Computer statt Kreide

Digitale Bildung: Was lernen wir aus Corona?

Gastbeitrag

Schülerin oder Schüler möchte man zurzeit nicht wirklich sein, auch keine Lehrerin oder Lehrer. Denn die Corona-Krise hat das deutsche Bildungssystem kalt erwischt: wieder ein Lockdown, wieder Unterricht zu Hause oder im Wechselmodell, wieder Chaos. Während manchen Schulen das Homeschooling gut gelingt, einige sich dank dem Engagement Einzelner durch die Pandemie navigieren, scheitern viele komplett.

Lern-Plattformen brechen unter der Last zusammen, Chatprogramme werden von Trollen gestört, Lehrer verschicken Aufgaben per E-Mail – digitales Lernen sieht definitiv anders aus. Wobei Schulen hier exemplarisch für das gesamte Bildungswesen in Deutschland stehen. Damit sich dieses Chaos nicht dauernd wiederholt, gilt es jetzt, Lehren aus den vergangenen zwölf Monaten zu ziehen.

„Das digitale Zeitalter setzt gute Konzepte für die Bildung voraus. Keinesfalls dürfen wir nach der Krise den Status quo wiederherstellen, sondern müssen die Chancen nutzen.“

Autor Kai Grunwitz, Geschäftsführer der NTT Ltd. in Deutschland
Kai Grunwitz

Erkenntnis 1: Alle sprechen über die IT-Infrastruktur, aber viel zu wenig über verpflichtende Digitalkompetenzen.

Natürlich funktioniert Lernen jenseits der klassischen Unterrichtsräume vor allem dann, wenn bereits vor Corona digitale Medien und Formate in den Alltag integriert wurden, Schüler und Studenten die notwendigen Endgeräte besitzen und Breitband zur Verfügung steht. Diese infrastrukturellen Rahmenbedingungen müssen stimmen. Die passende IT – von mobilen Devices über Kollaborations- und Kommunikationsplattformen bis zu WLAN und gesicherten Zugriffen – lässt sich theoretisch schnell und einfach umsetzen. Es fehlt oftmals an Konzepten und schnell verfügbaren Geldern.

Infrastruktur ist aber nur eine Säule beim digitalen Unterricht, genauso wichtig, wenn nicht sogar entscheidender sind die didaktischen Konzepte. Homeschooling setzt voraus, dass die Lehrer mit der Technik umgehen können und das Lehrkonzept auf die neue mediale Ausrichtung abgestimmt ist. Durch verpflichtende, regelmäßige Fortbildungen könnten Lehrkräfte eigene Digitalkompetenzen ausbauen und festigen. Es geht darum, den pädagogisch sinnvollen Einsatz digitaler Medien im Unterricht praxisbezogen zu trainieren. Schon während der Lehramts- und Referendariats-Zeit sollte Medienpädagogik zudem als prüfungsrelevanter Bestandteil verankert werden.  

Erkenntnis 2: Zu viel Bürokratie bremst Innovationen aus.

Bereits 2019 hat der Bund mit dem Digitalpakt Schule ein Förderprogramm für den Aufbau digitaler Infrastrukturen an Schulen, etwa zur Installation eines WLANs oder zur Anschaffung von Smartboards, aufgelegt. Aus dem mittlerweile auf rund sieben Milliarden Euro angewachsenen Paket sind nach Angaben von Bund und Ländern bis Ende 2020 nicht einmal 1,4 Milliarden Euro abgeflossen oder bewilligt worden. Zwar kam in der Pandemie ein wenig mehr Bewegung in die Sache, trotzdem werden starre Prozesse zu einem echten Hemmnis. Gelder fließen immer erst dann, wenn eine Investitionsmaßnahme abgeschlossen ist und die Rechnung vorliegt. Zuvor muss ein komplizierter Verwaltungsprozess inklusive dem Einreichen detaillierter Medienkonzepte durchlaufen werden, der in jedem Bundesland anders gestaltet ist.

Die Bildungsverantwortlichen sollten sich lieber an agilen Projektmethoden, die in der Wirtschaft bereits gang und gäbe sind, orientieren: kurze Sprints, regelmäßige Reviews und ein entsprechendes Nachbessern. Das heißt, digitale Lernkonzepte finanziell fördern, ohne dass alles bereits von A bis Z durchgeplant ist.

Erkenntnis 3: Technologie schließt keineswegs die digitale Kluft.

Es ist paradox – die Gefahr, dass die bereits existierende Schere in puncto Digitalisierung breiter wird, wächst ausgerechnet mit dem Einzug der Technologie, die eigentlich alle verbinden soll. Kindern, denen digitale Geräte und Angebote nicht offenstehen, verlieren bildungstechnisch den Anschluss. Hier sollte sich Deutschland ein Beispiel an seinen europäischen Nachbarn im Norden nehmen. Was die Ausstattung und Ausbildung mit technischen Geräten und modernen Medien betrifft, sind Länder wie Estland, Schweden oder Finnland Vorreiter. Bei Bedarf wird vom Staat ein Laptop gestellt, Familien mit schulpflichtigen Kindern haben das Recht auf einen kostenlosen Internetanschluss.

Digital-Lotsen für Schüler und Studenten mit Kompetenzlücken oder andere „Peer-to-Peer-Ansätze“, um Nachhilfe zu geben, sind sinnvolle Optionen. Gleichzeitig hilft ein digitales Klassenzimmer, den Unterricht dank moderner Technologien vielfältiger und integrativer zu gestalten.

Erkenntnis 4: Eine App anklicken kann jeder, aber Programme entwickeln fast keiner.

Die IT wird immer mehr zum integralen Bestandteil eigentlich jeder Branche. Künftig werden fundierte IT-Kenntnisse zu einer grundlegenden Fähigkeit. Zwar sind bereits Kleinkinder von virtuellen Welten fasziniert, die Kompetenz der Digital Natives beschränkt sich aber meistens auf die reine Nutzung: So wissen die Kinder und Jugendlichen von heute, wie man mit Apps umgeht, nicht aber, wie sie technisch funktionieren. Ein verpflichtendes Schulfach „IT“, wie in anderen europäischen Ländern Standard, ist die Antwort darauf. Nicht viel anders sieht es bei der Weiterbildung für Erwachsene aus – lebenslanges Lernen ist heute ein Muss. 

Das digitale Zeitalter setzt gute Konzepte für die Bildung voraus. Keinesfalls dürfen wir nach der Krise den Status quo wiederherstellen, sondern müssen die Chancen nutzen. Die Digitalisierung macht das deutsche Bildungssystem – ob nun Schule, Ausbildung oder Universitäten – effizienter. Die Ausstattung mit Technik ist nur der erste Schritt. Die große Aufgabe liegt darin, alle Beteiligten so zu motivieren, dass Technologien Lernformate wirklich modernisieren.

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Zur Person:
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