Studie: Deutsche Vorstände brauchen mehr Entrepreneurship- und Digitalerfahrung

Studie: Nicht einmal jeder zehnte DAX-Vorstand hat umfassende Digitalisierungs-Kompetenz – nur jeder Vierte mit eigener Erfahrung mit Unternehmertum

Analyse von Prof. Dr. Julian Kawohl von der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin und Dr. Jochen Becker vom Investment Lab Heilbronn

• Schlechte Vorbereitung der Unternehmenslenker auf Herausforderungen der digitalen Transformation

• Altersstruktur und Auswahlverfahren der Vorstände grundsätzliches Problem angesichts großer wirtschaftlicher Herausforderungen

Vorstände deutscher DAX- und MDAX-Unternehmen sind schlecht auf die digitale Transformation und  die sich daraus ergebenden Herausforderungen in einem sich schnell ändernden wirtschaftlichen Umfeld vorbereitet. Mit acht Prozent bringt nicht einmal jeder zehnte Vorstand aus vorherigen Jobs umfassende Digitalkompetenzen mit. Und nur jeder vierte von ihnen verfügt über substanzielle unternehmerische Vor-Erfahrung.

Das sind die Ergebnisse einer umfassenden Analyse durch Prof. Dr. Julian Kawohl, Inhaber der Professor für Strategisches Management an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin und Dr. Jochen Becker vom Investment Lab Heilbronn – einem Think Tank der Dieter Schwarz Stiftung.
Die beiden Wissenschaftler analysierten  411 Lebensläufe von Vorständen aller 80 DAX- und MDAX-Unternehmen. „Zweifellos haben die wichtigsten börsennotierten Unternehmen Deutschlands bei der Besetzung der Vorstandsteams großen Nachholbedarf in Bezug auf Entrepreneurship, Gründergeist und Digitalerfahrung. Hier nachzusteuern wird eine der größten Herausforderungen in den kommenden Jahren sein“, betont Prof. Dr. Kawohl.

 

Für die Studie analysierten Kawohl und Becker sowohl die Unternehmenswebseiten und Geschäftsberichte als auch Profile in den Business-Netzwerken LinkedIn- und Xing nach einem umfassenden Scoring-System. Der SAP-Vorstand Bill McDermott weist mit 9 Punkten für digitale und unternehmerische Erfahrung die höchsten Einzelwerte aller DAX- und MDAX-Vorstände auf, gefolgt von Kim Hammonds von der Deutschen Bank mit 8 Punkten. Bei dem Vergleich der kompletten Vorstandsteams verfügen die Unternehmen Ströer, Schaeffler und SAP über die meiste Entrepreneurship-Erfahrung.

 

Vorstandsteams nach Digitalerfahrung

Klarer Spitzenreiter bei der Gesamterfahrung in Bezug auf Digitalkompetenz im Topmanagement ist SAP, auf dem zweiten Rang gefolgt von einem Quintett aus Adidas, Airbus, Beiersdorf, Deutsche Bank und Telekom. Dahinter folgen BASF und Hochtief. „Dass SAP hier in der Spitzengruppe liegt, überrascht angesichts der digitalen Grundausrichtung des Unternehmens wenig. Dass aber jenseits solcher Sonderfälle extrem wenige Vorstände zuvor entsprechende Positionen in einem Software- bzw. Technologieunternehmen inne hatten und damit geringe digitale Vorkenntnisse mitbringen, hat uns doch ziemlich erstaunt“, sagt Prof. Dr. Kawohl.

 

Vorstände mit Entrepreneurship-Erfahrung

Mindestens genauso groß war für die beiden Studienautoren die Enttäuschung bei der Vorerfahrung mit eigenem Unternehmertum. Nicht nur, dass lediglich 25 Prozent der Vorstände diese vorweisen können, z. B. durch eine Leadership-Position in einem Familienunternehmen oder die Gründung eines Start-ups. Zudem haben nur 9 von 80 DAX-Unternehmen bei der unternehmerischen Erfahrung einen Wert von 5 Punkten erreicht. Kawohl: „Diese Punktzahl hatten wir vorher definiert als Schwelle für ausreichenden Gründergeist und Unternehmertum.“

Das Ergebnis stellt das Auswahlverfahren der Vorstände in den DAX-Unternehmen grundsätzlich in Frage. „Wie sollen Vorstände, die vorher keine unternehmerischen Entscheidungen in Gründungs- oder Transformationsprozessen treffen mussten, dann als Vorstand in einem sich schnell verändernden wirtschaftlichen Umfeld riskante und gleichzeitig aussichtsreiche Prozesse anstoßen und durchsetzen“, so Prof. Kawohl. Dabei sei die digitale Transformation nur ein aktuelles Beispiel, aber nicht die einzige grundlegende Herausforderung „Offensichtlich wird der unternehmerische Ansatz bei der Auswahl von Vorständen nicht hoch genug  bewertet – etwa im Vergleich zu erfolgreichen Karrieren als angestellte Führungskraft.“

 

Verjüngung des Vorstandsteams empfohlen

Eine weitere Schwachstelle der Vorstandsteams sehen die Studien-Autoren im hohen Durchschnittsalter der Vorstände. Als Durchschnittsalter ergibt sich ein Wert von 52,6 Jahren. Das jüngste Vorstandsteam kommt von Zalando mit einem Durchschnittswert von 33,7 Jahren. „Bei Zalando gehören beispielsweise alle Vorstände der Generation Y (Jahrgang 1980 und jünger) an.
Diese ist jedoch insgesamt nur mit knapp 1% in den Vorständen der DAX- und MDAX-Unternehmen vertreten“, so Prof. Kawohl:
„Angesichts der Herausforderungen der neuen Technologien ist eine Verjüngung des Vorstandsteams und eine bessere Mischung der Altersstruktur sinnvoll.“

Kawohl empfiehlt, auch bei der Rekrutierung des Topmanagements für klassische Business-Ressorts sich in der Startup-Szene umzuschauen. Der Aufbau von Senior-Junior-Vorstandstandems zur gegenseitigen Befruchtung sowie die Besetzung des Aufsichtsrats und hier insbesondere des Nominierungsausschusses durch Personen mit Entrepreneurship- und Digitalerfahrung sei ebenfalls sinnvoll.

 

 

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Zur Methodik der Studie:

Insgesamt umfasst das Sample 80 Unternehmen mit insgesamt 411 Vorstandsmitgliedern. Als Forschungsgrundlage dienen ein sehr umfassendes Screening der Unternehmenswebseiten und der Geschäftsberichte sowie ergänzende Bewertungen der LinkedIn und Xing-Profile der einzelnen Vorstände sowie Suchmaschinen-Recherchen. Hierbei wurde jeweils dezidiert nach Erfahrungen in den Bereichen Entrepreneurship und Digitalisierung für jeden einzelnen Vorstand gesucht.

Entrepreneurship-Erfahrung umfasst im Studienkontext die Arbeit in einem Familienunternehmen oder Start-up, eine Topmanagement-Position (vor der Berufung in den Vorstand) mit starken unternehmerischen Freiheiten z. B. als Werksleiter oder Geschäftsführer einer (neu aufgebauten) Business Unit bzw. eines Standorts oder ein öffentliches Engagement im Unternehmerkontext sowie die Arbeit in einem Consultingunternehmen, welche durch die partnerschaftliche Organisation deutliche unternehmerische Züge aufweist.

Digitalerfahrung bedeutet in der vorliegenden Studie die im Lebenslauf nachgewiesene Arbeit bzw. das Engagement im digitalen Kontext. Dies kann z. B. die Mitarbeit bzw. eine Führungs- oder Aufsichtsratsposition in einem Unternehmen der Digitalwirtschaft (z. B. Software- oder IT-Konzern) sein. Neben diesen Erfahrungen werden hier ebenfalls die Arbeit in F&E-Abteilungen (als Ausweis von Beschäftigung mit Zukunftsthemen, die auch entsprechende Bezugspunkte mit Blick auf Digitalisierung haben) als auch das öffentliche Engagement im digitalen Kontext (z. B. in repräsentativer Funktion in einem Verband oder Gremium) berücksichtigt.

Um die jeweiligen Erfahrungen zu bewerten, wurden daraufhin konkrete Kategorien und ein Scoring-System definiert.

 

 

 

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Über die Professur für Strategisches Management der htw Berlin:

Zentrale Inhalte der Professur für Strategisches Management und Case Studies der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin sind die Themenbereiche Digital Management und Ecosystems sowie Corporate Entrepreneurship und Innovation. Primärer Fokus in diesen Themenfeldern sind Analysen, welche Möglichkeiten insbesondere für etablierte Unternehmen bestehen, im digitalen Zeitalter erfolgreich Geschäftsmodelle umzusetzen und sich dafür zu transformieren.

Prof. Dr. Julian Kawohl hat die Professur seit April 2015 inne. Er verfügt über mehrjährige Strategie-Praxiserfahrung als Leiter Konzernentwicklung und CEO-Assistent in einem internationalen Unternehmen, die er mit wissenschaftlicher Fundierung kombiniert, um einen hohen Anwendungsimpact zu erzielen. Kawohl arbeitet mit einem umfassenden Netzwerk in Corporates, Startups, Consulting und Research und ist Senior Advisor für Unternehmen sowie regelmäßiger Key Note Speaker und Panel Moderator auf nationalen und internationalen Konferenzen. Mehr Informationen unter http://www.juliankawohl.de

 

Über Dr. Jochen Becker, LeiterInvestment Lab Heilbronn:

In Kooperation mit internationalen Kollegen forscht Jochen Becker zu den Themen Investoren-beziehungen und Finanzkommunikation. Seit 2013 leitet er das von ihm gegründete Investment Lab Heilbronn, ein Think Tank der Dieter Schwarz Stiftung. Ziel ist es, das Investment Lab Heilbronn als Denkfabrik für börsennotierte Wachstumsunternehmen und Venture Capital Akteure zu etablieren. Dr. Becker ist zudem Assistant Professor für Finanzkommunikation an der German Graduate School of Management and Law Heilbronn (GGS) und Senior Researcher an der ETH Zürich.

 

 

Für weitere Informationen oder Interview-Anfragen:
Wolfgang Ludwig
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Mail: mail@ludwig-km.de

 

 

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