Nachdem die Digitalisierung in den meisten Unternehmen Einzug gehalten hat, ist derzeit das Thema Künstliche Intelligenz (KI oder AI für Artificial Intelligence) in aller Munde. Unbestreitbar ein Hype, bei dem es sich nichtsdestotrotz lohnt, hinter die Kulissen zu schauen. Eine besonders angeregte Diskussion ist um den Einsatz von KI-Anwendungen im Geschäftskunden-Vertrieb entstanden. Aber was verbirgt sich eigentlich hinter dem Begriff KI? Wo ist künstliche Intelligenz heute schon erfolgreich im Einsatz? Und wie profitiert insbesondere der Vertrieb von intelligenten Anwendungen?

Es ist uns kaum bewusst, dass Künstliche Intelligenz bereits viele Bereiche unseres Alltags durchdringt: Wer Sprachassistenten wie Siri oder Alexa verwendet, ein Bild in sozialen Netzwerken postet oder Serien-Empfehlungen bei Streaming-Diensten folgt, kommt unweigerlich mit KI in Berührung. Unternehmen nutzen intelligente Technologien bisher vor allem, um ihre Produktions- und Logistik-Prozesse zu automatisieren. Während es hier relativ schlüssig erscheint, auf die Intelligenz von Maschinen zu setzen, geraten jetzt zunehmend Disziplinen in den Fokus, bei denen der Einsatz von KI vor kurzem noch gar nicht vorstellbar war – wie zum Beispiel der B2B-Vertrieb, der in vielen Unternehmen eine Domäne der zwischenmenschlichen Entscheidungssteuerung ist: Häufig gilt der Vertriebler mit dem besten persönlichen Netzwerk und dem richtigen Bauchgefühl als Schlüsselfaktor für eine erfolgreiche Abschlussquote. Mithilfe von KI könnte sich das jetzt ändern. 

KI – die wichtigsten Definitionen

Ganz einfach ausgedrückt, bedeutet künstliche Intelligenz, dass Computer Aufgaben lösen sollen, die – sofern sich Mitarbeiter selbst um deren Bewältigung bemühen würde – den Einsatz menschlicher Intelligenz erfordern. Das Konzept ist grundsätzlich nicht neu. Bereits in den 1950er Jahren wissenschaftlich diskutiert und seit den 1960ern kontinuierlich weiter erforscht, ist der Durchbruch von KI-Szenarien in der Geschäftswelt aber lange ausgeblieben. Erst die grundlegenden Veränderungen der letzten zehn Jahre, wie etwa die Möglichkeiten, riesige Datenmengen kostengünstig in der Cloud zu speichern und mit einer exponentiell gesteigerten Rechenleistung verarbeiten zu können, sorgen nun für ein rasch wachsendes Interesse an KI-Anwendungen. Besonders häufig fallen die Begriffe Machine Learning, Deep Learning und Predictive Analytics.

  • Machine Learning umfasst Algorithmen, die Verhaltensmuster aus Daten ableiten. Anstatt programmierte Regeln zu befolgen, bekommt der Computer ein bestimmtes Ziel vorgegeben: Er lernt, aus dem Input sehr vieler Beispieldaten ein eigenes Ergebnis abzuleiten.
  • Deep Learning ist ein Teilbereich des Machine Learnings und stellt mit Algorithmen das neuronale Netzwerk des Gehirns nach – mit dem Ziel, einen bestimmten Themenbereich kennen und entsprechende Aufgaben lösen zu lernen. Die künstlichen neuronalen Netze erstrecken sich über viele sehr tiefe Ebenen („deep“) und nutzen große Datenvolumina.
  • Predictive Analytics verwendet historische Daten, um zukünftige Ereignisse vorherzusagen. Dabei werden sehr große Datenmengen aus der Vergangenheit analysiert und gemeinsam mit vielen weiteren Faktoren verwendet, um Vorhersagen über Entwicklungen in der Zukunft treffen zu können.

Für die Vertriebsabteilung von Unternehmen hält insbesondere das Konzept der Predicitve Analytics schon jetzt zahlreiche Anwendungen bereit.

Vorhersagen und Handlungsempfehlungen im Vertrieb

Planung und Forecasting machen einen großen Anteil des Arbeitsalltags eines Vertrieblers aus: Wie werden sich Kunden verhalten und welche Verkaufsmaßnahmen können entsprechend erfolgreich sein? Wie groß sind die Abschlusswahrscheinlichkeiten der offenen Leads? Welcher Umsatz kann daraus im nächsten Geschäftsjahr resultieren? Bei der Lösung solch allgegenwärtiger Problemstellungen ist KI dem Menschen weit überlegen. Bei derartigen Fragestellungen kann sie ihre große Stärke ausspielen: die Analyse riesiger Datenmengen. Indem Predicitve-Analytics-Tools automatisiert und schnell ein großes Spektrum an Daten aus verschiedensten Quellen untersuchen (historische und aktuelle Daten, interne und externe Daten, unternehmensindividuelle und makroökonomische Daten etc.), nehmen sie den Vertriebsmitarbeitern das zeitaufwändige und oft lästige Forecasting ab. Die Prognose von konkreten zukünftigen Abschlusswahrscheinlichkeiten und Umsätzen geling KI-unterstützt schneller und ist vor allem deutlich genauer. Schließlich wird der Forecast unabhängig von persönlichen Einschätzungen und auf einer unvergleichbar hochwertigeren Datenbasis erstellt.

Mehr Zeit für wertschöpfende Aufgaben

Zudem schätzen ergänzende KI-Anwendungen den Bedarf und die Kaufbereitschaft von Neu- und Bestandskunden ein. Hierfür erstellt das System bei neuen Anfragen automatisch ein Scoring, d.h. mithilfe seiner selbstlernenden Eigenschaften bewertet es Abschlusswahrscheinlichkeiten, die Dauer des Sales-Prozesses, die Qualität der Leads u.v.m. Durch die Priorisierung der Leads gemäß Abschlusswahrscheinlichkeiten können sich Vertriebsmitarbeiter auf die vielversprechendsten Anfragen konzentrieren und schneller reagieren. Damit gehen moderne KI-Lösungen weit über Vorhersagen hinaus: Sie geben dem Vertrieb konkrete Handlungsempfehlungen (Recommendations). Neben genaueren Prognosen und einer verbesserten Entscheidungsfindung offenbaren sich deutliche Zeitgewinne als wesentlicher Nutzen des KI-Einsatz: Die gewonnene Zeit kann der Vertriebsmitarbeiter direkt in die Pflege der Kundenbeziehungen investieren.

Herausforderungen und offene Fragen

Obwohl die zahlreichen Vorteile, die KIT bietet, durchaus überzeugend sind, gibt es Vorbehalte gegen die intelligenten Helfer-Tools. Viele Vertriebsmitarbeiter befürchten, dass sie durch KI ersetzt werden könnten. Diese Sorge entsteht meist aus Unwissenheit über die Technologie oder aus der Angst, das eigene, harterarbeitete Know-how mit Kollegen teilen zu müssen. Für Abhilfe ist dann gesorgt, wenn das Management die Grundprinzipien und das Potenzial der intelligenten Systeme verständlich vermittelt. Es sollte transparente Strukturen schaffen und aufzeigen, dass die Chancen von KI in der Erweiterung der eigenen Fähigkeiten und Aufgaben liegen. Das größte Hindernis auf dem Weg zu einem KI-gestützten Vertrieb ist jedoch der Gebrauch einer zu kleinen und qualitativ schlechten Datenbasis. Auf Grundlage weniger historischer Daten können künstliche Systeme keine präzisen Vorhersagen und nützlichen Handlungsempfehlungen treffen. Mit der Einführung einer KI-basierten Lösung muss demnach eine neue Unternehmenskultur der Datenerfassung und -pflege einhergehen. Es ist zudem unerlässlich, dass die Systeme laufend kontrolliert und korrigiert werden. Schließlich machen auch KI-Anwendungen Fehler. Im Unterschied zu konventionellen IT-Systemen lernen KI-Lösungen aber durch fortlaufende Korrekturen dazu und können dadurch immer verlässlichere Prognosen erstellen. Auch in rechtlicher Hinsicht stellen sich aktuell noch viele Fragen: Wenn Leads von KI fälschlich als nicht aussichtsreich eingestuft werden und somit Umsatz verloren geht, wer ist dann verantwortlich? Der Hersteller des KI-Systems? Oder der Vertriebsmitarbeiter? Dazu wird es sorgfältige Überlegungen brauchen.

Konkrete Schritte für den B2B-Vertrieb

Der Nutzen von KI steht und fällt mit den verwendeten Daten. Unternehmen sind deshalb gut beraten, in eine CRM-Lösung zu investieren, die durch die Integration unterschiedlichster Datenquellen und mit entsprechender Pflege eine solide und saubere Datenbasis schafft. Im besten Fall beinhaltet das System bereits Technologien zur intelligenten Unterstützung des Vertriebs. Etablierte Anbieter wie SAP (mit „Leonardo“), SugarCRM (mit „Hint“) oder SalesForce (mit „Einstein“) haben ihre CRM-Palette bereits um sinnvolle und einfach nutzbare KI-Tools erweitert, die die oben beschriebenen Aufgaben erfüllen. Derart verstärkt, kann sich das CRM-System vom einfachen Verzeichnis der Kunden- und Vertriebsdaten zum Dreh- und Angelpunkt eines KI-unterstützten Vertriebs wandeln. Gleichzeitig empfiehlt sich eine umsichtige Heranführung der Mitarbeiter an KI-optimierte Vertriebsabläufe mit großem Potenzial. Erst wenn Vertriebsteams verstehen, wie KI funktioniert, können sie die Lösungen als transparente und vertrauenswürdige Unterstützung annehmen. Ein lebendiger Austausch zwischen Management, Vertrieb und IT ist von Vorteil, wenn der Vertrieb auf Grundlage von KI-Anwendungen seine Prozesse Schritt für Schritt modifiziert.

KI als wertvolle Unterstützung des Vertriebs

KI-Anwendungen können die Effizienz und Produktivität im B2B-Vertrieb enorm steigern: Vertriebsentscheidungen mithilfe intelligenter Algorithmen sind Bauchentscheidungen weit überlegen. Es gibt bereits eine ganze Reihe von Tools, beispielsweise zu Predicitve Analytics, welche die Mitarbeiter bei zeitaufwändigen, wiederkehrenden Aufgaben entlasten und darüber hinaus die Kundenbindung stärken. Einzug in den B2B-Vertrieb hält KI derzeit vor allem über die bekannten Software-Anbieter und ihre um KI-Technologien erweiterten CRM-Lösungen. Die Entwicklung befindet sich noch am Anfang, wird sich jedoch sehr schnell weiterentwickeln. Trotz ihrer unbestreitbaren Vorteile ersetzt KI weder die Intuition noch den menschlichen Weitblick. Alle hier gezeigten KI-Ansätze sind als „schwach“ einzuordnen, d.h. auf den jeweiligen Einsatzweck beschränkt. Viele Entscheidungen im Vertrieb erfordern eine Voraussicht, ein intellektuelles Abstraktionsvermögen und eine empathische Komponente, den die künstliche Intelligenz aus Daten nicht herauslesen kann. Vertriebsmitarbeiter sollten ihre Erfahrung und ihr Fachwissen in kritischen Geschäftsentscheidungen nutzen, sich dabei aber von KI unterstützen lassen. Diese Zusammenarbeit aus Erfahrung und Algorithmen eröffnet eine neue Definition des Vertriebsmanagements.

Über den Autor

Michael Märtin, geschäftsführender Gesellschafter von atlantis media

Michael Märtin ist geschäftsführender Gesellschafter der atlantis media GmbH, eines erfahrenen IT-Dienstleisters im Bereich Digitalisierung. Nachdem er das Unternehmen 1994, zunächst mit Fokus auf die Entwicklung von Branchensoftwarelösungen, gegründet hat, erweiterte Märtin das Portfolio sukzessive um die Themen Internet, E-Commerce und digitale Geschäftsprozesse. Heute realisiert atlantis media komplexe Projekte in den Bereichen Data & Analytics, E-Commerce und Web-Solutions. Das Unternehmen hat seinen Firmensitz in Hamburg und beschäftigt über 30 Mitarbeiter. www.atlantismedia.de

CC BY-SA 4.0 DE

 
 
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