Biomasse – Rohstoff der Zukunft
Erdöl ist der wichtigste fossile Energieträger. Es wird vor allem als Treibstoff sowie zum Heizen und Kühlen genutzt. Außerdem kommt es als industrieller Rohstoff zum Einsatz, zum Beispiel in der Kunststoffproduktion. Die Erdölvorräte sind jedoch begrenzt und ihre Nutzung bringt zusätzliche Treibhausgase in die Atmosphäre ein – mit schädlichen Folgen für das Klima.
Vielversprechende Alternativen sind rezyklierte Materialien, Rohstoffe auf Basis von CO2 – und pflanzliche Biomasse: Auch diese liefert das Element Kohlenstoff und damit den Basisbaustein für Kunststoffe. Als nachwachsender Rohstoff schont sie jedoch fossile Ressourcen und ermöglicht die Herstellung nachhaltigerer Produkte.
Biomasse ist auf dem Vormarsch. Rund ein Prozent aller Kunststoffe weltweit werden daraus hergestellt, bis 2025 mit einem geschätzten Wachstum von acht Prozent pro Jahr[1]. In der Industrie der Europäischen Union beträgt der Biomasseanteil sogar schon 14 Prozent[2]. Die wichtigsten Quellen sind „klassische“ und damit effiziente Futterpflanzen wie Mais, Raps oder Zuckerrüben. Zunehmend rücken auch Rohstoffe der zweiten und dritten Generation in den Blick, zum Beispiel Stroh, Holz, Algen oder Sägespäne, die in großen Mengen zur Verfügung stehen, zum Teil als Abfall. Eine weitere wichtige Ressource sind Bioabfälle wie zum Beispiel Essensreste. Bis zu ihrer industriellen Nutzung ist noch viel Forschungsarbeit zu leisten, aber diese neuen Alternativen bieten ein enormes Potenzial und erweitern das bisherige Produktportfolio erheblich.
Kunststoffbausteine, die aus Biomasse hergestellt wurden, können die gleiche Struktur haben wie die konventionellen Bausteine und diese somit 1:1 ersetzen (drop-in). Hier kann die Massenbilanzierung ein schneller Weg sein, um biobasierte drop-in-Lösungen unmittelbar in die Wertschöpfungskette zu integrieren, ohne dass große Investitionen oder Anpassungen der vorgelagerten Infrastruktur und Prozesse notwendig sind. Darüber hinaus bietet Biomasse als neue Rohstoffquelle auch Zugang zu Kunststoffbausteinen mit neuartigen Strukturen, die interessante Eigenschaften bei den Kunststoffen bewirken können.
„Biomasse bietet als neue Rohstoffquelle auch Zugang zu Kunststoffbausteinen mit neuartigen Strukturen, die interessante Eigenschaften bei den Kunststoffen bewirken können.“
Dr. Vera Eßmann
Kohlenstoff im Kreis fahren
Werden Kunststoffe nach ihrer Nutzung recycelt, dann wird der darin enthaltene Kohlenstoff im Kreis geführt. Das trägt zum Klimaschutz bei und ist der Grundgedanke der Kreislaufwirtschaft, die zum globalen Leitprinzip werden muss. Die Nutzung alternativer Rohstoffe ist eine wichtige Säule des strategischen Programms, mit dem sich Covestro voll auf die Kreislaufwirtschaft ausrichten und schließlich selbst zirkulär werden will. Deshalb nutzt das Unternehmen schon seit Jahren biobasierte Ausgangsstoffe für die Entwicklung und Herstellung seiner Produkte und reagiert auch auf das wachsende Verbraucherinteresse an nachhaltigen Erzeugnissen.
Ein wichtiges Kriterium ist dabei die Herkunft der verwendeten Rohstoffe. Das Unternehmen will fossile Bausteine zunehmend durch nachwachsende ersetzen. Die Biomasse bindet bei ihrer Entstehung CO2 und kann damit den ökologischen Fußabdruck zusätzlich senken. Voraussetzung für eine erfolgreiche Markteinführung ist jedoch auch, dass biobasierte Produkte mindestens die gleichen guten Eigenschaften zeigen wie vergleichbare Erzeugnisse auf petrochemischer Basis und diese in der laufenden Produktion nahtlos ersetzen können.
Breites Produktportfolio
Zum Portfolio zählt etwa ein Lackrohstoff, dessen Kohlenstoffgehalt zu 70 Prozent auf Biomasse basiert. Er wird in anspruchsvollen Anwendungen wie zum Beispiel Autolacken eingesetzt und wurde bereits in einem Klarlack unter seriennahen Bedingungen erfolgreich getestet. Covestro hat auch verschiedene Vorprodukte für wässrige Holz- und Möbellacke entwickelt, die zum Teil aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt werden. Hinzu kommen Rohstoffe für die Textilbeschichtung sowie für Kosmetika, außerdem Produkte eines TPU-Kunststoffs. Eine teilweise biobasierte Folie aus dem Hochleistungskunststoff Polycarbonat rundet das Angebot ab. Sie kann in der Automobil-, Elektro- und Konsumgüterindustrie verwendet werden.
Auch die verstärkte Nutzung massenbilanzierter Rohstoffe gehört zur schrittweisen Umstellung der Produktion auf alternative Quellen. Erst kürzlich wurden die Standorte Antwerpen und Krefeld-Uerdingen nach dem ISCC Plus-Standard zertifiziert. Damit erfüllen nun die kompletten rückwärts gerichteten Wertschöpfungsketten für die Produktion von Polycarbonat und MDI die hohen Nachhaltigkeitsanforderungen dieses international anerkannten Standards. MDI ist ein wichtiges Vorprodukt für die Herstellung von Polyurethan-Hartschaum, der für eine effiziente Wärmedämmung von Gebäuden und Kühlgeräten sorgt. Covestro kann seinen Kunden nun große Mengen dieser Produkte in gleich guter Qualität wie ihre fossil-basierten Pendants anbieten. Kunden erhalten damit Zugang zu drop-in-Lösungen, die sie ohne technische Umstellung sofort in ihren bestehenden Herstellprozessen einsetzen können.
Unser Autorin Dr. Vera Eßmann
Dr. Vera Eßmann war seit 2018 bei Covestro zunächst als R&D Manager für biobasierte Rohstoffe tätig und ist nun Laborleiterin für Polyurethan-Dispersionen im Segment Coatings, Adhesives, Specialties. Im strategischen Kreislaufwirtschaftsprogramm des Unternehmens koordiniert sie den Einsatz biobasierter Rohstoffe. Vera Eßmann wurde nach dem Studium der Biochemie in Bochum, Stockholm und Lund bei Prof. Schuhmann im Bereich Elektrochemie promoviert.
Internationale Forschungskooperationen
Aber die Nachfrage steigt und damit auch der Wunsch nach neuen Produkten, die in einer Vielzahl weiterer Anwendungen und Branchen eingesetzt werden können. Hier arbeitet das Unternehmen in verschiedenen Forschungs- und Entwicklungsprojekten mit Partnern aus Wirtschaft und Wissenschaft zusammen. So wurde gemeinsam mit Partnern ein völlig neues Verfahren entwickelt, um den wichtigen Kunststoffbaustein Anilin komplett aus pflanzlicher Biomasse zu gewinnen. Nach erfolgreichen Laborversuchen geht es nun darum, die Herstellung in den technischen und schließlich industriellen Maßstab zu überführen.
Außerdem hat das Unternehmen und elf weitere Partner aus acht europäischen Ländern in dem von der EU geförderten Forschungsprojekt PERCAL zusammengearbeitet. Ziel war es zu untersuchen, wie sich organische Bestandteile von Siedlungsabfällen als Rohstoffe nutzen lassen. Für Covestro ging es darum, die wichtige Chemikalie Bernsteinsäure zu gewinnen. Daraus werden Bausteine für Polyurethan-Dispersionen – sogenannte Polyole – hergestellt. Die Dispersionen könnten wiederum in Textilbeschichtungen verwendet werden.
Die EU-Förderprojekte SMARTBOX und BioCatPolymers beschäftigen sich mit der Verwertung nachwachsender Rohstoffe wie Lignin, Cellulose und Biomasseabfällen. Dabei erforschen Unternehmen und akademische Einrichtungen, wie daraus hochwertige Produkte gewonnen werden können. Vorprodukte zur Herstellung von Polycarbonat und von TPU stehen hier im Mittelpunkt des Interesses.
[1] For the first time: Growth rate for bio-based polymers with 8 % CAGR far above overall polymer market growth – Bio-based News – (bio-based.eu)
[2] Piotrowski, S., Carus, M. and Carrez, D. (2018). European Bioeconomy in Figures 2008 – 2015, 2.
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