einen Finanzdienstleister. Diese Analyse greift sofort.

Dashboard der Tradeshift- Plattform

Das heißt es geht alles schneller?

Viel schneller. Der Lieferant muss noch nicht einmal auf den regulären Prozess von Rechnungseingang, Rechnungsprüfung und Rechnungsbewilligung warten, wie es bei regulären SCF Programmen oder bei Dynamic Discounting der Fall ist.

Einkäufer wiederum profitieren durch den kurzfristigen Kredit von verlängerten Zahlungsfristen zwischen 30 und 360 Tagen. Dass macht Unternehmen deutlich flexibler bei Bedarf im Grunde alle Lieferanten mit einzubeziehen und so die Kunden-Lieferantenbeziehung zu stärken und nicht nur die Top-Lieferanten auszuwählen und andere vertrösten zu müssen. Und es versetzt Unternehmen in die Lage, eine stärkere Lieferkette aufzubauen, indem sie Lieferanten Zugang zu einem ständig verfügbaren Cashflow verschaffen.

Wie sieht es mit der Sicherheit aus?

Hier ist das Schlüsselelement vollständige Transparenz. Alles ist jederzeit einsehbar und logisch nachvollziehbar. Wichtig ist zudem, die Analysen auf Basis eines großen Volumens an digitalen Transaktionen zu erstellen. So lassen sich mögliche Stolpersteine einschätzen und vorhersehen.

Immer wieder taucht im Finanzwesen der Begriff Blockchain auf. Wie sehen Sie diesen Ansatz?

Blockchain war im Mittelpunkt der globalen Trends im Bereich Finanzen. Die Technologie verspricht die Transaktionskosten für Zahlungen deutlich zu reduzieren. In bargeldlosen Gesellschaften ist das ein immenser Faktor. Allein in Schweden werden ca. 95 Prozent aller Transaktionen mit Karte oder dem Handy durchgeführt. Die Nutzung von physischem Geld liegt gerade einmal bei 1 Prozent.

Mit Blockchain versprach man sich gebührenfreie Transaktionen. Die Vision, dass durch Programmierung alles digitalisiert werden kann und grundsätzlich frei verfügbar und günstig ist. Ich denke das ist eine extreme Vision. Blockchain verändert auf jeden Fall den Blick auf das Design von Bargeld und was man alles damit tun kann.

Stichwort: Finanzierungen und Nachhaltigkeit – wie passt das zusammen?

Es ist wichtig, dass ein Unternehmen sich präsentieren kann: Wer ist es, in welcher Branche ist es tätig, wie viele Mitarbeiter hat es, in welcher Beziehung steht es zu anderen Unternehmen, ist es Teil einer Gruppe oder ein Einzelunternehmen. Dazu gehört auch ein Nachhaltigkeitsprofil. Manche Unternehmen gehen so weit und wollen anhand ihrer Rechnungen und Bestellungen einen Carbon Footprint berechnen. Dann ist es gut, wenn die Netzwerk-Plattform auch solche Bedürfnisse abdeckt und hierfür Apps zur individuellen Nutzung bereitstellt. Es ist sogar möglich die Finanzierungen an Nachhaltigkeitsaspekten auszulegen, zum Beispiel mit einem niedrigeren Rate oder leichterem Zugang zu Kapital.

Vielen Dank für das Gespräch!

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