„Sind Aufsichtsräte transformationsfähig?“
Transformationsthemen liegen im Trend. Zahlreiche Betrachtungen über eine nachhaltige zukunftsfähige Gesellschaft versorgen uns mit großer Informationsfülle (umfassend: „Die große Transformation“, von Prof. Uwe Schneidewind), mit Zukunftsvisionen (Ranga Yogeshwar, „Nächste Ausfahrt Zukunft“ oder Yuval Noah, „Homo deus“) bzw. mit unternehmerischen Handlungsempfehlungen (Grassmann/Sutter, „Digitale Transformation“). Die darin thematisierten herausragenden globalen Themen sind unter anderem der Klimawandel und planetare Grenzen, exponentielle Technologiesprünge (Digitalisierung, KI u.a.) der Wandel in der Demografie, den Arbeitswelten, der Mobilität und der Gesellschaftlichen Werte sowie die wachsende Bedeutung von Cyber-Warfare.
Dieser Beitrag soll sich mit der Frage beschäftigen, welche Auswirkungen die Transformationsthemen auf die Führungsstruktur von Unternehmen auf der Ebene der Aufsichtsräte oder Beiräte haben. Nach meinen Beobachtungen aufgrund verschiedener Einzelgespräche und Diskussionen in unserem Think-Tank Netzwerk „Aufsichtsräte Mittelstand in Deutschland“ (ArMiD) lässt sich der Eindruck gewinnen, dass die Auseinandersetzung mit den fundamentalen Wandlungsprozessen gerade in mittelständischen Unternehmen sehr unterschiedlich und häufig schleppend verläuft. Oft liegt es daran, dass der zurückliegende Unternehmenserfolg dazu verführt, bestehende Geschäftsmodelle extrapolierend weiter zu betreiben. Zu diesem Ergebnis kommen auch zahlreiche Studien, von denen beispielhaft drei genannt werden sollen:
- Eine DZ-Bank- Studie stellt fest, dass obwohl über zwei Drittel der mittelständischen Unternehmen bereits Auswirkungen der Klimakrise auf ihr Unternehmen spürten, die Debatte um den Klimawandel nur bei jedem zehnten Unternehmen zu tatsächlichem in der Anpassung der Unternehmensstrategie verankerten Umdenken (Klimawandel und Mittelstand – Herausforderungen aus Unternehmensperspektive) führe.
- Nur etwa ein Viertel der Unternehmen verfügt über eine klar formulierte Digitalisierungsstrategie, fand die KFW-Bank heraus (Digitalisierungsbericht Mittelstand).
- Der Deutsche Mittelstandsbund konstatiert, dass der demografische Wandel den Fachkräftemangel verschärfe; bereits 50 Prozent mittelständischer Unternehmen würden angeben, technische Stellen in der Produktion nicht mehr besetzen zu können (Fachkräftemangel als größte Gefahr für die Entwicklung des Mittelstands).
Wie gut sind Aufsichtsräte und Beiräte aber selbst für diese Transformationsthemen vorbereitet?
In mehreren Gesprächen zur zukunftsorientierten Zusammensetzung von Aufsichtsräten wurden unter anderen folgende Antworten genannt: „Wir suchen gerade einen Digitalexperten“, „Es ist nicht leicht, für unseren Markt eine Frau zu finden, die das technische Verständnis für unsere Produkte mitbringt“. Zum Thema Klimawandel: „Diese Greta Thunberg und die Fridays for Future-Bewegung betrifft uns nicht; darum wird ein viel zu großer Hype gemacht“. Oder zu gesetzgeberischen Nachhaltigkeitsmaßnahmen: „Das anstehende Lieferkettengesetz ist eine Katastrophe“. Andererseits gab es durchaus auch differenziertere Antworten wie: „Wir müssen die Konsequenzen des Klimawandels auf unser Geschäftsmodel näher beleuchten, z.B. was das für unsere Lieferketten und Produktionsstätten bedeutet“, „Wir durchleuchten jede Dimension der Auswirkungen der Digitalisierung auf unser Geschäftsmodell, egal ob technisch in den Produktionsprozessen oder im Hinblick auf neue Angebote für unsere Kunden“… .
Gespräche wie diese haben gezeigt, dass es notwendig zu sein scheint, sich der Frage der Transformationsfähigkeit strukturiert zu stellen.
Die Rolle der Aufsichtsräte und Beiräte als Sparringspartner und Impulsgeber gegenüber dem operativen Management hat neben der gesetzlich vorgegebenen Kontrollfunktion erheblich an Bedeutung gewonnen. Bei den zukunftsorientierten, von einer global vernetzten Außenwelt induzierten Wandlungsprozessen, kommt ihnen gar eine Schlüsselrolle zu. Bei familiengeführten Unternehmen sind Aufsichtsräte, respektive Beiräte, außerdem sehr oft in einer Mediatoren-Rolle zwischen Unternehmenstradition und Innovation.
Dies vorausgeschickt stellt sich die Frage des Beitragstitels: Wie transformationsfähig sind eigentlich Aufsichtsräte und Beiräte? Und wie ließe sich die Transformationsfähigkeit eines Gremiums in seiner Gesamtheit als auch auf der Individuellen Ebene der jeweiligen Gremiumsmitglieder feststellen?
Gemeinsam mit zwei Kolleginnen aus den Bereichen Wirtschaftswissenschaft und Führungskräfte-Coaching sind wir diesen Fragen nachgegangen und haben uns mit der Entwicklung eines Evaluierungs-Tools befasst. Dabei sind die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien ebenso eingeflossen, wie in der Praxis gewonnene Erfahrungen.
Aus langjähriger Praxiserfahrung ist klar geworden, dass Unternehmenslenker allzu oft glauben, die Herausforderungen einer unternehmensrelevanten Transformation bereits erkannt zu haben („Wir brauchen einen IT- und Digitalexperten für die Zukunftsfähigkeit unseres Unternehmens.“) und sich dann auf Fachwissen und Fachkompetenzen konzentrieren, nur um am Ende festzustellen, dass weder das eine noch das andere eine Lösung ihres Unternehmensproblems, insbesondere im Hinblick auf die Zukunftsfähigkeit, erbracht hat.
Wie transformationsfähig sind eigentlich Aufsichtsräte und Beiräte? Und wie ließe sich die Transformationsfähigkeit eines Gremiums in seiner Gesamtheit als auch auf der Individuellen Ebene der jeweiligen Gremiumsmitglieder feststellen?
Untersuchungen, die sich mit Transformation und ‚Changeability‘ befassen, kommen im Wesentlichen zu dem Ergebnis, dass Transformationskompetenzen weniger an Fachwissen als an einer Offenheit für Aufbruch und Erneuerung gebunden sind. Es geht daher weniger um ein „Skill–Set“ als um ein „Open Mind-Set“. Demzufolge sollte sich eine, in einer Evaluierung mündenden Transformationsfähigkeits-Analyse (Transformation Readiness Assessment), neben den Wissenshintergründen auch intensiv mit der Offenheitskultur befassen. Dazu gehört das Erfassen von Faktoren auf der Ebene der individuellen Teammitglieder wie Reflexionskompetenz, durch praktische Erfahrungen unterlegte Innovationskompetenz, ausgeprägter Lernwillen und Wissenskompetenz, Ambiguitätstoleranz und Kontingenzfähigkeit.
Auf der Gesamtgremienebene sind Faktoren wie eine offene Gesprächskultur, der Einsatz von Onboarding- und Offboarding-Prozessen, die Möglichkeit von Auszeiten für Zukunftswandel als strategisches Thema, eine moderierende Rolle des Aufsichtsratsvorsitzenden oder auch Fortbildungsprogramme von Bedeutung. Anhand einer gewichteten Auswertung dieser Kriterien anhand eines Evaluierungstools (wir nennen es Transformation Readiness Indicator), können entsprechende steuernde Maßnahmen zur Verbesserung der Transformationsfähigkeit aufgesetzt werden. Bei der Aufstellung des Aufsichtsrats-Teams in Richtung Transformationsbegleitung geht es also sowohl um Wissens- als auch Geisteshaltungsschwerpunkte.
Auf den perfekten Sturm vorbereiten
Voraussetzung für diesen Evaluierungsprozess ist die Erkenntnis, dass dringender Handlungsbedarf für transformationsbedingte Veränderungen besteht. Aus meiner Sicht hat gerade die COVID-19 Pandemie die Verwundbarkeit unserer Unternehmen bei unerwarteten Fundamentalereignissen gezeigt. Trends, die eigentlich seit langer Zeit absehbar waren, wie beispielsweise die rasante Fortentwicklung der Digitalisierung, die Notwendigkeit des Ausbaus von IT-Infrastrukturen oder Wandel der Mobilität, sind durch COVID-19 beschleunigt worden. Vielfach waren Unternehmen schlecht vorbereitet und unterliegen darüber hinaus dem Trugschluss, dass sie nach der Pandemie wieder im gewohnten Modus weiterwirtschaften können.
Um die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen – gerade auch im Mittelstand – zu sichern, sollten wir uns schleunigst auf den „Perfekten Sturm“ der auf uns hereinbrechenden Transformationen einstellen. Denken wir nur an die Folgen des Klimawandels oder den durch Technologiewandel verursachten Umbruch in den globalen Gesellschaften. Aufsichtsräte und Beiräte können im Mikrokosmus des Unternehmens eine wichtige Rolle einnehmen, da sie die Sicht von außen einbringen und Veränderungsimpulse geben können – ja müssen.
Über den Autor
Volker Potthoff verfügt als Multiaufsichtsrat, Mitgründer und Vorstandsvorsitzender des Think Tank-Netzwerks „ArMiD“ über große und langjährige Erfahrung im Bereich guter Unternehmensführung. Er unterstützt mit dem Beratungsunternehmen addwis Leitungsgremien in Corporate Governance Fragen. Volker Potthoff wirkte als Mitglied der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex in den Jahren 2002 bis 2006 bei der Schaffung des deutschen Corporate Governance Kodex mit. Als damaliger Vorstand der Deutschen Börse AG war er u.a. am Börsengang des Unternehmens beteiligt.
Weitere Informationen unter:
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