Transformation bedingt einen Kulturwandel
Folge III: Neugier und Fehlerkultur
Von Carsten Rust, Senior Director Digital Transformation EMEA, Pegasystems
In unserer letzten Folge hatten wir die Notwendigkeit eines dualen Vorgehens festgestellt, das Exploitation und Exploration fein austarieren muss. Damit Exploration zum Erfolg führt, bedingt es einer Eigenschaft, die in Unternehmen sonst eigentlich kaum gebraucht wird: Neugier.
Neugier kommt arglos daher, hat aber das Potenzial, alles auf den Kopf zu stellen. Das ist nicht nur seit Albert Einstein so, dem immer wieder die Aussage zugeschrieben wurde, er habe keine besondere Begabung, sondern sei nur leidenschaftlich neugierig. Längst hat auch die Wissenschaft postuliert, dass Kreativität nicht allein aufgrund von Intelligenz entstehen kann, sondern nur dann, wenn sie mit Neugier gepaart ist.
Noch bevor der erste Schritt in die Exploration getan wird, sind Führungskräfte gefragt. Sie müssen das Bewusstsein verinnerlichen, dass ihr Wissen limitiert und in der Explorationsphase eigentlich gar nicht mehr ausschlaggebend ist. Die wichtige Aufgabe der Leader besteht also darin, sich zurückzunehmen und in Bescheidenheit zu üben, und ihr Ego zurückzudrängen. Nach möglicherweise vielen Jahren des egogetriebenen Business fällt diese Entscheidung nicht jedem leicht.
Die Abwertung des eigenen Wissens ist für Führungskräfte aus mehreren Gründen notwendig. Erstens, weil wir unser Wissen ohnehin hoffnungslos überbewerten. In seinem Buch „Thinking Fast and Slow“ erinnert etwa Nobelpreisträger Daniel Kahneman an „unsere fast grenzenlose Fähigkeit, unsere Ignoranz zu ignorieren“ und appelliert daran, sie endlich zu akzeptieren. Auch Führungskräfte machen sich diesbezüglich etwas vor. Zweitens, weil eine Führungspersönlichkeit längst kein Wissensvorbild mehr ist, denn längst sind Mitarbeiter binnen kürzester Zeit in der Lage, sich jedes beliebige Detailwissen anzueignen, Internet sei Dank. Drittens, weil das Festhalten an formalem Wissen in einer Explorationsphase hinderlich ist, weil sie Offenheit für außergewöhnliche Gedanken behindern kann. Und viertens, weil es wichtig ist, eine explorative Lernkultur zu etablieren. Sie ist die Voraussetzung für den Erfolg, und es ist für Führungskräfte wichtig, sich eben nicht mehr als Vorbild für Wissen, sondern für Lernbereitschaft und Neugier zu positionieren, damit alle Explorationsbeteiligte sie selbst verinnerlichen. Neugier hat Wissen abgelöst, könnte man sagen.
Zur Lernkultur gehört selbstverständlich die leider immer noch zu oft verschmähte Fehlerkultur, denn immer noch haben Mitarbeiter Angst, Fehler zu machen und deswegen stigmatisiert oder sogar abgemahnt zu werden – übrigens nicht ganz zu unrecht. Die Folge: Fehler werden verheimlicht, niemand lernt etwas daraus, und vielleicht fährt ein Unternehmen deswegen sogar gegen die Wand. Das ist Unternehmenskultur von vorgestern: Unternehmen müssen Fehler zulassen, mehr noch, sich damit identifizieren. Hier ist auch ist die Vorbildfunktion der Führungsetage gefragt. Adidas-CEO Kasper Rorsted etwa ist sich dieser Rolle durchaus bewusst: „Ich versuche, Fehler offen einzuräumen (…) Auch als CEO muss ich nicht alles richtig machen.“
Ich schlage vor: Neben der besten Idee sollten Unternehmen künftig auch den besten Fehler prämieren, damit wäre auf einen Schlag das Thema Fehlerkultur ganz oben auf der Agenda. Übrigens ist Fehlerkultur im naturwissenschaftlichen Betrieb fest verankerter Alltag. Ein Prinzip der Naturwissenschaft ist die Falsifizierbarkeit jeglicher Theorie, die jederzeit widerlegt werden können muss. Der eingefleischte Naturwissenschaftler freut sich geradezu, wenn Kollegen Fehler in seiner Theorie finden (wenn nicht zu viel Ego im Spiel ist), damit er weiter an der richtigen Lösung arbeiten kann. Diesen Geist sollten auch Unternehmen aufnehmen und in ihren Werten verankern.
Explorative Lernkultur bedeutet, neugierig sein, ausprobieren, experimentieren, eingeschleifte Prozesse ignorieren, eingetretene Pfade verlassen und das Streben nach Schnelligkeit und Effizienz hinter sich lassen. Tatsächlich ist Effizienz Gift für die Exploration: „Je effizienter wir werden, desto mehr verlieren wir unsere Neugierde“ – der Todesstoß für jegliche Innovation. So hat es jedenfalls Netflix-Gründer Reed Hastings in seinem Buch „No Rules Rules“ ausgedrückt.
Das Bestreben nach Exzellenz sollte der Neugierde und Lernkultur gleichberechtigt sein. Exploration führt über kurz oder lang zur Komplexität – komplexe Ideen, komplexe Zusammenhänge – die es gilt, präzise aufzulösen und begreifbar zu machen. Andererseits sollte intrinsisches Lernen, Experimentieren und Verwerfen am Ende zu exzellenten Lösungen führen. Dieses Mindset ist wichtig.
„Curiosity killed the cat“: Das britische Sprichwort warnt uns vor den Gefahren unnötigen Experimentierens und zu großer Neugier. Unsinn! Glorifizieren wir Neugier, stellen wir sie auf ein Podest, verehren wir sie. Neugier stellt alles auf den Kopf, und das ist gut so. Unternehmen sollten sie prämieren: neben dem Preis für die beste Idee und den besten Fehler. Wenn Transformation einen Kulturwandel bedingt, dann sollte auch Neugier unbedingt ein Teil davon sein.
Dieser Beitrag ist Teil einer Serie. Die beiden anderen Teile sind:
Weitere Informationen unter:
www.pega.com/de
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