Green Economy – Mit Werten wachsen

Von der Ambition zur Realität: Nachhaltigkeit wird zum K.-o.-Kriterium

von Bernhard Haselbauer

Es ist schon verrückt, dass gerade der Begriff „Nachhaltigkeit“ durch die Forstwirtschaft geprägt wurde. Sieht man sich momentan in unseren Wäldern um, bekommt man es mit der Angst zu tun. Die nackte Wahrheit regiert, Baumstümpfe und Chaos soweit das Auge reicht. Der Begriff „nachhaltige Entwicklung“ und Forstwirtschaft passen so irgendwie gar nicht mehr zusammen. Sollten nicht Stabilität und die natürliche Regenerationsfähigkeit des Waldes im Vordergrund stehen? Klimawandel, Profit und Monokulturen haben unseren Wäldern zugesetzt. Auch Pflanzen stehen auf Multikulti. Außerdem schaden Monokulturen den Böden und dem Lebensraum unserer Tiere.

Ganz ehrlich – wie soll das mit unseren Klimaschutzzielen funktionieren, denn ein neuer Wald braucht viel, viel Zeit. Immerhin steht nun so viel Geld wie nie zuvor für unsere Wälder zur Verfügung. 1,5 Milliarden Euro hat allein der Bund in den vergangenen zwei Jahren bewilligt.

In Deutschland ist die Federführung für das Thema Nachhaltigkeit im Kanzleramt angesiedelt und die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung wurde just generalüberholt. In einer ersten Stellungnahme vom 10. März 2021 begrüßt der Nachhaltigkeitsrat die Änderungen. „Wichtig ist vor allem, dass die Bundesregierung erstmals sogenannte Transformationsbereiche ausgewiesen hat“, so Dr. Werner Schnappauf, Vorsitzender des Rates für Nachhaltige Entwicklung (RNE). Um diese Bereiche für ein gemeinsames Vorgehen wirksam zu machen, reiche es nicht aus, nachzusteuern, sondern es müsse konsequent umgesteuert werden. „Klimaneutralität rückt damit ins Zentrum der Nachhaltigkeitspolitik, aber auch beispielsweise Flächenverbrauch und Breitbandausbau bekommen einen hohen Stellenwert.“ Schnappauf forderte die Regierung auf, künftig das Leitprinzip der Nachhaltigkeit mutig, entschlossen und konsequent über die Ressortgrenzen hinweg umzusetzen. Der Nachhaltigkeitsrat hatte in mehreren Stellungnahmen umfangreiche Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie vorgelegt, damit diese als echter Fahrplan für die Zukunft fungieren kann.

Nachhaltigkeitspolitik ist in Deutschland fest verwoben mit der europäischen und internationalen Politik und orientiert sich an den globalen Nachhaltigkeitszielen (SDGs), die in der 2015 verabschiedeten Agenda 2030 der Vereinten Nationen formuliert sind. Ihre Anwendung und Umsetzung in Deutschland sollen für alle Menschen ein Leben in „Frieden, Würde und Wohlstand auf einem gesunden Planeten“ ermöglichen.

Mehr und mehr wird Nachhaltigkeit auch in der Wirtschaft zum K.-o.-Kriterium – für Verbraucher und für Marken. Immer mehr Menschen wollen ihren Alltag umweltbewusster und nachhaltiger gestalten. Studien bestätigen: Nachhaltigkeit hat sich als wesentliches Entscheidungskriterium neben Preis-Leistungs-Verhältnis und Qualität etabliert. Inzwischen erwarten auch Politik und Kapitalgeber von Unternehmen eine klare grüne Linie und knüpfen zum Beispiel die Vergabe von Fördermitteln und Krediten an harte Bedingungen. Wer also in Zukunft „kapital-fit“ bleiben will, muss in 2021 nicht nur Bekenntnisse, sondern auch Ergebnisse vorweisen.

Getrieben durch den Wertewandel stellen immer mehr Bewerber Fragen nach der Nachhaltigkeits-Performance von Unternehmen und entscheiden sich für verantwortungsvollere Start-ups, wenn ihnen die Antworten nicht gefallen. Ob Start-ups oder Konzerne, die nachhaltige Entwicklung steht überall ganz oben auf der Agenda. Dies zeigt sich zum Beispiel im Kontext des Themas Corporate Digital Responsibility. Am 28. und 29. April 2021 findet der erste SAP Sustainability Summit statt. Gemeinsam mit Nachhaltigkeitsexperten und Technologievisionären wird die SAP in einem virtuellen Rahmen Lösungen für eine nachhaltige Zukunft vorstellen und diskutieren. „Als Marktführer für Unternehmens-Software sehen wir uns darüber hinaus in der Verantwortung, das auch anderen Unternehmen zu ermöglichen. Gemeinsam mit unseren Partnern und über 400 000 Kunden auf der ganzen Welt können wir so das Bewusstsein für Nachhaltigkeit schärfen, wirtschaftliche Anreize setzen und damit einen positiven Einfluss auf unser Handeln nehmen“, betonte SAP-Vorstand Thomas Saueressig.

 

Auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft

Einer der Schlüssel und wichtigsten Trends für nachhaltiges Wirtschaften ist die Circular Economy. Sie gilt als Wirtschaftsmodell mit dem größten ökologischen und ökonomischen Potenzial. Für die Realisierung muss allerdings ein Umdenken entlang der gesamten Wertschöpfungskette stattfinden. Momentan dominiert in der industriellen Produktion noch das lineare, auch als „Wegwerfwirtschaft“ bekannte Modell, bei dem Produkte am Ende ihrer Nutzungsphase weggeworfen, vergraben oder verbrannt werden. Das Ziel der Circular Economy ist es, die in Produkten eingesetzten Rohstoffe über ihre primäre Lebensdauer hinaus möglichst lange in einem geschlossenen Kreislauf zu verwenden.

„Ein erfolgreicher Übergang vom vorherrschenden linearen zu einem geschlossenen Kreislaufwirtschaftssystem setzt voraus, dass alle Beteiligten über verlässliche Informationen im Hinblick auf Produkte, Komponenten und Materialien entlang ihres gesamten Lebenszyklus verfügen – in Form von digitalen Daten. Technologien wie die Blockchain haben das Potenzial, Produkte, Prozesse und Dienstleistungen vertrauenswürdiger, transparenter und nachvollziehbarer zu machen und damit neue Geschäftsmodelle zu stimulieren, die zu einem nachhaltigen Wirtschaftswachstum beitragen können“, betonte iPoint-systems-CEO Jörg Walden im Gespräch mit unserer Redaktion.

Diverse nationale und internationale Aktionspläne und Regularien wie etwa der Circular-Economy-Action-Plan der EU oder das deutsche Sorgfaltspflichtengesetz zielen darauf ab, den Rahmen für langlebige, nachhaltige Produkte zu schaffen, den Verbrauch von Primärrohstoffen zu verringern sowie menschenrechtliche und ökologische Mindeststandards in internationalen Lieferketten sicherzustellen, um damit zu besseren Bedingungen für Mensch und Natur beizutragen.

Konkret bedeutet dies, dass Unternehmen verpflichtet sind, ein systematisches Risikomanagement einzuführen, um Risiken (in definierten Risikofeldern wie Zwangsarbeit, Kinderarbeit, Diskriminierung, Umweltschutz und weiteren) bei Zulieferern zu ermitteln und kontinuierlich zu analysieren. Die Anforderungen sind für Unternehmen kaum noch ohne digitale und innovative Technologien zu erfüllen.

„Unsere cloudbasierte Plattform holt von den Lieferanten automatisch die relevanten Assessments und Zertifikate ein, die anschließend validiert werden. Zusätzlich nutzen wir künstliche Intelligenz, um Milliarden von Nachrichten in Medien zu scannen und per Natural Language Processing negative Meldungen zu den Lieferanten herauszufiltern und Risiken frühzeitig zu erkennen“, erklärte uns dazu Martin Berr-Sorokin, Gründer und CEO von IntegrityNext.

 

Auch innovative Refurbished-Strategien sind angesagter denn je. Refurbished-Ware sind Geräte, die ein Hersteller oder Händler generalüberholt, gereinigt und geprüft hat. Aber was bringt eine Refurbished-Strategie für Kunden und Umwelt? Jan Dzulko, Gründer von everphone, beschreibt das so: „Mit unserer Vorgehensweise sind nur noch die Geräte im Unternehmen, die tatsächlich genutzt werden – momentan landen ausgemusterte oder defekte Handys noch zu oft in irgendeiner Schublade. Für viele Unternehmen ist ein Geräteaustausch zu aufwendig. Für uns nicht, denn wir sind darauf spezialisiert. Rückläufer bereiten wir wieder auf und ermöglichen ihnen einen zweiten Lebenszyklus. Das spart durchschnittlich 58 kg CO2 pro Smartphone.“ Daran sollten sich Elektrogeräte-Hersteller von Weißer Ware ein Beispiel nehmen, deren Produkte eine immer kürzere Lebensdauer haben.

Eine weitere gute Idee für ein nachhaltiges Geschäftsmodell im Kontext der Kreislaufwirtschaft kommt von Biotec, einem der weltweit führenden Unternehmen biobasierter, nachhaltiger Biopolymere für kompostierbare Materialien. CEO Stefan Barot betont: „Beim organischen Recycling, also Kompostieren, bauen sich Biopolymere, die ganz oder teilweise aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen, im industriellen oder im heimischen Kompost ab.Ein klassischer industrieller Kompostierzyklus dauert etwa 6 bis 12 Wochen. Unsere Biopolymer-Beutel integrieren sich vollständig in diesen Prozess und stellen deshalb eine optimale Entsorgungslösung für Biomüll dar.“

 

Die Digitalisierung der Energie

Die Energiewirtschaft bricht gerade auf in eine neue Energiewelt. Unter dem Motto „Digitalisierung der Energiewende“ müssen die neuen Anforderungen gemeistert werden. Ziel muss es sein, Energie und Klimaziele im Einklang mit wirtschaftlicher Stabilität zu erreichen. Aber worauf kommt es nun beim nachhaltigen Umbau der Energiewirtschaft an? Dort, wo es mit Strom nicht geht, wird zum Beispiel grüner Wasserstoff zum Mittel der Wahl. Unternehmen testen schon fleißig, wie die flexiblen Kapazitäten kleinerer Anlagen wie Batterie-Heimspeicher und Wärmepumpen unbürokratisch nutzbar gemacht werden können, um diese an die Systemdienstleistungsmärkte zu bringen. Die Blockchain-Technologie scheint hier das Mittel der Wahl zu werden. Die Energiebranche kann in Zukunft sehr wahrscheinlich vom Strom- und Gasverkauf nicht mehr leben. Gefragt sind neue innovative Geschäftsmodelle, die durch die Digitalisierung, Nachhaltigkeit und die neue Gesetzgebung entstehen können.

Ein Beispiel bietet enPortal, Spezialist für die Gewährleistung von standardisierten, digitalen Prozessen rund um Datenverwaltung, Ausschreibung und Vergabe bei der Energiebeschaffung. Mit dem Auslaufen der EEG-Vergütung zum Jahresende 2020 für Anlagen, die vor zwanzig Jahren in Betrieb gegangen sind, war klar, dass in den kommenden Jahren immer mehr EEG-freie Grünstrommengen einen neuen Abnehmer suchen werden. „Daher war die Erweiterung unseres Portfolios nur ein logischer Schritt. Vor eineinhalb Jahren fiel die Entscheidung, den regenerativen Stromerzeugern, die keine EEG-Vergütung mehr erhalten, über enPortal den Weg zu öffnen, einfach, kostengünstig und vollständig digital einen neuen Abnehmer zu finden“, erklärte uns Clemens Graf von Wedel, Geschäftsführer des Pioniers für digitale Energiebeschaffung und cloudbasiertes Energiedatenmanagement von Strom und Gas.

Essen kann tödlich sein

Da die Klimaschutzziele auf vielfältigen Wegen erreicht werden müssen, sind alle Bürger im Land aufgefordert, mitanzupacken und sich zu transformieren. Aktuelle Trends und Bewegungen müssen adaptiert werden, um die nachhaltige Entwicklung voranzutreiben. Forscher der Oxford University kamen schon im Jahr 2016 mit einer interessanten Studie zu der Erkenntnis, dass unsere Ernährung sich direkt auf die Treibhausgasemissionen auswirkt. Mal angenommen, dass sich alle Menschen fleischfrei ernähren würden, könnte das die globalen Treibhausgasemissionen drastisch reduzieren und ebenso viele Menschenleben retten. Die Forscher berechneten, dass eine weltweite vegetarische Ernährung die Treibhausgasemissionen um 63 Prozent senken könnten, eine vegane sogar um 70 Prozent.

„Wir merken generell ein großes Interesse an einer bewussteren und nachhaltigeren Lebensweise. Da gehört die vegane und vegetarische oder die flexitarische Ernährung auch dazu. Die bewusste Reduktion von Fleisch oder der Verzicht auf Produkte tierischer Herkunft wird für viele unserer Kundinnen und Kunden immer interessanter und auch immer normaler. So sind viele unserer Kunden Flexitarier, einige legen einen oder mehrere vegane Tage in der Woche ein“, bezeugen Erik Döbele von Aldi Süd und Tobias Heinbockel von Aldi Nord.