Chancen für das Stadtmarketing
Mit digitaler Beratung neue Einkaufserlebnisse schaffen
Der deutsche, stationäre Einzelhandel verliert weiter an Attraktivität. So rechnete das Handelsforschungsinstitut IFH Köln bereits vor der Corona-Pandemie damit, dass allein in Nordrhein-Westfalen 13.000 bis 20.000 Einzelhandelsgeschäfte bis 2030 schließen werden. Die Corona-Krise beschleunigt das Ladensterben nun zusätzlich. Jüngstes Beispiel ist der in Bedrängnis geratene Warenhauskonzern Galeria oder die Modekette Esprit. Mithilfe moderner, digitaler Beratungsmöglichkeiten und Dienstleistungen können und müssen Händler schnellstmöglich neue Absatzmärkte schaffen. Gut für das Städtemarketing: Innenstädte und Einkaufszentren werden durch neuartige Einkaufserlebnisse wiederbelebt.
Stadtmarketing-Verantwortliche plädieren schon lange für mehr Freizeitcharakter in städtischen Fußgängerzonen. „Durch Corona ist offensichtlich geworden, dass dringender Handlungsbedarf besteht“, sagt Annett Polster, Geschäftsführerin des Kölner Stadtmarketing in einem Interview mit dem Kölner-Stadt-Anzeiger. In Zeiten des Online-Handels gewinne die enge Verzahnung von Wohnen, Arbeiten und Freizeit im Zentrum an Bedeutung. Digitale Angebote, wie zum Beispiel E-Sports-Veranstaltungen, wie es im Ausland in manchen Städten bereits Usus ist, seien interessante Möglichkeiten.
„Es gibt für Händler und Dienstleister in Stadtzentren viele moderne Möglichkeiten, ihr Angebot digital, interaktiv und damit äußert attraktiv vorzustellen und erlebbar zu machen“, sagt Frank Dittmar, Business Development Manager der Pan Dacom Networking AG. Pan Dacom ist neben sieben weiteren Digitalisierungsspezialisten Mitglied der Innovation Alliance. Die Allianz berät als Kompetenzverbund unter Federführung von Cisco mittelständische Unternehmen sowie Kommunen und Verwaltungen in Digitalisierungsvorhaben. Was in der Arbeitswelt durch die Corona-Pandemie einen Schub erfahren hat, nämlich Collaboration-Lösungen, sind auf andere Lebensbereiche gut übertragbar. Mit ihnen lassen sich Online-Meetings, Beratungen und sichere Team-Zusammenarbeit durch Video-, Audio-, Bildschirmfreigabe- und Messaging-Funktionen realisieren.
Per Videokabine Verträge rechtssicher abschließen
Beispiel Videokabine: Dienstleistungsunternehmen präsentieren ihr Angebot in (schallgedämmten) Videokabinen und beantworten dort gleich auch Fragen der Verbraucher. Interessant ist diese Kontaktmöglichkeit zum Beispiel für Krankenkassen, Versicherer, Banken, aber auch für Reisedienstleister oder Autohäuser und Behörden. Wer die Videokabinen betritt, wird im Live-Videochat begrüßt. Eine zum Kunden ausgerichtete Kamera überträgt das Bild aus der Kabine zum Mitarbeiter des Dienstleisters. Mit einer zweiten Kamera, die für das Screen-Sharing genutzt wird, erhält der Mitarbeiter Einsicht in die vom Kunden mitgebrachten Dokumente und kann gezielt Fragen beantworten. Sind die Kabinen mit einem Unterschriften-Pad ausgestattet, lassen sich Aufträge und Verträge gleich rechtssicher online abschließen. Der Vorteil für den Kunden: Die Kontaktservicezeiten sind flexibler, er spart Wege- und Wartezeit und erhält eine zielgerichtete Lösung auf seine Anfrage. Der Vorteil für die Dienstleister: Sie erreichen auch Kunden, die nicht im Einzugsgebiet lokaler Ladenlokale wohnen und steigern durch den flexiblen Service die Kundenzufriedenheit.
Best Practice Beispiel – Autohäuser
Ähnlich wie Pop-up-Stores, die in freistehenden Ladenlokalen eröffnet werden und dann nach kurzer Zeit wieder verschwinden, lassen sich die Kabinen in Innenstädten, Einkaufszentren oder an ähnlichen Plätzen aufbauen und betreiben. Nehmen wir Autohäuser als Beispiel: Sie liegen meist am Stadtrand oder im Industriegebiet und sind damit oft nicht gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen. Teils sind auch nicht alle Automarken mit einem eigenen Autohaus in einer Stadt vertreten. Die Videokabinen erlauben den Autohäusern eine Präsentation ihres Angebots an zentraler Stelle, nämlich in den Innenstädten. Neben Webcams und Scannern, die zum Kontakt mit dem Autoverkäufer genutzt werden, können die Kabinen mit Virtual-Reality-Brillen und weiteren, passenden Optionen ausgestattet werden. Der potenzielle Käufer kann ein Auto im virtuellen Raum testen. Eine individuelle Konfiguration nach Verbraucherwünschen ist möglich. Zu Hause kann der Interessent dann seine ersten Eindrücke vertiefen und seine virtuelle Reise fortsetzen. Der Pop-up Store wird zum Touch Point mit der Möglichkeit, die Customer Journey nach Hause zu bringen.
Lösungen sind selbsterklärend
Für den störungsfreien Betrieb solcher Videolösungen reichen übliche Internet-Bandbreiten. Videolösungen wie sie die Firma Cisco anbietet, werden individuell auf die benötigten Beratungsformen oder Dienstleistungen angepasst. Nach der Installation gehen sie in den Besitz der einzelnen Unternehmen über und können an den gewünschten Orten platziert werden. Als mobile Anwendung in Form einer App-Lösung ist der Service auch auf Smartphones, Tablets oder Laptops nutzbar.
Weder die Kundenberater des Dienstleisters noch Verbraucher benötigen für die Nutzung ein tiefes technisches Fachwissen. Die Lösungen sind selbsterklärend, so dass auch weniger technisch versierte Menschen sie nutzen können. „Für die Akzeptanz ist das entscheidend. Mit den digitalen Beratungsangeboten soll eine breite Bevölkerungsschicht von jung bis alt angesprochen werden. Wer hier technisch kompliziert einsteigt, gewinnt keine Interessenten“, sagt Dittmar weiter. So wurde bewusst auf eine Tastatur oder Maus verzichtet, was in Corona-Zeiten aus Gründen des Infektionsschutzes eine kontaktlose Kommunikation ermöglicht.
Neue Chancen für das Stadtmarketing
Digitale Beratungsmöglichkeiten bieten für die Fachhändler, aber auch für das Stadtmarketing neue Möglichkeiten. In Verbindung mit anderen Konzepten für Smart-Cities werden Innenstädte, die unter dem tiefgreifenden Strukturwandel des stationären Einzelhandels leiden, aufgewertet. Gleiches gilt für Betreiber von Einkaufszentren, die weitere Umsätze durch den Kauf von Videolösungen bzw. -kabinen und die anschließende Vermietung generieren können. Denkbar ist auch, dass eine Kabine für mehrere digitale Beratungsmöglichkeiten genutzt wird – je nachdem, wonach der Verbraucher verlangt. Städte könnten per App ihre Bewohner und Besucher durch das neue Angebot aus Handel, Arbeiten, Dienstleistung durchführen und attraktiv präsentieren.
Der Fantasie sind für digitale Beratungsangebote technisch wenig Grenzen gesetzt, und viele Unternehmen arbeiten mit Hochdruck an innovativen Anwendungsfeldern. Jetzt liegt es an den Städten, die Chance eines ganzheitlichen Ansatzes für die Innenstadtentwicklung zu ergreifen und die vorhandenen digitalen Möglichkeiten mit einzubinden.
Autorin: Birgit Brabeck, freie Journalistin, Köln