Wachstum durch KI
Das digitale Zeitalter wird zum Zeitalter der Algorithmen. Damit Deutschland konkurrenzfähig bleibt, sind eine strategische Vision, Mut und massive Förderung notwendig.
Im Verlauf des Sommers 1956 fand am Dartmouth College, in Hanover, New Hampshire, das Dartmouth Summer Research Project on Artificial Intelligence – der Auftakt der akademischen KI-Forschung. Ziel des Projects war es herauszufinden, „wie Maschinen dazu gebracht werden können, Sprache zu benutzen, Abstraktionen vorzunehmen und Konzepte zu entwickeln, Probleme von der Art, die zurzeit dem Menschen vorbehalten sind, zu lösen, und sich selbst weiter zu verbessern“, wie aus einem Fördergeld Antrag in Höhe von 13.600 US-Dollar hervorgeht.
Doch Jahrzehnte lang blieb vieles graue Theorie und bot allenfalls Stoff für Science-Fiction-Autoren. Zu gering war die Rechenleistung, zu dürftig die auswertbaren Daten. Erst mit der schier unermesslichen Datenmenge, wie sie heute in unserer vernetzten Welt vorliegt kam die Wende. Im Jahr 2013, so belegt eine Studie der Weltorganisation für geistiges Eigentum der Vereinten Nationen, gab es so viele Patentanmeldungen für KI wie in den 50 Jahren zuvor.
Eine Auswertung des Deutschen Patent- und Markenamts belegt dabei die Vormachtstellung der Vereinigten Staaten. Demnach wurden 2018 in Deutschland beim Deutschen und beim Europäischen Patentamt doppelt so viele KI-Patente angemeldet wie von einheimischen Firmen. China liegt dabei noch hinter Deutschland und Japan zwar nur auf Rang vier, allerdings wird auch nur ein kleiner Teil der chinesischen Patente überhaupt im Ausland angemeldet. Dafür sitzen in der Volksrepublik 17 der 20 besten Universitäten der Welt, die sich mit KI beschäftigen. Bis 2030, so das erklärte Regierungsziel Pekings, will das Land die Führungsposition in der KI-Forschung einnehmen und eine staatlich geförderte 150-Milliarden-Dollar-Industrie schaffen.
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KI-Standort Deutschland
Mit der 80-seitigen „Strategie Künstliche Intelligenz“, die von der Bundesregierung reichlich spät Ende 2018 verabschiedet wurde, will sie Deutschland zu „einem weltweit führenden Standort für KI“ und „KI made in Germany“ zu einem Gütesiegel zu machen. Die Erwartung, sich dabei auch mit den Supermächten China und USA messen zu können, scheint angesichts von einem Förderbetrag von lediglich drei Milliarden Euro bis 2025 allerdings doch zu hoch gegriffen.
„In unserer Forschung zu Industrie 4.0, beim autonomen Fahren oder auch im Bereich der Entwicklung von lernenden Systemen für lebensfeindliche Umgebungen nehmen wir bereits einen Spitzenplatz ein“, entgegnet Professor Holger Hanselka, Präsident des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). „Das Wissen, das wir aktuell haben, müssen wir in den Markt bringen, sodass es der Gesellschaft und Wirtschaft nutzt“. Zu diesem Zweck will die Regierung ein Dual-Career-Modell etablieren, welches Forschern einen leichteren Wechsel zwischen Wissenschaft und Wirtschaft ermöglicht und mit konkreten Maßnahmen die Zahl an Gründungen im Bereich KI erhöhen.
Insbesondere Berlin hat sich dabei zur Start-up-Hauptstadt der künstlichen Intelligenz gemausert und zieht die größten Kapitalgeber des Kontinents an. „Rund 100 Berliner Professorinnen und Professoren befassen sich schon heute mit KI“, begründet Olaf Schulz, Direktor für Firmenkunden bei der Berliner Sparkasse die Vorrangstellung. „Laufend kommen neue digitale Talente nach Berlin, etwa mit der Ansiedlung des Deutschen Internet-Instituts und dem Millionenprojekt Siemensstadt 2.0.“ Beim Gründerpreis der Berliner Sparkasse oder beim Businessplan-Wettbewerb Berlin Brandenburg bringt das Institut digitale Macher mit Unternehmen, Medien und Geldgebern zusammen. „Wer in Berlin die Uni verlässt und eine gute Idee hat, der bleibt und gründet hier,“ weiß Schulz zu berichten, „die Stadt ist jung, kreativ und bietet stabile Netzwerke für Know-how und Unterstützung.“ Wie wichtig es ist, die Start-up-Förderung hierzulande anzuschieben belegt eine Untersuchung der Initiative „appliedAI“ an der UnternehmerTUM GmbH. Immerhin konnten im April diesen Jahres 214 KI-Start-ups identifiziert werden. Doch während das chinesische Start-up Sensetime allein seit 2017 2,1 Milliarden Dollar von chinesischen Risikokapitalgebern und Konzernen wie Alibaba oder Qualcomm erhalten hat, konnten alle deutschen KI-Start-ups zusammen in den letzten zehn Jahren lediglich 1,2 Milliarden Euro einwerben. Höchste Zeit also, hier die Rahmenbedingungen für junge Unternehmen zu verbessern.
Neben der Start-up-Förderung soll insbesondere der deutsche Mittelstand von der „Strategie Künstliche Intelligenz profitieren. Dazu sollen mindestens 20 „KI-Trainer“ kleine und Mittelständische Firmen bei der Implementierung begleiten und beraten. Handlungsbedarf besteht hier allemal.
„Laut einer aktuellen Accenture-Studie setzen nur 18 Prozent der befragten Unternehmen KI-Lösungen in mehreren Geschäftsbereichen ein“, berichtet Dr. Elisabetta Castiglioni, CEO bei A1 Digital.“ Und das obwohl bekannt ist, dass die Digitalisierung von Geschäftsprozessen von hoher strategischer Bedeutung ist und insbesondere künstliche Intelligenz Unternehmen zu Smart Companies transformiert.“ Ihr Unternehmen berät KMU bei der Implementierung branchenspezifischer IoT-Lösungen, weswegen Sie auch aus persönlichen Gesprächen die Probleme kennt: „Angst vor der Komplexität, ein Mangel an Informationen und ein Mangel an Experten, die nicht nur Daten analysieren sondern auch die Bedürfnisse des Unternehmens verstehen.“ Dennoch mahnt sie Entscheidungsträger „ihre Komfortzone zu verlassen und ihre Denkweise zu ändern, um den Sprung zu Smart Enterprises zu schaffen.“
„Falls das notwendige Know-how für künstliche Intelligenz im Unternehmen nicht vorhanden ist, sollten die Verantwortlichen frühzeitig externe Experten hinzuziehen,“ unterstützt sie Prof. Dr. Volker Gruhn, Vorstandsvorsitzender der adesso AG. Dabei gilt es, „die Potenziale der neuen Technologien realistisch abzuschätzen.“
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Die Bedeutung der Sprache
Besonders vielversprechend erscheinen ihm dabei die diversen Einsatzszenarien von Chatbots. „Das zeigen Gespräche mit unseren Kunden und das spiegelt eine Umfrage wider, die wir unter Unternehmen durchführten“, erläutert Gruhn. „Jedes fünfte Unternehmen setzt so ein System heute bereits ein. Noch einmal genauso viele planen das aktuell für die Zukunft.“
Auch Cognigy beschäftigt sich als Spezialist der sogenannten „Conversational AI“ tagtäglich mit automatisierten und intelligenten Dialogen. Diese finden „zwischen einem Convesational Interface, z. B. einem Bot, einem virtuellen Assistenten oder einem Skill, und einem Nutzer statt,“ erläutert Martina Yazgan, Head of Marketing des Unternehmens. Die Einsatzszenarien einer vollautomatisierten Kommunikation sind dabei mannigfaltig: „Sei es ein Self-Service im E-Commerce durch Conversational Commerce und Conversational Customer Service oder sei es ein Self-Service in internen automatisierten Prozessen durch Conversational Process Automation wie beispielsweise IT-Helpdesk-Ticketing-Abfragen oder ein Recruiting- und Onboarding-Prozess im HR.“ Dass insbesondere der menschlichen Sprache eine besondere Rolle in der KI-Forschung zukommt, ahnte schon der häufig zitierte Alan Turing. Für ihn hatte eine künstliche Intelligenz eine dem Menschen vergleichbare Denkfähigkeit, wenn ihr kommunikatives Verhalten nicht von dem eines Menschen unterscheidbar ist. Und auch die eingangs erwähnte Dartmouth Conference beschäftigte sich gemäß Förderantrag unter anderem mit der Frage, wie ein Computer programmiert sein müsse, um eine Sprache zu benutzen.In Folge dessen entstand mit dem Natural Language Processing (NLP) ein Teilgebiet der KI, welches sich explizit mit dem Erkennen, Verstehen und Generieren natürlicher Sprache befasst. Der wirkliche Durchbruch in diesem Bereich gelang allerdings erst durch die Möglichkeiten des Machine Learnings, da man erst dadurch im Stande war, dem Variantenreichtum menschlicher Sprache gerecht zu werden.
Zum Einsatz kommt NLP auch beim Employee Engagement. People Doc hat hierzu eine Software entwickelt, mit dessen Hilfe sich Mitarbeiterbefragungen effektiver gestalten lassen. „Mitarbeiter beantworten Fragen, in dem sie Freitextfelder ausfüllen“, erläutert Wieland Volkert. „Dank NLP kann umfassenderes Feedback von Mitarbeitern als mit einem einfachen Multiple-Choice-Fragebogen gewonnen werden. Damit können sich Mitarbeiter auch zu Themen äußern, die nicht explizit abgefragt werden.“ Das verschafft Unternehmen einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil, denn sie können aus den Ergebnissen Mehrwerte für Mitarbeiter schaffen. In der Konsequenz sind die Mitarbeiter entsprechend motivierter und fühlen sich ihrem Arbeitgeber verbunden. „Wer versteht, was die eigenen Leute motiviert und inspiriert, hält Schlüssel zu einem erfolgreichen Unternehmen in der Hand“, so Volkert.
Über Natural Language Processing hinaus geht der Begriff der „Pragmatic AI“ den Sabine Obermayr, Marketing Director Central Europe bei UiPath, in den Ring wirft: „Pragmatic AI heißt für uns, dass Software-Roboter in der Lage sind, neue Fähigkeiten zu erlernen. Diese Fähigkeiten beziehen sich auf pragmatische KI-Funktionen, die spezifische Kundenprobleme lösen und einen schnellen Return on Investment liefern. Wir bringen damit Robotic Process Automation auf die nächste Stufe.“ Zu den vier dafür essenziellen Bereichen zählt sie neben dem bereits diskutierten „Konversationsverständnis“ noch „visuelles Verständnis, Dokumentenverständnis und Prozessverständnis.“ Dabei haben spezielle Machine-Learning-Technologien „sogar die Möglichkeit, Absichten und Stimmungen zu registrieren – und etwa bei Unzufriedenheit eines Anrufers im Callcenter gleich eine besänftigende Aktion anzustoßen.“
Oder um relevante Nachrichten, Artikel, Bloginhalte und Tweets rund um die Uhr zu analysieren und in Handelssignale umzuwandeln, könnte man Bastian Lechner, CEO von Catana Capital in den Mund legen. Sein Unternehmen hat mit dem Data Intelligence Funds (ISIN: DE000A2H9A68) einen Fonds entwickelt, der genau in dieser Art Markt-Sentiments nutzt und zusammen mit den Daten aus historischen Kursbewegungen vorhersagen zur Marktentwicklung trifft.
„Wir geben immer noch die Leitplanken vor und setzen die Rahmenparameter, Exposure-Limit, Gewichtungen, etc.“ geht Lechner dabei auf die noch bestehende Aufgaben des Portfoliomanagers ein. „Jede Order wird von uns noch mit einem finalen Klick bestätigt.“ Am Ende ist es also immer noch der Mensch, der die entscheidende Handlung ausführt und somit auch die Verantwortung übernimmt. Der Mensch, der mit der Maschine zusammenarbeitet.
Machine Learning war der Durchbruch für NLP
Kollege KI
Mit dem Lesen menschlicher Emotionen durch eine KI beschäftigt sich auch Prof. Dr.-Ing. Barbara Deml, Institutsleiterin des Instituts für Arbeitswissenschaft und Betriebsorganisation am KIT. Ihr Ziel ist die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine jetzt und in Zukunft zu verbessern. „Was machen wir, wenn ein Kollege gestresst ist“, fragt sie rhetorisch. „Wir verhalten uns entsprechend und versuchen nicht, noch mehr Stress zu verursachen.“ Genau das sollten künftig auch Maschinen machen. Um Maschinen in diesem Kontext die richtigen Verhaltensweisen antrainieren zu können, muss allerdings erst das menschliche Verhalten besser verstanden werden.
Um zu erfassen, was sich in unserem Verhalten verändert, wenn wir müde oder ratlos sind und eine bestimmte Assistenz benötigen, analysiert sie weit mehr als die menschliche Sprache. „In unseren Forschungen spielt die Analyse von Körperbewegungen, vor allem von Augen- und Blickbewegungen, eine wichtige Rolle, aber auch physiologische Parameter, wie die Herzaktivität oder die Hautleitfähigkeit, sind relevant“, so Deml. In Mensch-Maschine-Systemen sieht sie eine Chance noch potenter zu sein. „Wir werden mit dieser Unterstützung unsere Arbeit wahrscheinlich viel besser ausführen können.“
Dem pflichtet auch Christian Seevogel, Senior Vice President DACH bei Avature bei. Sein Unternehmen entwickelt KI-Systeme speziell für den HR-Bereich. Speziell hier sieht er die Chance „die Mitarbeiter von operativen zeitaufwendigen Tätigkeiten zu entlasten“ und ihnen damit die Möglichkeit zu geben „mehr Zeit zu verwenden, für herausforderndere und spannendere Tätigkeiten.“
Sowohl Deml als auch Seevogel sind durch ihre Arbeit immer wieder mit dem Problem der Angst der Mitarbeiter bezüglich der neuen Technologien konfrontiert. „Arbeit ist so zentral für die meisten von uns; wir definieren uns oft ganz maßgeblich darüber“, zeigt Deml Verständnis für die Sorgen angesichts der „disruptiven Veränderungen, von denen immer die Rede ist.“ Während sie von den Mitarbeitern einfordert sich in die KI-Debatte mit einzubringen, damit die Einführung nach deren Vorstellung gestaltet werden kann, sieht Seevogel eine Hauptursache in der Intransparenz, die es zu überwinden gilt. Er fordert, darauf zu achten, nur eine sogenannte White-Box-KI einzuführen. So wäre gewährleitstet, dass die von der KI-Entscheidung Betroffenen gegebenenfalls fundiert widersprechen können. Den Stellenwert der Transparenz unterstreicht auch Prof. Gruhn von adesso: „Wenn Menschen den Eindruck haben, Maschinen in einem kafkaesken Szenario ausgeliefert zu sein, werden sie kaum offen sein für die positiven Aspekte von KI. Mit Algorithmen lässt sich schlecht diskutieren.“
KI und IT-Security
Zuletzt müssen auch die Bedenken um den Datenschutz ernstgenommen werden. „Sie müssen entweder die erforderlichen Einwilligungen bei den Kandidaten einholen oder durch Anonymisierung und Pseudonymisierung der Daten dafür sorgen, dass sie diese nutzen können,“ so Seevogel.
Die Forschung von Anonymisierungs- und Pseudonymisierungsverfahren sollen genau deshalb auch dem Willen der Bundesregierung nach weiter vorangetrieben werden. Laut Strategiepapier sollen hier überzeugende Modelle entwickelt werden, damit die Bürger bereit sind ihre Daten auch zu Forschungszwecken zur Verfügung zu stellen. Zusätzlich sollen Daten künftig synthetisch erstellt werden und Unternehmen sollen, unter Einbindung der Kartellbehörden, untereinander „Datenpartnerschaften“ eingehen können.
Natürlich müssen die Daten auch vor Cyberangriffen geschützt sein, um nicht in die Hände unbefugter Dritter zu gelangen. Dabei können KI und Machine Learning selbst genutzt werden, um die Sicherheit signifikant zu erhöhen. Beispielsweise können Anomalien so schneller erkannt und entsprechende Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Andererseits können aber auch Cyberkriminelle künstliche Intelligenz nutzen, um beispielsweise Schwachstellen, die für einen Angriff genutzt werden können, schneller aufzufinden. „Zwischen Angreifern und Verteidigern der IT-Sicherheit entfacht die KI einen neuen Wettlauf“, beobachtet Jörn-Müller Quade, Inhaber des Lehrstuhls für Kryptographie und Sicherheit am KIT. „Unternehmen und Behörden müssen deshalb rasch entsprechende Kompetenzen aufbauen und in neue Technologien investieren.“
IT-Sicherheit ist schließlich auch ein integraler Bestandteil digitaler Souveränität, dessen Wahrung für Prof. Hanselka Grundvoraussetzung ist, „damit die Industrie Vertrauen in KI gewinnt. Er fordert, „dass wir unser Wissen rasch für neue KI-Anwendungen und Geschäftsmodelle nutzen, denn lernende Systeme sind ein zentraler Wettbewerbsfaktor für die Zukunftsfähigkeit des Innovationsstandortes Deutschland.“
von Andreas Fuhrich
a.fuhrich@trendreport.de
CC BY-SA 4.0 DE
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