Der digitale Arbeitsplatz als Wettbewerbsvorteil
Der digitale Arbeitsplatz muss sich um den Mitarbeiter einfügen, betont Oliver Bendig, CEO der Matrix42 AG, im ausführlichen Interview mit TREND REPORT. Er kann zum Wettbewerbsvorteil werden, aber nur dann,“wenn er gut, einfach und sicher bereitgestellt wird.“
Was bedeutet für Sie der „digitale Arbeitsplatz“? Wie definieren Sie ihn?
Ich habe mich die letzten 20 Jahre mit dem digitalen Arbeitsplatz beschäftigt. Ich sehe da ein riesiges Potenzial für Organisationen. Wenn wir heute den Arbeitsplatz betrachten, sind daraus ein kritischer Business-Prozess und ein Wettbewerbsvorteil geworden, um es abstrakt zu bezeichnen. Warum ist das so? Jedes physikalische Unternehmen ist heute auch ein digitales Unternehmen und muss sich mit digitalen Arbeitsplätzen beschäftigen. Jedes Unternehmen hat eine Vielzahl von digitalen Prozessen, die sich an dem und um den Mitarbeiter einfügen müssen – wenn sich etwas „gut für Mitarbeiter anfühlt“, sind sie zufriedener und dadurch in der Regel produktiver. Produktivität bedeutet in letzter Instanz schnelleres Vorankommen. Das heißt, der digitale Arbeitsplatz ist ein Wettbewerbsvorteil, wenn er gut, einfach und sicher bereitgestellt wird.
Wie hoch ist aktuell der Digitalisierungsgrad, den Unternehmen erreicht haben?
Aus vielen Gesprächen mit unseren Kunden sehe ich zusammenfassend derzeit zwei Ebenen der Digitalisierung.
Die erste Ebene: Papierprozesse automatisieren. Das machen Unternehmen seit vielen Jahren. Sie stehen also nicht mehr am Anfang. Sie sind aber häufig noch nicht auf der zweiten Ebene.
Die zweite Ebene: Ermöglichung neuer Geschäftsmodelle. Auf dieser Ebene ist die Digitalisierung bereits so weit fortgeschritten, dass sie neue Geschäftsmodelle ermöglicht. Beispielsweise ein Schuhverkäufer, der sein Geschäft in E-Commerce überführt mit 3D-Modellen und personalisierten Schuhen. Oder ein Matratzenhersteller, der seine Produkte mit Sensoren ausstattet und als Subscription nach Nutzung anbietet. Die Beispiele hierzu sind endlos. Wenn die digitale Transformation richtig betrieben wird, findet im ganzen Unternehmen ein Umdenken statt. Neue Leistungen, neue Produkte, neue Dienstleistungen können konzipiert und eingesetzt bzw. vertrieben werden. Hier auf dieser Ebene sind die meisten Unternehmen meiner Erfahrung nach allerdings noch nicht.
Welche Technologien sind für den digitalen Arbeitsplatz besonders relevant?
Gerade wenn es um Technologien im Kontext des digitalen Arbeitsplatzes geht – mein Steckenpferd – kann man sagen, dass jede Form von Innovation eine Erweiterung des Arbeitsplatzes werden kann. Das sind z.B. Dinge, die ich am Körper tragen kann, wie z.B. Smartwatches oder -brillen. Mit einem Industriekunden führen wir gerade den Rollout von Microsoft Hololenses durch. Hier geht es darum, mit AR-Brillen Logistikprozesse zu optimieren. Hierfür braucht es Management und Absicherung der AR-Brillen, da diese eine Erweiterung des digitalen Arbeitsplatzes sind.
Bei der Änderung von Prozessen ist ein vollumfängliches, abgesichertes Gerätemanagement eine der Grundvoraussetzungen. Darin sind wir sehr stark.
Aber nun zu Ihrer Frage, welche Technologien am digitalen Arbeitsplatz relevant sind …
Wenn man auf die Geräteseite schaut, dann kann alles, was Gerät oder Oberfläche ist, eine Erweiterung meines Arbeitsplatzes sein. Dazu haben wir z.B. im Rahmen unserer jährlich stattfindenden HackWeek eine kleine Spielerei entwickelt. Eine Lampe wurde zu einem Projektor umgebaut und konnte über Berührungs- und Gestensteuerung Informationen auf einem klassischen Tisch ablesen, Videos konnten betrachtet oder Geräte gesteuert werden.
Es wird in Zukunft immer mehr digitale Unterstützung bei der Erledigung von Arbeiten geben. Virtuelle Assistenen werden vermehrt zur Erledigung von Routinearbeiten eingesetzt werden. Von der Reisebuchung, Reiskostenabrechnung, Konferenzraumbuchung bis hin zur Dokumentenerstellung, das alles können und werden virtuelle Assistenten erledigen.
Gehen virtuelle Assistenten in Richtung Emotionserkennung und werden Sie Mitarbeiter motivieren können?
Ja, das wird es geben, und wir sind bereits mittendrin. Wir unterstützen unsere Kunden bereits jetzt dabei, Supportszenarien zu optimieren. Ich geben Ihnen ein Beispiel, wozu wir bereits jetzt mit Emotionserkennung in der Lage sind. Nehmen wir an, es tritt eine Störung einer Ihrer Applikationen auf, z.B. auf Ihrem iPad oder Ihrem PC. Ein virtueller Assistent unterstützt sie daraufhin sofort bei der Behebung, indem er automatisch die Lage „sondiert“. Er reagiert auf Ihre Wortwahl und leitet daraus Ihre Stimmung ab. Auch anhand der Gesichtszüge können wir Rückschlüsse auf Ihre Stimmung ableiten. Aber noch viel besser ist, dass wir anhand der Kamera feststellen können, welche Dienstleistungen in Ihrem Service Catalog mit einer besonders positiven Emotion verbunden sind. Mit dieser Information kann man dann an die Verbesserung anderer Dienstleistungen herangehen.
Alles das zielt darauf ab, das Incident-Management und Service Request Management zu vereinfachen, schnelle Lösungen mittels Selbsthilfe herbeizuführen und massenhafte Tickets und die damit verbundenen Wartezeiten zu vermeiden. Auf diese Weise erhalten wir die Produktivität aller Mitarbeiter, sowohl an den Endgeräten als auch in der IT.
Anhand der Gesichtszüge können wir Rückschlüsse auf Ihre Stimmung ableiten
Oliver Bendig
Sie haben es ja gerade angesprochen. Welche Erwartungen hatten Sie denn an Ihre kürzlich durchgeführte HackWeek? Welche Vorteile im Betrieb verknüpfen Sie damit?
Sehen Sie, ein Technologieunternehmen wie wir – von was lebt dieses Unternehmen? Von Innovation! Aber wie generiert man Innovation? Kreativität lässt sich nicht befehlen. Sie müssen Menschen ein Umfeld schaffen, das völlig freies Experimentieren mit der Möglichkeit des Scheiterns fördert. Wir nennen das „Fail-Forward“. Unsere HackWeek ist dafür das beste Beispiel.
Während unserer HackWeek gilt die Regel, dass es keine Regel gibt. Unsere Mitarbeiter können in dieser Woche tun was sie wollen. Dabei entstehen spannende Dinge. Wir haben dieses Jahr 31 Hacks fertig programmiert, ein wesentlicher Bestandteil unserer „growing moments“. Wir ziehen 30-40% unserer Produktentwicklung aus dieser einen Woche, man könnte es schon ein Festival der Innovationen nennen.
Also Digital Enablement?
Digital Enablement hat für uns zwei Ausprägungen. Die eine ist organisatorisch und die andere ist technologisch. Wenn wir in Sachen Arbeitsplatz 4.0 auf Workshops mit unseren Kunden sind, starten wir mit der Frage, was organisatorisch benötigt wird, um Digital Enablement durchzuführen. Da fallen dann oft Themen wie „agile Transformation“, „agile Arbeitsweise“, Aufbau von „cross-funktionalen Teams“, um schnell auf Veränderungen reagieren zu können. Diese Workshops sind nie eine Zeitverschwendung!
Beim technologisches Enablement gibt es eine Grundvoraussetzung, die erst einmal einzusehen ist, nämlich dass Digitalisierung nicht um der Digitalisierung willen eingeführt werden sollte. Sie glauben nicht, in wie vielen Projekten genau das der Fall ist. Es fallen häufig Buzzwords, die man u.a. aus der Presse übernommen hat. Man will bzw. muss „einfach was mit AI und Chatbots machen“. Davon sollte man sich unbedingt lösen!
Wir empfehlen vom Standpunkt des Anwender aus zu denken, und dabei nicht zu vergessen, dass in vielen Organisationen drei Generationen arbeiten. Digital Enablement bedeutet, ich muss einerseits den Menschen, der frisch von der Uni kommt, abholen. Ein junger Kollege, der wahrscheinlich sehr gerne sein eigenes Gerät mitbringen möchte und einen WhatsApp Kommunikationsstil bevorzugt. Andererseits darf ich aber auch den Kollegen, der in fünf Jahren in Rente geht, nicht vergessen. Ja, es gibt jetzt Apps, über die man mit der IT kommunizieren kann, wer möchte, kann aber auch weiterhin zu Mail und Telefon greifen.
Diesen Prozess, vom Anwender her gedacht, begleiten und unterstützen wir organisatorisch und vor allem technisch. Das heißt konkret: Ein Servicefall kann aus unterschiedlichen Kanälen kommen. Vom Chatbot, durch ein Webformular, mittels einer App, aber eben auch durchs Telefon. Die IT kann prompt auf alles reagieren, jedem kann geholfen werden. Man kann es nicht oft genug wiederholen: So muss Digitalisierung verstanden und umgesetzt werden, unter Einbeziehung von jedermann! Nur so und nicht anders werden auch Ihre Mitarbeiter mitziehen.
Die Rolle des Digital Workplace im Kontext der Gig Economy ist extrem spannend.
Oliver Bendig
Wie verändert die Gig Economy die Rolle des Digital Workplace?
Die Rolle des Digital Workplace in diesem Kontext ist extrem spannend. Wenn in Ihrer Organisation zusätzlich zum klassischen Arbeitnehmer Projektmitarbeiter als „Gig“ beschäftigt werden, dann müssen Sie diese genauso wie Mitarbeitern Daten, Dokumente und Applikationen in Ihrem Unternehmen bereitstellen. Daraus ergeben sich ganz neue Herausforderungen für die IT-Security. Es gilt, den Spagat aus Enablement für hochflexibles Arbeiten und Compliance zu bewältigen.
Die Auswirkung des digitalen Arbeitsplatzes ist enorm. Sie benötigen ein flexibles Management-Modell, das Ihnen einerseits jederzeit Applikationen auf jedem Gerät, Betriebssystem und Browser bereitstellt. Es geht hier um Heterogenität, also um Unified Endpoint Management. Zusätzlich sind die Herausforderungen an die IT-Sicherheit erhöht. Jeder Mensch, jedes Gerät, jede Anwendung ist ein potentieller Unsicherheitsfaktor auf den Sie reagieren können müssen. Sie benötigen ein Sicherheitsmodell, dass es Ihnen erlaubt, eine höchstmögliche Flexibilität beim Arbeiten zu ermöglichen, aber gleichzeitig Sicherheit erzeugt. Quasi unsichtbar für den Anwender. Wir beweisen bei unseren Kunden täglich, dass dies möglich ist.
Zum Schluss bitte noch eine persönliche Einschätzung zur aufkommenden Gig Economy. Teilweise wird die Projektarbeit kritisch gesehen, rückt in die Nähe der Scheinselbstständigkeit.
Ich persönlich glaube, wir sind in Deutschland bzgl. Scheinselbstständigkeit überreguliert. Aus meiner Sicht ist das ein riesiger Wettbewerbsnachteil im globalen Vergleich, gerade aus ökonomischer Sicht. Ich wünsche mir mehr Flexibilität vom Gesetzgeber, ich wünsche mir die Unterstützung von modernen Arbeits- und Organisationsmodellen, wie ich sie geschildert habe. Für Unternehmen ist es von Vorteil, sich in der Gig Economy Leistungen von einzelnen Personen einzukaufen und flexibel Projektteams zusammenstellen zu können, die hinterher wieder auseinandergehen. Vor allem wenn man den aktuellen Fachkräftemangel berücksichtigt. Parallel dazu oder auch im Anschluss an einen umfangreichen Auftrag können diese Projektmitarbeiter weitere Aufträge übernehmen, hier oder woanders. In diesem Zusammenhang von Scheinselbständigkeit zu sprechen halte ich für nicht gegeben. Auch aus Einzelsicht bietet die Gig Economy Vorteile, ermöglicht sie doch dem Einzelnen ein selbstbestimmtes, abwechslungsreiches Arbeiten. Natürlich ist diese Form der Arbeit nicht für jeden geeignet, doch ich habe im Laufe meiner Karriere viele Menschen getroffen, z.B. im Bereich Produktentwicklung, Controlling und HR, die dieser Form der Arbeit nachgegangen sind und sich nicht mehr in ein festes Anstellungsverhältnis zurückwünschten. Wenn es für Mitarbeiter und Unternehmen passt, dann sollte die Gig-Economy gefördert werden und nicht aufgehalten werden. Innovation lässt sich sowieso nicht aufhalten.
Weitere Informationen unter:
https://www.matrix42.com/en/