Interview mit Matthias Kunisch, Geschäftsführer der forcont business technology gmbh, und Felix Wirges, Doktorand an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Der HR-Abteilung kommt eine wichtige Funktion im Unternehmen zu: Personaler sind nicht mehr nur Buchhalter und Verwalter, sondern sie müssen zunehmend auch Strategen, Enabler und Change-Manager sein. Doch allzu oft bleibt HR hinter seinen Möglichkeiten, das Unternehmen weiterzuentwickeln, zurück. Gründe dafür offenbart die gemeinsame HR-Studie des Softwarehauses forcont business technology gmbh und des Lehrstuhls für Personalwirtschaft und Business Governance an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Hier verraten die Autoren, welche Ergebnisse sie überrascht haben und welche nicht.

Herr Kunisch, ist es nicht erstaunlich, dass aller Digitalisierung zum Trotz „Dokumente bearbeiten“ und „Daten managen“ die größten Zeitfresser sind? Müssten wir nicht eigentlich schon weiter sein? Haben Sie diese Ergebnisse so erwartet?

Tatsächlich hat uns das nicht sehr überrascht, denn genau dieses Bild sehen wir in der Praxis. Die Studie bestätigt es: Der HR-Bereich ist mit mehreren großen Herausforderungen konfrontiert – allen voran der Fachkräftemangel und die Digitalisierung – und leidet gleichzeitig unter chronischer Zeitnot. Das liegt auch daran, dass die Personalabteilung oft vernachlässigt wird, wenn es um die strategische Weiterentwicklung von Strukturen und Prozessen geht. Insofern ist es nur logisch, dass viele HR-Aufgaben noch nicht in der Form digitalisiert und automatisiert sind, wie es im Jahr 2020 zu erwarten wäre – und wie es notwendig ist, um die eigene Effektivität und Effizienz zu verbessern. Den Fokus allein auf die Defizite zu richten, ist allerdings zu kurz gegriffen. Die Studie macht auch deutlich, dass das Bewusstsein und der Wille zur Veränderung in den meisten Unternehmen vorhanden sind. Der Transformationsdruck, wie es so schön heißt, wird wahrgenommen. Und ist das nicht der erste und wichtigste Schritt?

Der studierte Diplom-Mathematiker Matthias Kunisch ist Geschäftsführer der forcont business technology gmbh, ein auf Enterprise Content Management (ECM) spezialisiertes Softwarehaus, und seit 1976 in der IT-Branche tätig.

Das, was auf der Strecke bleibt, nämlich wirklich Personalmanagement, Personalentwicklung und Employer Branding, sind riesige verschenkte Potenziale. Eigentlich sind das ja genau die Aufgaben von Personalern – dafür wurden sie eingestellt. Wie gehen Personaler mit dieser Situation um? Gibt es Frust?

Bei ihrem Kerngeschäft, dem Personalmanagement, ertrinken HR-Verantwortliche oft in der administrativen Arbeit. Das liegt an veralteten Tools – Stichwort Exceltabellen – und der fehleranfälligen Handarbeit. Ja, das führt natürlich zu Frust. In der Regel kann das eigene Smartphone zehnmal mehr als die Software auf dem PC. Hinzugekommen ist in den letzten Jahren bei vielen Unternehmen die Herausforderung, geeignete Mitarbeiter zu finden und langfristig zu binden. Für das Recruiting und das Talentmanagement fehlt oft die Zeit – Zeit, um sich einzuarbeiten, und Zeit, um die entsprechenden Aufgaben zu erledigen. Das erhöht den Frust, den neue Generationen von Personalern deutlich stärker erleben. Mit ihren Digitalisierungsbemühungen scheitern sie oft an der Geschäftsleitung, den älteren HR-Kollegen oder dem Betriebsrat. Sie hören dann, „Dafür haben wir kein Budget“, „Das ist doch nicht notwendig“, oder „Wir wollen keine Daten in die Cloud auslagern“. Mögliche Lösungsansätze sind hier, Allianzen zu bilden, etwa mit der IT-Abteilung, über Pilotprojekte Akzeptanz zu schaffen, geschickt schnelle Erfolge zu erzielen, die Bedürfnisse der Mitarbeiter als interne Kunden in den Blick zu nehmen und deren Wünsche gezielt zu adressieren. Zudem hat die Coronakrise den Skeptikern gezeigt, dass moderne, digitale Tools unverzichtbar sind, um die Arbeit am Laufen zu halten. Das sollten Personaler als Chance und Katalysator für die Weiterentwicklung ihrer Digitalisierungsprojekte nutzen.

Haben Unternehmen denn die Potenziale erkannt, die Automatisierung und digitale Tools bergen?

Teils, teils. In der Administration und dem Recruiting ist das grundsätzlich der Fall. In diesen beiden Bereichen gibt es die meisten Automatisierungsvorhaben – sowohl abgeschlossene als auch geplante. Digitale Personalakten, Personalabrechnungssysteme und Bewerbermanagement-Software gehören derzeit zu den meistgenutzten Tools. Zugleich sprechen die Ergebnisse dafür, dass bestimmte Lösungen mit hohem Nutzenpotenzial noch wenig bekannt sind. Beispielsweise liegt das Bearbeiten von Mitarbeiteranfragen auf Platz drei der zeitraubenden Aufgaben, aber nur ein gutes Drittel der Befragten setzt eine Mitarbeiter-Self-Service-Plattform ein. Auch im Bereich Data Analytics, der strategischen Analyse von Daten, gibt es unerkannte Potenziale. Und nicht zuletzt ist Cloudsoftware vergleichsweise wenig verbreitet. Das hat uns erstaunt, schließlich sind Software-as-a-Service-Lösungen sehr interessant für den HR-Bereich, da sie sich zügig implementieren lassen und somit schnell für Entlastung sorgen können. Durch die Coronakrise dürften viele Unternehmen hier inzwischen offener geworden sein. Gerade für die gemeinsame Teamarbeit an verteilten Standorten, etwa im Homeoffice, bieten sich Cloudtools an. Und wenn uns die vergangenen Monate eines gelehrt haben, dann das: Wenn die Arbeit auch in Krisenzeiten weiterlaufen soll, braucht es eine entsprechende technische Infrastruktur.

Und wo liegen die Hindernisse in der Einführung?

Die größte Hürde liegt noch vor dem eigentlichen Projektstart und ist schlichtweg Ressourcenmangel. HR-Verantwortliche haben entweder keine Zeit, um sich mit dem Thema Automatisierung und neuen digitalen Tools auseinanderzusetzen, oder es fehlt am Budget. Manche scheuen vor der Einführung einer neuen HR-Software zurück, weil sie den Aufwand überschätzen. Und nicht selten ist es auch eine ablehnende Haltung des Managements, die ein solches Vorhaben im Keim erstickt. Haben es Unternehmen hingegen erst einmal geschafft, ein Automatisierungsprojekt in Angriff zu nehmen, stellen sich meist schnell Erfolge ein. So sind etwa 64 Prozent der Anwenderunternehmen von digitalen Personalakten mit dem Ergebnis zufrieden, bei Cloudlösungen sind es sogar 82 Prozent. Beim Digitalisieren und Automatisieren von Arbeitsabläufen gilt also – wie so oft im Leben: Aller Anfang ist schwer, aber es lohnt sich.

Felix Wirges ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Lehrstuhl für Personalwirtschaft und Business Governance an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Herr Wirges, die Digitalisierung verändert nicht nur Arbeitsabläufe, sondern ermöglicht auch den Zugriff auf riesige Mengen an Daten. Die Zukunft liegt in einer digitalen Datenhaltung und -nutzung.
Wo steht der HR-Bereich hier? Wie finden Personalverantwortliche den Einstieg in das Thema Data Analytics und wie finden Unternehmen die für sie geeignete Lösung?

Zunächst gilt es, eine Bestandsaufnahme zu machen. HR-Verantwortliche sollten schauen, wer in ihrem Team entsprechende Kompetenzen mitbringt, und welche anderen Unternehmensbereiche bereits datengestützte Entscheidungen treffen. Es ist sinnvoll, diese Mitarbeiter in einem interdisziplinären Datenteam zusammenzubringen. Der nächste Schritt ist, sich einen Überblick über die bestehenden Datenquellen zu verschaffen, diese zu kategorisieren und zu systematisieren. Außerdem ist zu beantworten, bei welchen HR-Entscheidungen Datenanalysen hilfreich sein können. Das Erheben und Auswerten von Daten ist schließlich kein Selbstzweck, sondern muss einen konkreten Nutzen stiften. „Welches Ziel verfolge ich und wie können Datenanalysen dazu beitragen?“, lautet darum die Frage, von der sich HR-Verantwortliche leiten lassen sollten.

Weitere Ergebnisse und Tipps

Der Studienbericht mit weiteren Ergebnissen und nützlichen Handlungsempfehlungen für HR-Verantwortliche ist hier zum kostenfreien Download verfügbar:
https://bit.ly/39hRi9F