Wie die Digitalisierung Arbeit verändert
von Peter Lasinger, Co-Founder und Partner von capital300
Das aktuelle Jahrhundert ist von maßgeblichen Umwälzung auf wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene geprägt. Anders ausgedrückt: Wir befinden uns mitten in einer Informations- und Dienstleistungs-Revolution. Sie ist die Konsequenz von immensen Fortschritten bei Soft- und Hardware. Dank ihnen können viele Tätigkeiten besser, schneller und günstiger ausgeführt werden – und das beeinflusst so gut wie jeden Lebensbereich.
So ist gerade die Arbeitswelt von der Digitalisierung von Daten und Prozessen und damit einhergehenden Automatisierung betroffen. Angetrieben wird diese insbesondere durch Fortschritte bei Algorithmen, im Bereich Machine Learning (ML) oder Artificial Intelligence (AI) und in der Hardware durch AI Chips, Neuromorphic Chips und Quantum Computing. Aus dieser Entwicklung und der daraus resultierenden Wertschöpfung ergeben sich große Chancen für Unternehmen und Investoren.
Hier jedoch nur den Status Quo zu betrachten wäre zu kurz gegriffen, denn die Digitalisierung beschleunigt auch Veränderungsprozesse. Agilität und Flexibilität sind aus ökonomischer Sicht eine Grundvoraussetzung. Als Investor in disruptive Technologieunternehmen stelle ich mir daher die folgende Frage: Welche Konsequenzen werden diese Entwicklung mittel- und langfristig haben?
Mehr Effizienz durch Robotic Process Automation
Um beim Thema Arbeit zu bleiben: Was im 19. Jahrhundert die Dampfmaschine für Arbeiter in Fabriken war, sind Algorithmen und Robotik für viele Bereiche der Büro- und Dienstleistungsarbeit. Bereits heute können viele manuelle Schritte, etwa in der Buchhaltung bei der Erfassung von Belegen vollständig automatisiert werden – Stichwort ist die Robotic Process Automation (RPA), also robotergesteuerte Prozessautomatisierung. Aber auch Fahrer von Gabelstaplern, LKWs und Taxis werden mittel- und langfristig durch Maschinen ersetzt. Auch in speziellen Bereichen der Diagnostik, wie etwa im Labor oder der Radiologie sind Algorithmen bereits heute besser als die meisten Mediziner. Doch selbst die Softwareentwicklung ist vor Veränderungen nicht gefeit: Unternehmen wie DeepCode arbeiten an der automatischen Prüfung und zukünftig auch Verbesserung bzw. dem automatisierten Schreiben von Programmiercode.
Neue Arbeitswelt erfordert Umdenken
Bereits heute zeichnet sich damit ab, dass wir künftig anders und vielleicht auch weniger arbeiten werden. Basierend natürlich auf dem Verständnis, dass die Arbeitswelt mit den neuen Technologien sinnvoll organisiert wird, und nicht etwa die Technologie unsere Arbeitswelt bestimmt. Diese Veränderung macht auch ein Umdenken in politischen und sozialen Systemen notwendig und wir müssen Antworten darauf finden, womit wir uns in Zukunft beschäftigen und wie wir die Früchte der Automatisierung verteilen wollen.
Wenn es künftig weniger bzw. andere Arbeit gibt, werden sich die Prioritäten und Präferenzen der Menschen verändern. Nicht nur wird die Freizeitgestaltung wichtiger, sondern das Selbstwertgefühl und der soziale Status wird weniger stark über Arbeit definiert. Stattdessen werden kreative und soziale Aufgaben wie etwa in Vereinen und politische Betätigungen an Bedeutung gewinnen. Auch das “nicht automatisierte” oder maschinell gefertigte, also Wirtschaftsbereiche wie Handwerk und Kunst, werden an Qualität und Wert gewinnen.
Technologie steigert Wirkungsgrad des Einzelnen
Mit all den Werkzeugen und Technologien – vorausgesetzt natürlich, dass der Zugang zu Know-how und Ressourcen gewährleistet ist – steigt auch der Wirkungsgrad, sprich die Reichweite, Fähigkeiten und der Einfluss jedes Einzelnen. So wie man mit einem Bagger tausendmal mehr Erdreich bewegen kann als mit einer Schaufel, kann der einzelne Werke und Produkte schaffen, die früher viele Jahre und die Zusammenarbeit vieler Personen benötigt haben. Ein gutes Beispiel sind (Software-)Firmen, die von zwei oder drei Entwicklern aufgebaut und betrieben werden und globale Services bereitstellen, die noch vor wenigen Jahren die Einbindung und das Mitwirken von hunderten Personen erfordert hätten. Mittels moderner Kommunikationsmittel können viele Arbeiten von jedem Ort der Welt bei flexibler Zeiteinteilung erbracht werden. Wir sehen zunehmend verteilte und virtuelle Teams, die Service-Levels erreichen, die früher nur globalen Konzernen vorbehalten waren.
Boom bei Unterhaltung und Gesundheit
Mit Blick auf die Wirtschaft werden die Bereiche Gesundheit und Unterhaltung immer bedeutendere Wirtschaftszweige. Schon heute verzeichnet der Gaming-Markt einen anhaltenden Boom. So prognostiziert das Statista Research Department, dass sich der Umsatz mit Videospielen (Spieleverkäufe, Gaming-Apps, Abos, Mikrotransaktionen) im Jahr 2020 weltweit auf insgesamt rund 85,4 Milliarden US-Dollar belaufen wird. Schon heute macht der Gaming-Markt mehr Umsatz als der gesamte restliche Entertainment Markt (inkl. Film und Musik) zusammen. Meine Erwartung ist, dass ähnliches im Bereich der Gesundheit passieren wird, wo neuartige Konzepte wie Telemedizin und “Software Therapeutics” völlig neue Diagnose- und Behandlungsformen erlauben.
Mehr Zeit für Innovation und Unternehmertum
Was werden wir mit den gewonnenen Freiheiten und Qualitäten anfangen? Wir werden unser Verständnis von Leistung und Arbeit überdenken müssen. In Zeiten von Automatisierung ist das Denken in 40-Stunden-Wochen einschränkend. Denn manche Tätigkeiten werden überhaupt keine Zeit mehr benötigen, andere – wie die Pflege, Bildung, Gesundheit – werden wichtiger und wertvoller werden. In einer Utopie gedacht können wir die Freiheiten für Innovation und Unternehmertum nützen, die es brauchen wird um den wachsenden Herausforderungen unserer Umwelt und Gesellschaft zu begegnen.
Autoreninfo
Peter Lasinger ist Co-Founder und Partner von capital300, einem europäischen Venture Capital Fonds (Series A), der neben Kapital insbesondere mit Know-how und Netzwerk ambitionierte Gründer von disruptiven Technologieunternehmen und unterstützt. (Bildquelle / Lizenz: capital300; Patrick Münnich | www.patrickmuennich.com)
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