Mit datengetriebenen Geschäfts­modellen ringen Banken, FinTechs und Technologiegiganten um die Gunst der Kunden.

In Tübingen ging 1968 der erste Geldautomat Deutschlands in Betrieb, eine Erfolgsgeschichte, die erstmals Elektronik zu einem wichtigen Teil des Bezahlens machte, bevor 1979 die erste Debit-Funktion die Karte auf ein neues Level hob. Heute, in Zeiten von Online-Handel, digitalem Wandel und Rund-um-die-Uhr-Mentalität, steht Kartenzahlung vor ganz neuen Herausforderungen. Jetzt machen sich ca. 132 Millionen Mobilfunkanschlüsse daran, das nächste Kapitel beim Bezahlen einzuläuten.

„Die digitale girocard erweitert im ersten Schritt für Kunden die Bezahlmöglichkeiten im Handel und erlaubt ihnen, die Geldbörse in Zukunft auch mal zu Hause lassen zu können“, geht Albrecht Wallraf, Referent Retail Banking, Banktechnologie beim Bundesverband deutscher Banken e. V., auf die Möglichkeit des Bezahlens per Smartphone ein. Zukünftig könnte dies auch mit anderen Geräten, zum Beispiel Smartwatches, möglich sein. „Die digitale girocard ist damit ein entscheidender Teil der Zukunftsstrategie der Deutschen Kreditwirtschaft für das etablierte und erfolgreiche girocard- System.“

Während in den USA bereits 15 % und in China sogar 20 % der Bevölkerung mobiles Zahlen nutzen, sind es in Deutschland gerade mal 2 %. Allerdings fehlte bisher auch das Angebot, was sich seit Mitte des Jahres massiv ändert. Während die chinesischen Anbieter WePay und Alipay vor allem die wachsende Anzahl chinesischer Touristen anvisieren, begehren vor allem die amerikanischen Tech-Giganten Apple und Google (u. a. in Kooperation mit PayPal) mit ihren Bezahllösungen auf und fordern ein Stück vom Kuchen. Die deutsche Finanzwirtschaft setzt auf ihren Vertrauensvorsprung, um sich in diesem Wettbewerb zu behaupten. Mit 90 Prozent hat eine überwältigende Mehrheit der Kunden, laut einer GfK-Umfrage, großes oder sehr großes Vertrauen in die Bezahlverfahren der Banken und Sparkassen. „Dieses Vertrauen basiert auf der hohen Sicherheit und Zuverlässigkeit unserer Verfahren – sowohl bei der traditionellen Bankkarte aus Plastik als auch bei den digitalen Lösungen für das Smartphone“, so Albrecht Wallraf.

Unbestritten ist, das die Technologie und die Globalisierung die Gesellschaft, den Markt und schlussendlich den Wettbewerb verändern. „Der Digitalisierungsdruck macht vor der Bank nicht halt“, weiß auch Jörg Petersen, Vorstand der innobis AG. „Im hart um­kämpften Wettbewerb um Kunden sind Banken gefordert, durchgängig digitale Kundenprozesse und eine 24/7-Verfügbarkeit anzubieten.“ Vor allem aber müssen Banken in der Lage sein, die sich verändernden Kundenwünsche schnell zu identifizieren und innerhalb kürzester Zeit passgenaue Produkte und Dienstleistungen anbieten.

Die FinTech-Strategie der Banken

Daten und Ökosysteme

Grundlage neuer mit KI verbundener Dienstleistungen sind Kundendaten. Fehlen Informationen oder Interpretations-Know-how, können die Institute den Erwartungen nicht gerecht werden. Firmen wie Google, Apple, Facebook und Amazon (GAFA), die jetzt in den Finanzmarkt drängen, haben einen Wettbewerbsvorteil, erlaubt KI doch Big-Data-Analyse des GAFA-Datenfundus aus sozialen Netzwerken und Konsumverhalten und so eine präzise am Kunden ausgerichtete Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen.

Wollen hiesige Geldhäuser dagegenhalten, müssen sie sich selbst als Open-Banking-Ökosystem verstehen. Nur durch Zusammenarbeit kann eine wettbewerbsfähige Time to Market gewährleistet werden. Durch die PSD2 werden Banken aufgefordert, Drittanbietern Kundendaten für Dienst­leistungen zur Verfügung zu stel­len, sofern die Kunden ihre Zustim­mung geben. Banken sollten diese Richtlinie als Chance und nicht als Gefahr betrachten. Jetzt können sie auch selbst aktiv und rechtssicher Kooperationen mit FinTechs eingehen und ihren eigenen Endkunden ein Mehr an Dienstleistun­gen, auch als White-Label-Lösung, offerieren.

„Einige Banken scheinen zwar noch abzuwarten, aber sie werden sich entscheiden müssen, ob sie nur ein Bank­dienstleister werden wollen oder eine wichtige Rolle im Leben ihrer Kunden spielen möchten“, fasst es Alexey Rubt­sov, CEO der Zuper GmbH, zusammen. Dabei beginnen die Möglichkeiten, die künstliche Intelligenz in diesem Zusammenhang bietet, schon bevor man Kunde ist, beim digitalen Onboarding. Das von Zuper akquirierte Unternehmen Verify-U ist auf die digitale Identifikation per Video, Foto oder digitaler Signatur spezialisiert. „KI oder Machine Learning bietet eine Analyse biometrischer und physischer Dokumente, wodurch im Jahr 2018 bereits einiges möglich ist“, erläutert Rubtsov.

Einmal an Bord kann der Kunde bei seiner „offenen“ Hausbank auf ein ganzes Ökosystem finanzieller Produkte und Dienstleistungen zurückgreifen. Intelligente Algorithmen sind etwa in der Lage, das Konto zu analysieren, und bieten direkt eine Übersicht der Ausgaben für verschiedene Rubriken wie Lebenshaltungskosten, Versicherungen, Hobby, Wohnen, Sparen usw. Wenn gewünscht, werden auch direkt Optimierungsvorschläge, beispielsweise der Wechsel des DSL-Anbieters, vor­ge­schla­­gen. Wer einen Kredit beantragen möchte, wird nicht länger nur nach Schufa-Kriterien, sondern auch von einer KI beurteilt, wodurch ein faireres Scoring realisiert werden soll. Anträge werden nicht mehr mühselig ausgefüllt, sondern einem Chatbot diktiert, dessen Spracherkennung ohne KI undenkbar wäre.

KI im Hinterzimmer

Während die Möglichkeiten am digitalen Front-End für Kunden direkt nutzbar werden, sorgt auch im Hintergrund künstliche Intelligenz für einen Mehrwert: Zirka 70 Prozent aller Banken planen in End-to-End-Digitalisierung und „Robotic Process Automa­tion“ (RPA) zu investieren. Dabei hilft KI, aus frei von Kunden formulierten Texten Daten zu extrahieren und als strukturierte Daten für die weitere automatisierte Bearbeitung zur Verfügung zu stellen. Software-Roboter sind dadurch in der Lage, die Daten in eine Bildschirmmaske zu übertragen und weitere Prozessschritte anzustoßen.

Auch bei der nicht ebben wollenden Flut neuer Compliance-An­for­de­run­gen hilft KI. PSD2, MiFID II und die DSGVO sind nur die bekanntesten neuen Anforderungen. Mit über 600 Rechtsakten allein in den letzten zwei Jahren wird es für Finanzinstitute zunehmend schwieriger den Überblick zu behalten. In einer aktuellen Umfrage un­ter Anwendern in der Banken-, Finanzdienstleistungs- und Versicherungs­branche (BFSI) erklärten 19 Prozent der Befragten, dass die Einhaltung von Standards und Regulierungsmaßnahmen eine ihrer drei größten Herausforderungen sei.

Sogenannte RegTechs, auf „regulatory“ spezialisierte FinTechs, nut­zen neue Technologien wie künstliche Intelligenz und Blockchain, um dem wachsenden Kostendruck und dem Ruf nach mehr Prozesseffizienz zu begegnen. Federführend in dem Sektor sind irische FinTechs, die von der Regierung des Inselstaats besonders gefördert werden, wie aus der Strategie zur Entwicklung des irischen Finanzdienstleistungsbereichs IFS 2020 hervorgeht. Keine schlechte Idee, angesichts der Prognosen. „Experten sagen voraus, dass die RegTech-Branche immer schneller wachsen und bis 2020 weltweit Umsätze von 6,46 Milliarden US-Dollar erzielen wird“, liefert Jane Greene, Senior Market Advisor für den Bereich FinTech bei Enterprise Ireland, vielversprechende Zahlen.

Die jetzigen Anwendungsmöglichkeiten von RPA und KI sind dabei nur ein Zwischenschritt. Für die Banken ist es unerlässlich, die Chance aus der Daten­nutzung offensiv durch eine da­ten­ge­triebene Geschäftsstrategie zu ergreifen und dabei auch zukünftige Entwicklun­gen einzukalkulieren. In we­nigen Jah­ren wird KI nicht nur hinzulernen, sondern in der Lage sein, selbst neue Aufgaben zu erkennen und zu lösen. Durch derartig durchdigitalisierte Prozesse werden die Effizienz gesteigert und Kosten gesenkt – auch die der Bankberater. Der ehemalige Citigroup Chief Vikram Pandit prognostizierte Anfang dieses Jahres, dass 30 Prozent der Jobs im Bankenumfeld mit KI obsolet werden könnten. Ende 2002 arbeiteten noch über 750 000 Beschäftigte im deutschen Kreditgewerbe, Ende 2017 waren es nur noch 586 250. Jetzt machen sich KI und RPA daran, das nächste Kapitel einzuläuten. 

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Unser Autor:

Andreas Fuhrich
a.fuhrich@trendreport.de

CC BY-SA 4.0 DE

 
 
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