Frau Prof. Dr. Isabell Welpe

Den War for Talents meistern

Die TREND-REPORT-Redaktion im Gespräch mit Frau Prof. Dr. Isabell Welpe, Lehrstuhl Strategie und Organisationan der TU München

 

Frau Prof. Dr. Welpe, wieviel Mitbestimmung und Vertrauen brauchen heute agile Projektteams, die sich selbst managen sollen?

Sehr viel. Agilität im großen Maßstab geht nur mit Vertrauen im großen Maßstab. Wobei es kein blindes Vertrauen sein sollte, sondern eines, das gerechtfertigt ist. Wir wissen aus der Forschung, das Vertrauen dann entsteht, wenn Menschen sich als vertrauenswürdig erweisen. Vertrauenswürdigkeit entsteht, wenn wir andere als kompetent in ihrer jeweiligen Rolle, mit guten Absichten uns gegenüber, und als ihr Wort haltend erleben. In der Unternehmenspraxis zeigt sich, dass Vertrauen und Freiheit und Selbstverantwortung oftmals einhergehen mit Ergebnisverantwortung und Leistungsbeurteilung. So lautet etwa die Spesenrichtlinie der Firma Netflix einfach nur: „Handeln Sie in Netflix bestem Interesse“. Anstatt lange Vorschriften-Kataloge zu erstellen gehen immer mehr Firmen dazu über, in einfachen, klaren Worten auf die Urteilskraft ihrer Mitarbeitenden zu vertrauen. Statt ausführlicher Hinweise und Beschreibungen zum erwünschten Dresscode schreiben z.B. manche Firmen nur noch: “Dress Appropriately“.

 

Wie kann in diesem Kontext die Innovationsfähigkeit sowie die Arbeitergeberattraktivität gesteigert werden, um den „War for Talents“ zu meistern?

Die Fähigkeit, die besten Talente nicht nur in den angestammten Fächern, sondern auch in neuen Fächern, wie beispielsweise Künstlicher Intelligenz, mobilen Technologien, Cloud Computing, Computerwissenschaften, usw. zu gewinnen ist eine hochstrategische Herausforderung für Unternehmen, die mit ihrer Innovationsfähigkeit eng verknüpft ist. Das ist insbesondere deswegen wichtig, weil wir aus empirischen Studien wissen das Top Talente drei bis zehnmal so produktiv sind wie durchschnittliche Talente. Insbesondere agile Fähigkeiten von Mitarbeitern und die Fähigkeit mit großen Datenmengen umzugehen sind entscheidend. Im empirischen Vergleich fällt immer wieder auf, dass Mitarbeiter sehr unterschiedlich produktiv sind, und dass bei Firmen der sogenannten digitalen Stars Mitarbeiter bis zu zehnmal produktiver sind als bei anderen Firmen.
Um Toptalente zu finden und auch für sich gewinnen zu können steht interessanterweise nicht die Bezahlung an erster Stelle, sondern eine überzeugende Vision und Mission. Wichtig ist es auch, im Recruiting jenseits von klassischen Lebensläufen zu denken, und z.B. ans Recruiting in Communities wie RedHat oder Hacker News sowie proaktiv stark nachgefragte Talente anzusprechen. Interessanterweise setzen mehr und mehr Firmen anstelle der Analyse der Abschlussnoten von Bewerbern auf deren Leistungen in Computerspielen, wie Knack oder DungeonScrawl oder Wasabi Waiter, um aus den Spieldaten und einem Abgleich das Anforderungsprofil zu besetzen erstellen ihre Schlüsse zu ziehen.

 

Welche Fähigkeiten werden heute benötigt, um in wettbewerbsintensiven Marktumfeldern einen längerfristigen Wettbewerbsvorteil zu halten?

Fast 90 % der Firmen die 1955 unter den Fortune 500 gelistet waren, waren im Jahr 2014 nicht mehr auf dieser Liste. Und Prognosen gehen davon aus das in den nächsten zehn Jahren ca. 40 % der Firmen welche heute auf ihr stehen, von dieser Liste verschwinden werden. Eine der wichtigsten Fähigkeiten in diesen Zeiten, scheint die Fähigkeit von Firmen zu sein sich anzupassen, an die Veränderungen die durch neue Technologien und damit einhergehende veränderte Kundenbedürfnisse entstehen.
Viele Firmen sind zwar exzellent was ihr Kostenmanagement angeht, ihr Qualitätsmanagement, sie haben ihre Prozesse im Griff und sind hocheffizient. Was sie aber nicht (mehr) sind ist exzellent in der Innovationsfähigkeit, und doch ist es das worauf es ankommt, wenn Firmen längerfristig überleben wollen. Zentral scheint für den Erfolg im heutigen Marktumfeld zu sein, dass Firmen auf die wichtige Frage: „Welche wertvolle Firma wurde noch nicht gegründet?“ Antworten geben können.

 

Was also machen die „Digital Stars“ anders, als die meisten Unternehmen?

Sie machen eine Menge anders: Z. B Denken sie statt linear, exponentiell und erkennen, dass Wertschöpfung basierend auf Informationen anderen Gesetzmäßigkeiten unterliegt als Wertschöpfung basierend auf physischen Produkten. Sie sind in der Lage, alte Geschäftsmodelle infrage zu stellen und anstatt in Produkten und Dienstleistungen in individuellen Lösungen für Kunden zu innovieren. Darüber hinaus denken sie nicht nur ihre direkten Kunden sondern auch an die Kunden ihrer Kunden und gestalten ihre Wertschöpfungsketten so, dass sie auf diese eingehen können. Die digitalen Stars haben verstanden, dass es bei der Digitalisierung überhaupt nicht um neue, innovative Technologien geht, sondern darum, individuelle, zugeschnittene, neue Lösungen für jedes Individuum zu erstellen.

 

Wie sieht nach Ihren Forschungsergebnissen die Hauptaufgabe von Führungskräften im Kontext von agilen Teams aus?

Führungskräfte müssen weiter das tun was sie auch in den letzten Jahrzehnten schon getan haben: Sie müssen Beziehungen gestalten, mit ihren Mitarbeitern mit Vorgesetzten mit Kunden, Wettbewerber, Journalisten, u.a.. Sie müssen Informationen sammeln, über Wettbewerber, technische Entwicklungen, Konkurrenten usw. Und sie müssen Entscheidungen treffen, zum Beispiel über Budgets, Beförderung, Entlassungen, strategische Entscheidung usw. Allerdings verändert sich der Inhalt dieser Bereiche durch digitale Transformation und die Anforderungen durch Agilität. Das Management von Beziehungen gestaltet sich stärker auf Augenhöhe. Und anstelle einer klaren direkten Anweisung fragen Führungskräfte heute eher: „Was kann ich für Sie aus dem Weg räumen, damit sie gut arbeiten können?“ Informationen werden nicht nur überall im eigenen Unternehmen gesammelt, sondern auch außerhalb des eigenen Unternehmens und in den für das Unternehmen relevanten Communities und Entscheidungen werden zukünftig stärker getroffen danach, wer die besten Daten aufweisen kann und weniger nach Autorität, Ego oder eigener Meinung.

 

Gibt es Ihrerseits Handlungsempfehlungen auf den Punkt gebracht?

  1. Denken Sie vom Kunden her und vom Kundenerlebnis her.
  2. Denken Sie in Innovationen von Geschäftsmodellen und Wertschöpfungsketten und nicht in isolierten technologischen Innovationen.
  3. Positionieren Sie Ihre Firma an der attraktivsten und profitabelsten Stelle der Wertschöpfungskette, der Pole Position zum Kunden.
  4. Überlegen Sie, was Ihre Firma in der jetzigen Form wirtschaftlich in Schwierigkeiten könnte und wie man sie wirklich in Schwierigkeiten bringen könnte. Machen Sie das dann selber bevor es jemand anderes tut.
  5. Talententscheidung sind die wichtigsten strategischen Entscheidungen. Wenn es ihnen nicht gelingt Top Talente, die sie schon in der Firma haben zu halten oder Top Talente die sie gerne einstellen würden zu gewinnen sind das erste Anzeichen für eine Fehlentwicklung der Firma. Zukünftig wird es so sein, dass man die Organisation um die Talente herum entwickelt, sowie dies auch jede gute Fußballmannschaft öfters tut.

 

Welche neuen Forschungsprojekte aktuell und in naher Zukunft haben Sie auf der Agenda?

Wir arbeiten an einer Reihe von Forschungsprojekten zum Thema Strategie, Organisation und Führung in und für die digitale Transformation. Zum Beispiel betrachten wir, wie eine Firma es fertigbringen kann, das Tagesgeschäft und gleichzeitig das innovative Geschäft von morgen voranzubringen. Wir schauen uns an wie Mitarbeiterführung 4.0 gelingen kann, und auch ob und wie es einen eigenen Weg für Deutschland geben kann in der digitalen Transformation. Ein jüngeres Forschungsgebiet von uns befasst sich mit der Thematik Blockchain und was Blockchain für die Wertschöpfungsketten in den unterschiedlichen Industrien bedeutet.

 

 

Prof. Dr. Isabell Welpe

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