Zusammen klappt es besser als allein

Dies ist ein Gastbeitrag von Martin Lundborg, Leiter der Begleitforschung von Mittelstand-Digital

Der industrielle Mittelstand steht unter Druck. Große Auftragsvolumen, die schnell produziert werden sollen, Konkurrenz aus dem Ausland und immer speziellere Kundenwünsche stellen viele Betriebe vor Herausforderungen. Eine Lösung: Über digitale Plattformen mit anderen Unternehmen gemeinsam Aufträge stemmen.

Einen Auftrag ablehnen zu müssen, ist für Unternehmen nie eine einfache Entscheidung. Doch gerade kleinen Betrieben fehlen oft die Produktionskapazitäten oder schlicht das Know-how, um große Aufträge oder spezielle Kundenwünsche erfüllen zu können. Aus dieser Zwickmühle helfen digitale Plattformen, über die mittelständische Industrieunternehmen gemeinsam Aufträge abwickeln. Wie das aussehen kann, zeigen Thüringer Maschinenbauer zurzeit in einem Projekt mit Unterstützung des Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrums Ilmenau, das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert wird. Im Projekt wird an einer Plattform gearbeitet, über die sich die Betriebe gegenseitig Anlagenkapazitäten vermieten können: Wenn die Produktionskapazitäten eines beteiligten Betriebs nicht ausreichen, um beispielsweise den Liefertermin eines in Aussicht stehenden Großauftrags zu erfüllen, kommt die gemeinsame Plattform ins Spiel. Der Betrieb teilt darüber seinen Partnern die Zahl der ihm fehlenden Maschinenstunden mit. Daraufhin stellen die anderen Betriebe freie Anlagenkapazitäten zur Verfügung. So können nicht nur Großaufträge leichter bewältigt, sondern auch nicht voll ausgelastete Maschinen optimal genutzt werden.

Plattformen revolutionieren die Wertschöpfung

Das Vermieten von freien Anlagenkapazitäten ist nur ein Beispiel dafür, wie digitale Plattformen das Marktumfeld von Industriebetrieben revolutionieren. Bisher stellen viele von ihnen Produkte alleine her und verkaufen sie über eigene Vertriebskanäle – andere Unternehmen werden prinzipiell als Konkurrenten betrachtet. Wertschöpfungsnetzwerke treten vermehrt an die Stelle dieses klassischen Geschäftsmodells und ermöglichen über Plattformen die effizientere Nutzung von Ressourcen – andere Unternehmen werden damit zu Kooperationspartnern. Ein Blick auf die großen digitalen Marktplätze für Smartphone-Anwendungen illustriert, wie kooperative Wertschöpfung im industriellen Mittelstand künftig aussehen kann: Statt möglichst eigenständig Geld zu verdienen, bestehen innovative Geschäftsmodelle teilweise darin, Dritten zu ermöglichen, Geld zu verdienen. Mit diesem Wandel kann die Wettbewerbsfähigkeit kleiner Betriebe gegenüber größeren Mitbewerbern gesteigert werden. Kooperationen über Plattformen können flexibel höhere Kapazitäten, kürzere Durchlaufzeiten und ein breiteres Produktportfolio ermöglichen – ohne hohe Investitionen in Maschinen oder Know-how tätigen zu müssen. Statt sich auf eine dauerhaft gute Auftragslage zu verlassen, kann ein Betrieb sich zwischenzeitlich auf seine Partner stützen und wohlüberlegt langfristige Investitionsentscheidungen treffen.

Mittelständler müssen umdenken

Damit das funktionieren kann, ist ein Umdenken erforderlich. Kooperative Fertigung in Wertschöpfungsnetzwerken setzt den Austausch sensibler Geschäfts- und Konstruktionsdaten voraus. Vor Vertragsabschluss muss daher zwischen den beteiligten Unternehmen sorgfältig geprüft werden, ob die Leistungserbringung und der Schutz von Daten sowie betrieblichem Know-how ausreichend abgesichert ist. Essentiell ist zudem, wie nutzerfreundlich die gemeinsame Plattform ist. Wurde sie an den Bedürfnissen der Nutzer vorbei entwickelt, wird sie im Zweifelsfall gemieden und verfehlt ihren Zweck. Am Beispiel eines entwickelten Demonstrators des Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrums Ilmenau wird gezeigt, wie derartige Plattformen auch für Laien intuitiv zu bedienen sind – am besten mit dem Smartphone. Bei der Schulung von Mitarbeitern ist allerdings nicht nur der technische Umgang mit der Plattform wichtig. Für ihren Erfolg ist es unerlässlich, die Nutzer weg vom Konkurrenzdenken zu führen und ein Verständnis dafür zu schaffen, dass alle von der Zusammenarbeit zwischen Betrieben profitieren. Um diesen Wandel zu unterstützen, bietet Mittelstand-Digital Betrieben bundesweit Know-how rund um die Digitalisierung, beispielsweise zu IT-Sicherheit und -Recht, Nutzerfreundlichkeit und digitaler Bildung.

Datensicherheit wird immer wichtiger

Neben vertraglichen Fragen, technischer Umsetzung und richtiger Mitarbeiterweiterbildung ist Datensicherheit von entscheidender Bedeutung. Damit Maschinenbauer über eine gemeinsame Plattform zusammen Aufträge ausführen können, müssen beispielsweise wertvolle Konstruktionsdaten übermittelt werden. Selbst wenn diese vertraglich lückenlos geschützt sind, gilt das nicht ohne Weiteres für den Schutz bei der Datenübertragung. Deswegen hat Datensicherheit bei der Konzeption jeder Plattform höchste Priorität. Zentrale Lösungen von einem einzelnen Anbieter sind daher nicht immer der beste Weg. Aufwändiger, aber ungleich sicherer sind dezentrale Lösungen. In naher Zukunft könnten diese durch Einsatz von Blockchain-Technologie einen noch höheren Schutz bieten. Dabei handelt es sich um fälschungssichere Datenketten, in denen jede Transaktion protokolliert sowie nachvollziehbar und unveränderlich abgebildet wird. Ziel ist eine uneingeschränkte Datenhoheit für jeden beteiligten Betrieb und minimales Risiko für Datenmissbrauch. Wenn das gewährleistet ist, steht der Entwicklung und Nutzung von Plattformen innerhalb anderer Branchen nichts im Weg. Perspektivisch könnten digitale Plattformen es mittelständischen Betrieben sogar ermöglichen, verschiedene Branchen zu verbinden und über ganz unterschiedliche Wirtschaftszweige hinweg vernetzt Produkte fertigen – ein erhebliches Wachstumspotenzial.

Weitere Informationen unter:
http://mittelstand-digital.de/DE/Wissenspool/DigitaleProduktionstechnik/publikationen,did=810660.html