Unser Innovationsgeist erstickt im politischen Zaudern
Von Dinko Eror, Senior Vice President and Managing Director von Dell EMC in Deutschland
„Unfassbar teuer“: so hat Kanzleramtschef Helge Braun im September diejenigen zurückgepfiffen, die auf einen flächendeckenden Ausbau des neuen 5G-Mobilfunkstandards gehofft hatten. Wirklich überraschend kam die Nachricht nicht, schließlich wurde nicht einmal der im vorletzten Koalitionsvertrag 2014 versprochene 4G-Ausbau hinreichend vorangetrieben. Ach was: sogar die zahllosen Funklöcher der Republik, die den Bürgern seit Jahrzehnten das Leben schwer machen, hat bis heute keiner gestopft. Unvergessen die aktionistische Ankündigung von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer in diesem Frühjahr, eine App zu entwickeln, in der Bürger Funklöcher melden können, obwohl alle längst penibel kartografiert sind. Derweil hat das afrikanische Land Lesotho, Leapfrogging hin oder her, den 5G-Standard flächendeckend eingeführt.
Deutschland soll Innovationsweltmeister sein? Der schleppende Ausbau des Mobilfunks ist vielmehr ein Armutszeugnis und symptomatisch für die Innovationsmisere eines Landes, das sich ganz offensichtlich auf dem Forschungsgeist vergangener Tage und der Blütezeit erlahmender Industrien ausruht. Andere Bereiche stehen nicht besser da, Breitband zum Beispiel: Japan hat 75, Deutschland gerade mal 2 Prozent der Haushalte mit Glasfaser versorgt. Der groß angepriesene Ausbau der Künstlichen Intelligenz ist auch so ein Fall. Immerhin hat die Bundesregierung im Sommer die „Eckpunkte für eine Strategie Künstliche Intelligenz“ vorgestellt. Sie skizzieren das Ziel, KI in Deutschland auf ein „weltweit führendes Niveau“ zu bringen. Konkrete Ideen gibt es bis heute keine, und der bereits gigantische Vorsprung von Marktführer USA wird täglich größer. Ohnehin machen die USA und China das Thema unter sich aus: China will mit allen Mitteln Marktführer werden und investiert Abermilliarden in die Technologie. Deutschland ist jetzt schon abgehängt (und die EU auch).
Genauso kläglich sieht es außerhalb des Hightech-Terrains aus, beim verpassten Klimaziel etwa: bis 2020 sollte der CO2-Ausstoß um 40 Prozent gegenüber 1990 reduziert werden, mit viel Glück erreichen wir 30. Die Politik ist sich nicht zu schade, Bevölkerungswachstum für das Scheitern verantwortlich zu machen, statt sich ihrem eigenen Straucheln zu stellen. Den Kohleausstieg hat sie genausowenig im Griff und lässt Energieversorger RWE im Hambacher Forst nach Belieben gewähren – zur Entrüstung der Öffentlichkeit; und auch die eklantante Nonchalance beim Dieselskandal und der Nachrüstungsfrage hat den Großteil der Bevölkerung fassungslos hinterlassen. Unerreichbar ebenso das Ziel der Bundesregierung, bis 2020 eine Million E-Autos zuzulassen. Es fehlt offensichtlich an politischem Willen, die Elektromobilität zu fördern und die Infrastruktur auszubauen. Norwegen schafft das mit links, und andere Länder auch.
Warum die vielen selbstgesteckten Ziele, wenn am Ende doch nur Lippenbekenntnisse bleiben? Eingekesselt zwischen Parteiinteressen, zahnlosen Gremien und Industrielobbyisten
- steht Deutschland heute auf der Innovationsbremse
- schneidet sich die Bundesregierung mit einer fehlgeleiteten politischen Gestaltung ins eigene Fleisch
- schadet unser Land seiner Wirtschaft so sehr, dass sie keine Motivation hat, sich zukunftsfähig aufzustellen. Stattdessen wartet sie lieber ab (worauf eigentlich?) und
- büßt täglich an Wettbewerbsfähigkeit ein.
Gerade KI und 5G stehen beispielhaft für eine blühende Zukunft: ohne sie wird es kein Internet der Dinge und kein autonomes Fahren geben – zwei Technologien, die schon in allernächster Zukunft über die globale Wirtschafts-Rangordnung entscheiden. Und gerade hier ist Deutschland beschämend schlecht aufgestellt.
Wir brauchen eine kurzfristige und pragmatische Innovations-Offensive; zu befürchten ist, dass sie nicht stattfinden wird, weil sich die politische Kultur ändern müßte – das ist weder einfach noch schnell umsetzbar, zumal nicht in einer großen Koalition, die sich im Kreise zu drehen scheint. Der „permanente Selbstgesprächemodus der Regierung“, wie BDI-Chef Dieter Kempf die Situation betont, „bedeutet Stillstand“.
Vielleicht müssen wir langfristiger, strategischer vorgehen. Ich plädiere für ein – gewiss erst nach Jahren früchtetragendes – Pflichtfach Informatik schon in frühen Klassen. Sollte doch durchführbar sein im Zeitalter der Smartphones, in dem auch schon unsere Knirpse im Schlaf mit mobilen Devices hantieren. Ein Pflichtfach Informatik würde Schüler auch motivieren, sich für ein MINT-Studienfach zu entscheiden: die beste Garantie für den Fortbestand des deutschen Forschungsgeistes und einer hohen Flexibilität bei der Jobwahl. Angesichts einer sich von Grund auf transformierenden Berufswelt – 80 Prozent der Berufe in zehn Jahren sind uns heute noch nicht einmal bekannt – wäre das sicher keine falsche Entscheidung.
Roman Herzogs berühmte 1997er Rede möchte ich in diesem Sinne gern adaptieren: Durch Deutschland muss ein Innovations-Ruck gehen. Wir müssen uns endlich den Anforderungen einer schärferen Globalisierung und eines bedrohlichen Klimawandels stellen und Abschied nehmen von liebgewordenen Bequemlichkeiten. Zu diesem Zweck müssen wir, eher heute als morgen, wieder eine proaktive, innovations-orientierte politische Kultur errichten, die sich nicht auf den Lorbeeren vergangener Tage ausruht. Erst dann können wir eine zukunftsfähige Wohlstandsgesellschaft gestalten.
Über den Autor:
Dinko Eror ist seit Januar 2016 Senior Vice President und Geschäftsführer der EMC Deutschland GmbH und leitet seit Februar 2017 zudem den Bereich Enterprise Sales von Dell EMC in Deutschland. Zu seinen Aufgaben gehört es, das Unternehmen im Kontext der digitalen Transformation strategisch als Anbieter von Lösungen und Dienstleistungen auszurichten und den Wachstumskurs von Dell EMC in Deutschland fortzuführen.
Dinko Eror verfügt über mehr als 25 Jahre Berufserfahrung in der IT-Branche und arbeitet seit acht Jahren bei EMC. Bis Ende 2015 war er Vice President Global Services für die Region EMEA. In dieser Position verantwortete er das Beratungsgeschäft, die Technologie-Services sowie den Support von EMC und unterstützte Kunden dabei, den Wert ihres Unternehmens durch IT-Innovationen zu steigern. Zuvor leitete er die EMC-Presales-Organisationen in EMEA. Von 2009 bis 2013 war er Technology Solutions Director und Senior Director Global Services bei EMC Deutschland. Vor seiner Zeit bei EMC hatte er verschiedene Management-Positionen bei Hewlett-Packard inne, zuletzt als Head of ITO Data Centre Organization für Nord-, Zentral- und Osteuropa.
Dinko Eror ist fasziniert davon, wie die Informationstechnologie ganze Geschäftsmodelle revolutioniert und wie sich klassische Unternehmen vor dem Hintergrund der digitalen Transformation in ein Software-defined Enterprise verwandeln.
CC BY-SA 4.0 DE
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