Das New Normal ist nachhaltig

Autor: Ronald Focken

Corona und die Folgen für die Nachhaltigkeit – wie wir die positiven Effekte nutzen können

Irgendwann werden für Corona dankbar sein. Dankbar dafür, dass die Corona-Krise Nachhaltigkeitskonzepte auf unterschiedlichsten Ebenen extrem beschleunigt hat. Die Wirtschaft ebenso wie Behörden und Organisationen stehen unter erheblichem Anpassungsdruck. Sie müssen neue Verfahren entwickeln, um unter den Pandemiebedingungen ihre Geschäfte und ihre Aufgaben zu erledigen. Viele Menschen verändern ihre Gewohnheiten und auch ihre Lebensentwürfe.

Die aktuelle Situation mit seinem Veränderungszwang wird zwar in vielen Bereichen als Stress wahrgenommen, aber sie wird unsere Gesellschaft und ebenso das geschäftliche Miteinander nachhaltig verändern. Corona ist nicht an allem schuld, aber es wirkt als Beschleuniger auf alles.

Corona hat die in Deutschland zu großen Teilen bislang so sträflich vernachlässigte Digitalisierung vorangetrieben. Sie hat endlich die notwendigen Verfahren etabliert, gegen die sich viele noch vor wenigen Monaten gewehrt hatten. Liebgewonnene, festverankerte Methoden lassen sich unter den neuen Bedingungen nicht mehr verteidigen. Das erzwungene Umdenken ist ein Segen, weil es die absolut notwendigen Entwicklungen in einer Weise beschleunigt, die davor nahezu undenkbar war. 

Unser Autor

Ronald Focken ist Geschäftsführer bei Serviceplan und gilt als einer der führenden Markenführungs-Experten.

Er beginnt seine Karriere in der Werbebranche als Kundenberater bei der FCB Gruppe sowie bei Economia in Hamburg. Anschließend arbeitet er bei Scholz & Friends als Etatdirektor und wechselt 1990 zur Serviceplan Gruppe nach München. Seit dem Jahr 2000 wirkt Focken als Geschäftsführer und Gesellschafter bei Serviceplan. Privat findet er seinen Ausgleich beim Joggen, Segeln oder Fahrradfahren.

Beschleunigte Umsetzung der Agentur-Pläne

Die Serviceplan Group beispielweise hat vor rund 1,5 Jahren ihre Nachhaltigkeitsinitiative gestartet. Dieses Projekt war und ist wichtig, weil wir mit den natürlichen Ressourcen sparsam umgehen und die CO2-Belastung durch unsere Arbeit verringern wollen. Damit wollten wir auch eine Leuchtturmfunktion innerhalb der Agentur- bzw. Beratungsbranche einnehmen und so für einen starken Impuls sorgen.

Die ersten Maßnahmen sind einfach nachzuvollziehen: Beispielsweise hatten wir bereits 2019 für das folgende Jahr geplant, Reisen zu Kundenterminen oder Events massiv zu reduzieren und nur noch unverzichtbare durchzuführen. Spezielle Reisen sind seit damals in unserem internen Organisationstool aktiv gesperrt und können erst nach Genehmigung freigegeben werden. Alle Fahrten in einem Umkreis von 400 km sind beispielsweise nur noch mit dem Zug zugelassen.

„Die Zeiten der langsamen und langfristig ausgelegten Umgestaltung ist vorbei.“

Nachhaltigkeit ist das neue Normal

Auch die Regelungen für mehr Home-Office und Kundentermine per Videokonferenz wurde da bereits etabliert. Durch Corona haben sich die Umsetzung dieser Pläne natürlich extrem beschleunigt und auch die Akzeptanz der Maßnahmen bei allen Beteiligten und auf allen Entscheidungsebenen grundsätzlich erhöht.

Nachhaltigkeit ist jetzt für das gesamte Team ebenso wie für Kund:innen und Kooperationspartner:innen kein lästiger Verzicht mehr, Nachhaltigkeit hat ein neues Level von Normalität erreicht. Nachhaltiges Handeln ist für viele im täglichen Leben selbstverständlich geworden ohne, dass sie es als solches empfinden.

Nachhaltigkeit ist ein Lernprozess

Natürlich ist Nachhaltigkeit kein Thema allein für uns als Agentur. Es wird auch für alle Industriebereiche relevanter. Was sich aktuell ereignet ist eine tektonische Verschiebung – und sie beschleunigt sich. Viele Unternehmen wissen, wie notwendig ein Umdenken ist, aber erst jetzt merken sie, dass das Klimarisiko ein Geschäftsrisiko ist und sie ganz konkret selbst betrifft. Der Handlungsdruck nimmt auf allen Ebenen zu und ein Aussitzen ist nicht mehr möglich.

Viele Kunden kommen jetzt auf uns zu wollen sehen, was wir als Beratungsagentur machen, welche Lehren gezogen wurden und welche Erfahrungen wir gemacht haben. Das Gute ist, sie können von unseren Learnings profitieren und gemeinsam können wir entscheiden, was sich sinnvoll übertragen lässt. Die Aufgabe ist klar, wir müssen unseren Beitrag dazu leisten und das gesammelte Know-how weitergeben.

Auch das ist ein Grund, warum wir unsere Anstrengungen verstärken. Im Frühjahr 2021 haben wir zum Beispiel eine „Green Week“ bei Serviceplan geplant. Eine Woche lang steht dann das Thema Nachhaltigkeit ganz oben und wird in vielen Aktionen gespielt. Gleichzeitig halten Expert:innen und Vordenker:innen Vorträge zu den unterschiedlichen Themen-Facetten, die aber alle eines gemeinsam haben: Es geht um die Umsetzung, nicht um philosophisch-politische Gedankenspiele. Und natürlich wollen wir uns nicht nur die Business-Ebene beschränken, sondern ebenso die Übertragungsmöglichkeiten ins private Umfeld aufzeigen.

Strukturelle Veränderungen sind Pflicht

Wir stehen vor dem ultimativen Langzeitproblem, dem sich jede Regierung, jedes Unternehmen und jeder Mensch stellen muss. Die Zeiten der langsamen und langfristig ausgelegten Umgestaltung ist vorbei. Es geht darum, sich strukturell zu verändern – und zwar jetzt. Aktuell ist die beste Zeit dafür. Noch beherrschen aber andere Themen die Agenda vieler Unternehmen. Doch sie merken, dass sie handeln müssen und das nicht nur, weil Nachhaltigkeit eine Marketing-Kategorie oder besonders wirkungsvolles Verkaufsargument ist.

Es handelt sich um nicht weniger als eine Zeitenwende, bei der es nicht mehr allein damit getan ist, auf den Klimawandel zu reagieren. Larry Fink, der CEO von Blackrock, bringt es auf den Punkt, wenn er sagt: „Kein Thema hat eine höhere Priorität. Selbst in der Corona-Krise hat der Kampf gegen die CO2-Emissionen für uns als weltweit größten Asset-Manager absolut Vorrang. Das Ziel muss immer lauten: Klimaneutralität.“  

Die Folgen dieses Umdenkens sind fundamental. Das globale Wirtschaftsmodell, wie wir es bislang kannten, ändert sich auf regulatorischer, technologischer und geopolitischer Ebene. Jedes einzelne Unternehmen muss sich diesen und weiteren Herausforderungen stellen, etwa dass immer mehr Menschen, die Fokussierung auf die Unternehmensrendite infrage stellen, die Funktionsweise des kapitalistischen Systems reformieren möchten und darauf bestehen, dass bestehende Geschäftsmodelle überdacht werden.

Produkte müssen neu gedacht werden

Es sind gerade die Jüngeren, die das lautstark und vehement fordern. Nachhaltigkeit ist auch eine Generationenfrage und sie wird deshalb zunehmend zum entscheidenden Kriterium für Unternehmen und ihre Produkte. Diese werden inzwischen viel stärker hinterfragt als früher. Reine Markenloyalität reicht dabei längst nicht mehr aus. Nehmen wir ein ganz normales Körperhygiene-Produkt wie ein Shampoo. Während sich früher kaum jemand für die umhüllende Plastikflasche interessiert hat, sondern nur für die inhaltlichen Bestandteile, wird die Verpackung nun zum kaufentscheidenden Faktor – oder eben zum Faktor, der einen Kauf verhindert. Millionenfach greifen Konsument:innen statt zur bisher üblichen Flasche mit flüssigem Haarwaschmittel zum Festen Shampoo, weil sie damit Plastikmüll sparen.    

Gleichzeit erhält der soziale Faktor einen höheren Stellenwert. Bestes Beispiel ist das junge Unternehmen „Market Share“ aus Berlin. Sein „1+1 Prinzip“ ermöglicht es, sich selbst etwas Gutes zu tun und gleichzeitig einem Menschen in Not zu helfen: Jeder Snack spendet eine Mahlzeit, jedes Pflegeprodukt ein Hygieneprodukt, jedes Getränk einen Tag Trinkwasser und jeder Schreibwarenartikel spendet eine Schulstunde.

„Wer jetzt nicht handelt, wird nicht nur seine Kund:innen verlieren, sondern gefährdet auch seine komplette Geschäftsbasis.“

Mehr als eine Zeitgeisterscheinung

Konsum kombiniert mit einem sozialen Konzept ist nicht nur bloßer Zeitgeist und eine Beruhigung für das Gewissen in den Industrieländern. Er ist eine Aufforderung an Unternehmen, ihre gesamte Produktpolitik zu überdenken und zu verändern. Entwicklung, Produktion und Vertrieb sowie das Marketing müssen diese strukturelle Veränderung nachvollziehbar widerspiegeln. Sie müssen beweisen, dass sie den sozialen Aspekt, die gesellschaftliche Verantwortung und die Ausrichtung auf den Gemeinsinn nicht nur kosmetisch aufweisen.

Denn die jungen Startups und neuen Produktlinien stehen in direktem Wettbewerb mit den etablierten Konzernen wie Henkel, Procter & Gamble und Unilever und sie setzen sich in vielen Bereichen sehr erfolgreich durch. Die Pandemie wirkt hier wie ein Katalysator. Wer nicht abgehängt werden will, muss nun mitziehen, wer die Zukunft gestalten will, muss in sie investieren. Wer nicht streng zu sich selbst und bereit ist, festgefahrene Strukturen und Handlungsweisen aufzugeben, wird überholt werden.

Wert des Gemeinsinns steigt

Denn Marktanteile werden heute auch über echte Nachhaltigkeit gewonnen. Die Konsument:innen sind zu Recht skeptisch gegenüber Greenwashing und Pseudo-Nachhaltigkeit geworden. Wirtschaftlicher Erfolg und Markenwert definiert sich heute anders und bemisst nach erweiterten Faktoren, etwa dem Ressourcenverbrauch.

Corona hat in diesem Sinn den Gemeinsinn massiv gefördert, und auch die Wahrnehmung umgekehrt, was wahren Reichtum und Status ausmacht. Nur möglichst viel Geld zu verdienen und mit dem Privat-Jet um den Globus zu fliegen, sind nicht mehr die Symbole, auf die es noch ankommt. Dieser Werte- und Imagewandel in vielen Bereichen wird sich auch nach der Pandemie fortsetzen.

Die Werteverschiebung lässt sich auch bei Bewerber:innen feststellen. In den Gesprächen beziehen sich die ersten Fragen nahezu immer darauf, was Unternehmen für die Nachhaltigkeit tun und wie sie ihrer sozialen Verantwortung gerecht werden. Kaum jemand will für Marken arbeiten, die hier nicht punkten können. Das ist natürlich eine spannende Entwicklung für das Employer Branding, aber es erhöht auch den Druck auf das Management.

Dieser revolutionäre Ansatz betrifft alle

Forderungen kommen auch von politischen Organisationen und supranationalen   Entscheidergremien. Der EU etwa setzt immer strengere Maßstäbe an, wenn es Klimaneutralität geht. Versuchen sich viele Unternehmen auf ihre nachhaltigen Errungenschaften bei ihrer Produktion zu fokussieren, will Brüssel auch die Lieferkette und die Produkte einbezogen wissen.

Der Kerngedanke dabei ist, das Business nicht grüner zu machen, sondern es strukturell anders und neu zu machen. Das ist ein durch und durch revolutionärer Ansatz, der alle Unternehmensbereiche umfasst – und dem sich kein Unternehmen mehr entziehen kann. Wer jetzt nicht handelt, wird nicht nur seine Kund:innen verlieren, sondern gefährdet auch seine komplette Geschäftsbasis.  

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