Vernetzte Gesellschaft

Die Digitalisierung führt zu tief greifenden Änderungen sowohl im Informations- und Entscheidungsverhalten des Einzelnen als auch im menschlichen Miteinander.

Wie empfinden Sie die zunehmende Beschleunigung durch die Digitalisierung? Freuen Sie sich schon auf die Chancen, die zukünftige Vernetzungstechnologien möglich machen werden? Oder fühlen Sie sich überfordert und können sich nicht vorstellen, wie Sie das alles stemmen sollen? Sehr wahrscheinlich wird uns aber die künstliche Intelligenz in naher Zukunft noch mehr Arbeit abnehmen.

Auch in öffentlichen Debatten wird momentan der Einfluss digitaler Technologie auf individuelles Verhalten und gesellschaftliche Prozesse kontrovers diskutiert. Eins ist jedoch sicher, die digitale Kluft wird immer größer und die Auswirkungen der Digitalisierung kriegen wir alle zu spüren. Die Digitalisierung führt zu tief greifenden Änderungen sowohl im Informations- und Entscheidungsverhalten des Einzelnen als auch im menschlichen Miteinander. In diesem Kontext ist noch lange nicht erforscht, welche Auswirkungen die Vernetzung der Gesellschaft noch so mit sich bringen wird. Neue Technologien wie die Blockchain oder Robotic Process Automation und KI verändern uns schnell und in Realtime.
Um genau deshalb die richtigen Fragen zu stellen, ist im letzten Jahr das Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft an den Start gegangen. Die Aufgabe des Instituts ist es, aktuelle gesellschaftliche Veränderungen, die sich im Zusammenhang mit der Digitalisierung abzeichnen, zu untersuchen und künftige politische und wirtschaftliche Handlungsoptionen zu skizzieren. Das Kernziel des Instituts besteht in exzellenter, interdisziplinärer und problemorientierter Grundlagenforschung, die zugleich anwendungsorientierte Vorhaben antreibt und daraus wiederum Impulse für neue Forschungsfragen gewinnt. Um dem Zusammenspiel von Technik und Gesellschaft gerecht zu werden, wird das Prinzip der Interdisziplinarität nicht nur punktuell, sondern in allen Forschungsbereichen und Vorhaben realisiert. Dabei wird das Institut zum ersten Mal alle relevanten Fachdisziplinen integral in einem Forschungsprogramm vereinen und eine holistische Perspektive auf den Prozess der Digitalisierung in der Gesellschaft entwickeln.

Eine zentrale gesellschaftliche Herausforderung besteht in der Sicherung demokratischer Selbstbestimmung und Teilhabe unter den Bedingungen der zunehmenden Digitalisierung und Automatisierung. „Dabei geht es sowohl darum, Entwicklungschancen für die Gesellschaft zu entdecken, als auch darum, Risiken besser einschätzen zu können. Das soll unserer Gesellschaft auf allen Ebenen ermöglichen, auf jeweils neue Herausforderungen evidenzbasierter als bisher zu reagieren. Leitgedanke ist dabei die Selbstbestimmung der Menschen als Individuen wie auch der Gesellschaft als Ganzes, die auch in neuen digitalen Umgebungen gesichert und gestärkt werden soll“, erklärte uns dazu Prof. Dr. Martin Emmer von der FU Berlin im Hintergrundgespräch.
Das Gründungsmitglied des Weizenbaum-Institutes beschäftigt sich mit den Forschungsfeldern Nutzung Digitaler Medien und politische Kommunikation.

Aktuelles aus der Sharing Economy

Prof. Dr.-Ing. Norbert Gronau vom Weizenbaum-Institut: „Unsere Forschungsfragen sind insbesondere, wie im Zeitalter der Digitalisierung die zukünftige individuelle und prozessnahe Qualifizierung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aussehen muss.“

Die zunehmende Vernetzung unserer Gesellschaft bringt neue Konsummodelle hervor. Wenn es nach dem Willen der Konsumenten geht, haben Unternehmen der Konsumgüterbranche in Sachen Sharing Economy Nachholbedarf in Deutschland.

Es scheint so, dass die Idee, Produkte auf Zeit zu besitzen und lediglich zu mieten, in Deutschland ein neues Level erreicht hat. Aktuell testen gerade große deutsche Einzelhändler ein neues Geschäftsmodell, um ihre Waren zusätzlich zum Abverkauf noch zu vermieten. Dieses Vorgehen scheinen junge Verbraucher auch zu fordern im Kontext ihrer neuen Mobilität und Flexibilität. Das ist der Trend der jungen Generation, die nicht mehr so viel Wert auf den Besitz von Gütern legt. Doch inwieweit wird die Sharing Economy unsere zukünftigen Konsumgewohnheiten verändern?

Wie wir aus einer aktuellen Studie von PricewaterhouseCoopers wissen, nutzt hierzulande schon fast jeder Vierte Sharing-Economy-Angebote in der einen oder anderen Form. Derzeit liegen die Schwerpunkte in den Bereichen Medien, Unterkünfte und Mobilität. Maschinen hingegen werden noch vergleichsweise selten gemeinschaftlich genutzt. Die Studienautoren rechnen damit, dass mehr Rechtssicherheit und Vertrauen der Sharing Economy einen kräftigen Wachstumsimpuls geben dürfte. Auch das genossenschaftliche Prinzip als demokratische Unternehmensform ergänzt sich gut mit der vernetzten Sharing Economy.

Mit Geno­Sharing.com zum Beispiel erhalten Nutzer künftig die Möglichkeit, über eine vertrauenswürdige Plattform das nachhaltige Partizipationsmodell der Share Economy zu nutzen. „Die VR-Banken sind zu solch einem Geschäftsmodell prädestiniert, da sie selbst Gemeinschaften auf Gegenseitigkeit sind. Wie sie ganz konkret diese Rolle eines Vertrauensbrokers ausfüllen können, veranschaulicht die neue Verleih-Plattform GenoSharing.com, die noch im laufenden Jahr in die ‚Family & Friends‘-Testphase geht“, erklärte uns Klaus-Peter Bruns, Vorstandsvorsitzender der Fiducia & GAD IT AG im Hintergrundgespräch. Das Plattformkonzept der Fiducia & GAD ermöglicht den VR-Banken überdies, den digitalen Wandel in ihrer Region aktiv mitzugestalten.

Infrastruktur und Netzausbau?

„Leitgedanke unserer Forschung ist die Selbstbestimmung der Menschen als Individuen wie auch der Gesellschaft als Ganzes, die auch in neuen digitalen Umgebungen gesichert und gestärkt werden soll“, Prof. Dr. Martin Emmer von der FU Berlin.

Die Technologien und die Ideen sind da, die Infrastruktur lässt noch teilweise auf sich warten. Damit auch ländliche Gebiete nicht in Vergessenheit geraten, hängt viel vom Netzausbau ab. Fast 3,5 Milliarden Euro hat der Bund für den Netzausbau genehmigt, doch die Kommunen haben bislang nicht einmal ein Prozent der Mittel abgerufen. Kritik gibt es an den Anträgen: Sie seien zu kompliziert. Donald Badoux, Managing Director von Equinix in Deutschland, betreibt Rechenzentren und meint dazu: „Was die Breitbandverfügbarkeit betrifft, steht Deutschland im internationalen Vergleich nicht besonders gut da und bleibt hinter den skandinavischen Ländern, den USA oder Asien zurück. Daten sind der Rohstoff des 21. Jahrhunderts. Die bestehende Infrastruktur ist den aufkommenden Datenmengen gerade auch in Deutschland schon jetzt nicht mehr gewachsen. Grund dafür ist neben den wachsenden Datenvolumina der langsame Glasfaserausbau, der das Wachstum in Bezug auf Infrastruktur verlangsamt.“ Badoux erklärt weiter: „2017 veröffentlichte Equinix zum ersten Mal den Interconnection-Index. Der Index misst und prognostiziert das Wachstum der Interconnection-Bandbreite, also der Kapazität für den direkten, privaten Datenaustausch zwischen Unternehmen, Service-Providern und Kunden. Laut unseren Prognosen wird dieser private Datenaustausch in den kommenden Jahren weltweit um 45 Prozent pro Jahr wachsen. Bis 2020 sollen 5 000 Terabit pro Sekunde (Tbit / s) erreicht werden – was das öffentliche Internet übertrifft.“

Mobilität im Wandel

Wir sind quasi mitten im Mobilitätswandel und brauchen dazu ein neues verbraucherorientiertes Mobilitätsverständnis. Claus Grunow, Leiter Markt-, Geschäfts- und Produktentwicklung Deutsche Bahn Connect, betonte dabei im Interview mit der Redaktion: „Die Digitalisierung treibt den Mobilitätswandel in immer schnellerem Tempo voran, auch wenn wir noch einige Schritte vor uns haben bis zur Smart City oder Smart Mobility. Autonome Verkehre, On-Demand-Shuttles, Rideselling bis hin zu Transport-Drohnen in der Logistik: Die neuen Mobilitätslösungen sind das nach außen vielleicht sichtbarste Charakteristikum des gegenwärtigen Wandels, doch die digitale Vernetzung unserer Mobilitätsangebote wird unser Mobilitätsverhalten und unsere Städte in einem wesentlich schnelleren und größeren Ausmaß grundlegend verändern. Mobilität wird in naher Zukunft vollständig digital ablaufen. Heute noch per Smartphone und morgen vielleicht mit gänzlich neuen mobilen Endgeräten und Applikationen. Wir als Unternehmen sind gefordert, den digitalen Wandel aktiv zu gestalten und nicht weiter abzuwarten, bis die Kundenerwartungen und -bedürfnisse uns fordern.“

Damit Unternehmen den digitalen Wandel mitgestalten können, müssen Mitarbeiter im Kontext der neuen Technologien und Möglichkeiten am Ball bleiben. Learning on the Job mit neuen digitalen Weiterbildungsangeboten ist en vogue und zeitgemäß. Nach neuen Inhalten und Methoden des Lehrens und Lernens für unterschiedliche Bildungsbereiche zu fragen, gewinnt zunehmend an Bedeutung. Prof. Dr.-Ing. Norbert Gronau vom Weizenbaum-Institut erklärte uns dazu: „Unsere Forschungsfragen sind insbesondere, wie im Zeitalter der Digitalisierung die zukünftige individuelle und prozessnahe Qualifizierung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aussehen muss. Wie können geeignete Lehr-Lern-Szenarien entwickelt und erprobt werden, unter anderem in unserem Digitallabor, und vor allen Dingen, wie sehen digitale Selbstlernangebote aus?“ Die Forschungsbereiche von Prof. Gronau umfassen die Themen des Betrieblichen Wissensmanagements, dazu gehören auch Weiter­bildung, Training on the Job und E-Learning sowie die Gestaltung von wettbewerbsfähigen Architekturen industrieller Informationssysteme im Bereich Industrie, Handel, Dienstleistung und öffentlicher Sektor.

Nachhaltigkeit und Vernetzung

Computer haben schon lange unseren Schreibtisch verlassen und bieten uns in Form vernetzter Geräte in unserem privaten Umfeld und am Arbeitsplatz immer neue Möglichkeiten. In Zukunft wird alles mit allem vernetzt werden. Nicht nur die Städte, unser ganzes Leben wird dadurch immer „smarter“. Aktuell stehen dabei oft noch „Gadgets“ im Fokus, aber die Technologie hat das Potenzial, Wirtschaft und Gesellschaften grundlegend zu verändern. Smart-Home-Devices können beispielsweise helfen, Kosten zu senken und zu Hause Energie zu sparen. Mukul Dhyani von Wipro Ltd. (NYSE:WIT) erklärte uns dazu: „Vor allem Entwicklungsländer können von der weltweit steigenden Zahl vernetzter Geräte enorm profitieren. Smartere Städte werden zu sauberem Wasser, sauberer Luft und verbesserter öffentlicher Gesundheit führen. IoT-Technologie kann die Produktivität in der Landwirtschaft und damit die Erträge verbessern. Sie kann gewährleisten, dass die Hilfe auch die Bauern erreicht, die die Unterstützung benötigen. Bei aller Euphorie sollten wir aber nicht aus den Augen verlieren, dass hier noch viel Arbeit vor uns liegt. Einige Herausforderungen beim Datenschutz, der Kompatibilität der Geräte sowie der Sicherheit müssen noch gelöst werden.“

„Wir untersuchen, inwieweit Software durch die mit KI und Daten ermöglichten neuen Dimensionen der Automatisierung auch neue mögliche Fragilitäten oder Angreifbarkeiten mit sich bringt“, so Prof. Dr. Ina Schieferdecker.

Aktuell diskutiert das Thema gerade die Forschungsgruppe „Kritikalität softwarebasierter Systeme“ am Weizenbaum-Institut. „Wir untersuchen, inwieweit Software durch die mit KI und Daten ermöglichten neuen Dimensionen der Automatisierung auch neue mögliche Fragilitäten oder Angreifbarkeiten mit sich bringt. Um diese zu adressieren, schauen wir insbesondere auf die nötigen Aus- und Weiterbildungen als auch auf die passende Benutzbarkeit und Bedienbarkeit der Systeme. Da es keine 100-prozentig kor­rekte Software oder eben KI gibt (und geben wird), kommt es sehr darauf an, einen souveränen Umgang mit diesen Systemen sowohl in Normalsituationen als auch in Fehler- oder Ausfallsitu­a­tionen zu ermöglichen“, so Prof. Dr.-Ing. Ina Schieferdecker, Professorin für Quality Engineering von Offenen Verteilten Systemen an der Technischen Universität Berlin und Gründungsdirektorin des Weizenbaum-Instituts für die vernetzte Gesellschaft.

Die aktuellen Beispiele verdeutlichen gut, wie schnell uns die digitale Transformation berührt und verändert. Wir wollen alle hoffen, dass die Forschung in Zukunft rund um die Auswirkungen der Digitalisierung viele positive Einflüsse auf unsere Gesellschaft feststellen kann. Abzuwarten bleibt, wie schnell und flexibel unsere Politik die richtigen Rahmenbedingungen im Kontext der Digitalisierung verankern wird. Hier im Hinblick auf die künstliche Intelligenz, sonst wird aus der jetzigen digitalen Evolution doch noch eine digitale Revolution.

von Bernhard Haselbauer