Digitale Technologien für mehr Nachhaltigkeit
„Verankerung nachhaltiger Zielsysteme für den Einsatz digitaler Technologien in produzierenden Unternehmen“
Dies ist ein Gastbeitrag von Dr. Jan Hicking, Leonard Henke, Prof. Dr. Stephan Hankammer und Bernd Blumoser
Die Digitalisierung kann Unternehmen zahlreiche Möglichkeiten eröffnen, positiv zum Gelingen einer sozial-ökologischen Transformation beizutragen. Allerdings geht dies mit multidimensionalen Herausforderungen einher. Dieser Artikel dient Unternehmen als Denkanstoß und beschreibt, wie sie ihre Zielsysteme in Zukunft aufbauen müssen, um basierend auf digitalen Technologien über alle Hierarchieebenen hinweg sozial-ökologische UND ökonomisch tragfähige Geschäftslogiken zu entwickeln. So kann etwa der Einsatz von künstlicher Intelligenz zur Emissionsreduzierung eine proaktive Antwort auf Erhöhungen der CO2-Steuer sein. Der strukturierte Einsatz digitaler Technologien ermöglicht Unternehmen strategisch verbesserte Wettbewerbspositionen. Im Bereich der CO2-Minderung bietet er Perspektiven zur Erschließung von Nachhaltigkeitszielen. Laut Bitkom sind damit CO2-Minderungen auf bis zu 50% der benötigten Minderung zum Erreichen der deutschen Klimaziele möglich.
Die drei Zielsysteme gesamtgesellschaftlicher Wohlstand, Intaktheit der ökologischen Systeme und unternehmerische Profitabilität kollidieren regelmäßig miteinander. Akute Risiken bestehen darin, dass durch fehlende bzw. fehlgeleitete unternehmerische Investitionen der Klimawandel weiter vorangetrieben und damit die Qualität der ökologischen Systeme und die Lebensbedingungen auf der Erde verschlechtert werden, etwa durch Folgen wie Wetterextreme, unbewohnbare Lebensräume, Wasserknappheit.
Zu beobachten ist in den vergangenen Jahren jedoch ein Konvergenztrend zwischen Aktivitäten, die unternehmerisch profitabel sind und solchen, die als nachhaltig eingestuft werden können. Deutlich wird dies zum Beispiel durch den globalen Anstieg an Environmental-, Social- und Corporate Governance (ESG)-konformen Investitionen auf. Sie stiegen von 2012 bis 2018 auf das Dreifache an [1]. Die Konvergenz wird im Wesentlichen durch ein stetig wachsendes Wissen über Kausalitäten angetrieben, wie die Auswirkungen der Industrie auf den Klimawandel, die Erwartungshaltung von Kund*innen und Gesellschaft, die vermehrte Regulatorik (z.B. CO2-Steuer, Lieferkettengesetz), und den Druck von Investor*innen und Meinungsführer*innen, die sich für eine noch stärkere Ausrichtung deswirtschaftlichem Handels an nachhaltigen Entwicklungszielen einsetzen. (z.B. UN-Nachhaltigkeitsziele) [2].
Zunehmend rückt dabei der Einsatz digitaler Technologien als effektive Instrumente für mehr Nachhaltigkeit in den Vordergrund. Eine Studie des Bitkom zeigt, dass digitale Technologien in Deutschland wesentlich zur Erreichung der Klimaziele bis zum Jahr 2030 beitragen können. Im aufkeimenden Technologiefeld der Künstlichen Intelligenz (KI) bietet sich eine Vielfalt an potenziellen Anwendungsmöglichkeiten, deren Wirkung in Bezug auf Nachhaltigkeitsherausforderungen, auch über den Klimaschutz hinaus, mächtig und vielfältig sein können, z.B. bei der effizienteren Verkehrssteuerung, der verbesserten Prognose von Erntequalität und -mengen in der Landwirtschaft oder der Rezyklat-Erhöhung in der Abfallwirtschaft [3].
Insgesamt sind jedoch wenige Ansätze vorzufinden, bei denen die Zielsetzung eines nachhaltigkeitsorientierten Einsatzes von digitalen Technologien vollends gelingt. Statt nicht-nachhaltige Praktiken durch nachhaltige zu ersetzen, neigen Unternehmen häufig dazu, diese zu reduzieren. Darüber treiben Unsicherheiten beim passgenauen Einsatz digitaler Technologien Unternehmen in eine abwartende Position. Diese Wartehaltung ist vor dem Hintergrund der begrenzten Zeit für das Erreichen der Klimaziele besonders negativ zu bewerten [4].
Wie können Unsicherheiten beseitigt, nachhaltige Praktiken gestärkt und Gefahren wie Rebound-Effekte, bei denen Effizienzsteigerungen durch Verhaltensänderungen überkompensiert werden, verhindert werden? Sowohl auf unternehmerischer als auch gesamtgesellschaftlicher Ebene ist für das Erreichen von Nachhaltigkeitszielen ein grundlegender Verständniswandel nötig. Ökologische und soziale Erfolge entstehen nicht zufällig und ungeplant als Nebenprodukt des Wirtschaftens, sondern müssen strategisch erschlossen und in den Mittelpunkt der Wertschöpfung gestellt werden. Dafür können Unternehmen den bestehenden Profitabilitätskorridor ausschöpfen, indem sie soziale und ökologische Aspekte in ihren Zielsystemen verankern, Synergien erschließen und in tragfähige Geschäftsmodelle übertragen. Um jedoch den unternehmerischen Fokus auf reine Effizienz- und Produktivitätssteigerung und die damit verknüpften Rebound-Effekte gezielt zu erweitern, sind unterstützend politische Anreize notwendig. Diese Anreize können eine mächtige Wirkung digitaler Technologien hin zu nachhaltigerem Wirtschaften stimulieren. Neben dem regulatorischen Eingreifen der Politik können auch weitere gesellschaftliche Aspekte das Verhalten von Unternehmen steuern. Dazu gehören beispielsweise: kollektives Bewusstsein, Talente, die durch Präferenz oder Verweigerung eines Arbeitsgebers Einfluss nehmen, sowie Kundenwünsche und Druck von Investoren. Daraus resultiert eine Verschiebung des Profitabilitätskorridors von Unternehmen hin zum Handlungsfeld Nachhaltigkeit (s. Abbildung 1).
Soziale und ökologische Zielgrößen, an denen sich Unternehmen orientieren können, gibt es bereits. Neben den Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen wurden Nachhaltigkeitsziele etwa im Rahmen der Global Reporting Initiative (GRI) und im Rahmen des Deutschen Nachhaltigkeitskodex festgehalten. Allein aus diesen Aktivitäten resultieren 333 zur Auswahl stehende Nachhaltigkeitsziele. Für Unternehmen lassen sie sich in 8 Hauptnachhaltigkeitsziele herunterbrechen.
Dazu wurden Literaturrecherchen sowie Experteninterviews durchgeführt und das Ergebnis in Anwendungsfällen validiert. Das entwickelte Zielsystem basiert auf dem Ansatz des Business Case for Sustainability, der ökologische und soziale Ziele in den Vordergrund stellt und ökonomische Ziele sekundär einfließen lässt.
- Ökologische Ziele:
- Umweltbelastung: Wasser- und Luftverschmutzung verhindern
- Ressourceneinsatz: Ressourceneinsatz reduzieren und Verschwendung vermeiden
- Energieeinsatz: Energieverbräuche sukzessive reduzieren und ausschließlich erneuerbare Energien nutzen
- Soziale Ziele:
- Befähigung und Kooperation: Mitarbeiter*innen als wichtigstes Asset verstehen und Attraktivität durch Entwicklung schaffen
- Partizipation und Transparenz: Entscheidungen transparent aufzeigen und Dritten Einflussmöglichkeiten einräumen
- Gesundheit und Schutz: Die Gesundheit von Mitarbeiter*innen und Dritten positiv beeinflussen
- Ökonomische Ziele
- Stabile Profitabilität: Das langfristige Bestehen des Unternehmens am Markt gewährleisten
- Kundenbindung: Kunden als langfristige Partner*innen verstehen
Zur Umsetzung der Ziele sollen drei Gestaltungsprinzipien verfolgt werden: Im Rahmen der Suffizienz werden Input und Output proportional reduziert. Durch Effizienz lässt sich mit Hilfe von Verbesserungen Input reduzieren und Output konservieren. Als drittes Gestaltungsprinzip bietet die Konsistenz die Möglichkeit neue Technikkorridore zu erschließen, um den Output überproportional zu steigern.
Mit diesen Nachhaltigkeitszielen können Unternehmen einen Überblick über mögliche Stoßrichtungen gewinnen, um langfristig nachhaltiger zu agieren und ihre bereits heute vorliegenden Möglichkeiten auszuschöpfen. Zur Erweiterung des zukünftigen Handlungsspielraums von Unternehmen, muss die Transparenz über Wirkmechanismen zwischen digitalen Technologien und Nachhaltigkeit sowie einhergehende verfügbare Methoden weiter erforscht werden. Das wird politischen Akteuren die Möglichkeit bieten, zielgerichtete regulatorische Maßnahmen zu treffen, um den Profitabilitätskorridor für Unternehmen zu erweitern und nachhaltiges Wirtschaften zu stimulieren. Dies kann auch zur zielgerichteten Information der Gesellschaft genutzt werden, um auf diese Weise den notwendigen Rückhalt für politische Maßnahmen zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielen durch Einsatz digitaler Technologien zu stärken.
Über die Autoren:
Dr. Jan Hicking
Dr. Jan Hicking hat an der RWTH Aachen Wirtschaftsingenieurwesen mit der Fachrichtung Maschinenbau studiert. Nach einer Zeit in der Energiewirtschaft begann er am FIR e.V. an der RWTH Aachen als Projektmanager für die digitale Transformation. Dort unterstützt Dr. Jan Hicking als Bereichsleiter des Informationsmanagements Unternehmen dabei, Digitalisierungskonzepte umzusetzen, um in einem zunehmend dynamischen Markt effizienter, effektiver und nachhaltiger wirtschaftliche Erfolge zu erreichen.
Bereichsleiter Informationsmanagement
Tel.: +49 241 47705-502
E-Mail: Jan.Hicking@fir.rwth-aachen.de
Leonard Henke
Leonhard Henke hat an der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg Maschinenbau studiert. Nach einer Zeit in der Automobilindustrie hat er sich dem Thema technologiegetriebene Nachhaltigkeit als Projektmanager am FIR e.V. an der RWTH Aachen angenommen. Er fokussiert sich dabei auf den nutzen- und zielorientierten Einsatz relevanter Informationstechnologien zur Gestaltung agiler und lernfähiger Unternehmen, mit dem Fokus auf die Erreichung nachhaltiger Ziele.
Fachgruppe Informationstechnologiemanagement im Bereich Informationsmanagement
Tel.: +49 241 47705-513
E-Mail: Leonhard.Henke@fir.rwth-aachen.de
Prof. Dr. Stephan Hankammer
Prof. Dr. Stephan Hankammer ist seit September 2018 Juniorprofessor für Nachhaltige Unternehmensführung und Entrepreneurship an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft in Alfter bei Bonn und leitet dort den Studiengang Nachhaltiges Wirtschaften. Er ist zudem affiliierter Forscher am Institut für Technologie- und Innovationsmanagement an der RWTH Aachen.
Alanus Hochschule
Bernd Blumoser
Bernd „Benno“ Blumoser ist nach einigen Stationen in der strategischen Unternehmensberatung, dem zentralen Innovationsmanagement und der internen Trendforschung seit 2017 Co-Gründer und Innovationsleiter des „Siemens AI Lab“. Dort fokussiert er sich darauf, Potentiale von verantwortlicher industrieller KI zu explorieren und zu erschließen.
Siemens AG
Weitere Informationen unter:
http://www.fir.rwth-aachen.de/
Quellen:
[1] STATISTA INC: Global investment on environmental, social, and corporate governance 2012-2018. URL https://www.statista.com/statistics/1135526/investment-environmental-social-corporate-governance-globally/ – Überprüfungsdatum 02.03.21
[2] BUNDSCHUH, Clemens; DRESP, Martin; EMUNDS, Pia: Nachhaltigkeit lohnt sich – Gesellschaft und Unternehmen im Wandel. Stuttgart, 15.02.2018 (Blickpunkt.)
[3] DEUTSCHER BUNDESTAG: Bericht der Enquete-Kommission Künstliche Intelligenz – Gesellschaftliche Verantwortung und wirtschaftliche, soziale und ökologische Potenziale. Unterrichtung. Vorabfassung. 28.10.2020 (19/23700)
[4] TOLLEFSON, J.: IPCC says limiting global warming to 1.5 °C will require drastic action. In: Nature 562 (2018), Nr. 7726. URL https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/30301994/