Speed is key

3DSE Management Consultants hat eine Leitstudie zur Digitalisierung in Forschung und Entwicklung herausgebracht. Die TREND-REPORT-Redaktion sprach zu zentralen Ergebnissen und weiteren Fragestellungen mit den Geschäftsführen Dr. Schulz und Dr. Wenzel.

Herr Dr. Schulz, mit welchen digitalen Herausforderungen sieht sich die F&E in Zukunft konfrontiert?

Die erste Herausforderung ist, zu klären, was Digitalisierung eigentlich bedeutet. Unsere „Leitstudie zur Digitalisierung der F&E“ hat ergeben, dass jeder etwas anderes darunter versteht. Für Unternehmen ist es enorm wichtig, die Bedeutung für sich zu definieren. In unserer Studie haben wir fünf grundlegende Bestandteile herausgearbeitet, die für die meisten Unternehmen zutreffend sind. Wichtig ist es aber auch, eine digitale DNA im Unternehmen zu etablieren, also eine digitale Kultur, nach der alle im Unternehmen handeln – nicht nur der CDO.
Die zweite große Herausforderung für Unternehmen besteht darin, dass sie ihre Erfolgslogik teilweise verlassen müssen. Das, was sie bisher erfolgreich gemacht hat, müssen sie teilweise über Bord werfen, um sich den digitalen Grundprinzipien zu öffnen, sie zu verstehen und zu verankern, um dadurch neue Möglichkeiten erschließen zu können. Zu diesen Grundprinzipien gehört zum Beispiel „fail fast and learn“ – also scheitern ist gut, wenn es möglichst früh passiert und man daraus schnell lernt. Bisher ist es eher so, dass typisch ingenieurgetriebene Unternehmen versuchen alles durchzuplanen und es zur klassischen Erfolgslogik gehört, ohne detaillierten Plan erst gar nicht anzufangen. Jetzt gilt „problems are welcome“, weil sie erfolgreich machen,da man an ihnen lernen kann. Vor allem im Silicon Valley und anderen weltweiten Start-up Hubs wie Tel Aviv, Berlin oder Pittsburgh findet man mittlerweile diese Denkweise. Damit verbunden ist auch der dritte Herausforderungsaspekt, die Risikobereitschaft. Das heißt, vielleicht ohne klare Zielformulierung anzufangen und auch disruptiv zu denken, anstatt  alles erstmal mit einem detaillierten Businessplan hinterlegen zu wollen.

Der vierte Aspekt ist „Speed is key“ – also den Fokus auf Schnelligkeit zu legen. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass es besser ist mit 80% als Erster das Ziel zu erreichen, als mit 100% der Zweite zu sein. Insbesondere in einer immer weiter zunehmenden Plattformökonomie ist das oftmals der entscheidende Wettbewerbsvorteil. Das ist ein starker Wandel. Gerade im Internet entstehen Monopole, weil etwas als Erster gemacht wird und nicht, weil man alles 100% genau richtig gemacht hat. Es gilt die Produkte möglichst schnell auf den Markt zu bringen und dann kontinuierlich mit Updates und Upgrades für neue Features zu sorgen. Das ist für den deutschen Ingenieur, den Genius, der alles aus Erfahrung macht und „unkopierbar“ ist, natürlich schwer. Durch die Möglichkeiten digitaler Technologien im Hinblick auf die Automatisierung bei Prozessabläufen wirkt die Digitalisierung selbst als Emulator.

Die letzte Herausforderung besteht darin, das Kundenproblem ins Zentrum zu stellen. Es gilt vom Kunden her zu agieren und sich nicht einfach darauf zu verlassen, dass er die Produkte schon kaufen wird, da diese immer schon für Qualität standen. Die neuen Möglichkeiten im Bereich Datensammlung und Auswertung sind hilfreich für ein besseres Kundenverständnis und die Entwicklung innovativer Produkte. Stetig neue Features halten das Produkt für den Kunden dann attraktiv. Im Hinblick auf die Kundenbindung hilft es auch, die Produkte in Zukunft sehr viel stärker in Richtung Plattformen bzw. Ökosysteme zu entwickeln. Durch entstehende Wechselwirkungen kann so eine viel stärke Kundenbindung- und Loyalität erreicht werden.

Webinare mit exklusiven Einblicken in die neue Leitstudie zur Digitalisierung der F&E veranstaltet 3DSE am Do, 13. Juli, 10:30 – 11:15 Uhr oder Mi, 19. Juli, 10:30 – 11:15 Uhr.

 

Helfen sie dabei, digitale Ökosysteme für Unternehmen zu ergründen und aufzubauen?

Ja! Die Herausforderung besteht hier darin, dass Unternehmen über die Grenzen des eigenen Produktes hinwegdenken müssen. Bei der Entwicklung eines Bürostuhls etwa kann mittels Sensoren Technologie integriert werden, die weit über das „Prinzip Stuhl“ hinausgeht. Die konkrete Anwendung der Sensoren am Markt steht da noch gar nicht fest. Es gilt zu überlegen, was um den Stuhl herum zusätzlich angeboten werden kann. Daraus entstehen dann weitere Fragestellungen: Was für eine Cloud brauche ich dafür? Welche Art von Services biete ich an? Warum sollte sich der Kunde bei mir registrieren? Es muss in ganz anderer Art und Weise über das Produkt, das Geschäft, den Kunden und über das Leistungsangebot, das ich diesem unterbreite, nachgedacht werden. Das ist eine Aufgabe, bei der die deutsche Industrie noch vor großen Herausforderungen steht, weil sie aus der Historie heraus sehr stark produktgeprägt ist.

Herr Dr. Wenzel ergänzend: Dabei ist es wichtig auch die Anforderungen des Kunden zu ermitteln, die dieser heute selbst noch gar nicht formulieren kann. Wir nennen das „latente Anforderungen“ oder „Excitement Anforderungen“. Das iPhone ist hier ein gutes Beispiel. Das neu gebildete Ökosystem mit Apps, der einfachen Nutzung und Installation und die GUI beantwortete Kundenbedürfnisse, welche die Kunden zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht kannten. Die Entwickler hatten diese antizipiert und damit einen Bedarf geweckt. Diese latenten Anforderungen – hier kann man die Kunden nicht fragen, was ihnen wichtig ist – muss man systematisch herleiten. Hierfür haben wir einige Prozesse und Möglichkeiten, um das umzusetzen.

 

Dr. Schulz (li.) und Dr. Wenzel plädieren für ein neues "Digitalisierungsverständnis". Digitalisierung darf nicht das Ziel sein, vielmehr ist sie der Weg; denn Digitalisierung eröffnet den Unternehmen neue Möglichkeiten auf dem Weg zum Ziel, den Endkunden mit neuen Services zu adressieren.

Dr. Schulz (li.) und Dr. Wenzel helfen Unternehmen beim Aufbau digitaler Ökosysteme.

Herr Dr. Wenzel, wie kann man die F&E im spezifischen Kontext des jeweiligen Unternehmens systematisch digitalisieren?

Man muss die Abläufe betrachten und klären, wo durch  digitale Technologien Potenziale gehoben werden können: Zum Beispiel durch Automatisierung, wobei manuelle Schnittstellen und Schritte entfallen, oder indem datenbasiert bisher subjektive Entscheidungen einer sehr viel stärkeren Faktenorientierung unterzogen werden. Es gilt also zu klären, wo ich das größte Potenzial habe, aber auch, wo ich eine schnelle Wirkung erzielen kann. Diese Bereiche müssen zuerst angegangen werden. Parallel dazu muss man im Blick haben, wo ein sehr starker „Befähigungsaufwand“ betrieben werden muss. Hier hat man zwar nicht unbedingt schnelle Effekte, aber aufgrund  langer Vorlaufzeiten muss schon sehr frühzeitig investiert werden, um die benötigte Fähigkeit rechtzeitig zu haben. Entscheidend dabei ist, dass man nicht einfach die bestehende Landschaft im Unternehmen hernimmt und auf „digital trimmt“. Ich muss hier vom Grund ausgehen und das Gesamtbild betrachten. Was würde ich grundlegend mit welchen digitalen Technologien anders machen? Böswillig ausgedrückt: Wenn ich einen schlechten Prozess habe und den digitalisiere, dann ist das immer noch ein schlechter Prozess. Er ist dann vielleicht wahnsinnig schnell und automatisiert, aber es bleibt trotzdem ein schlechter Prozess.

Herr Dr. Schulz, welche „Archetypen“ konnten Sie im Kontext Ihrer Studie ausmachen?
Wir haben vier Archetypen ausgemacht. Der Abwartende, der beobachtet und schaut wie sich das ganze Thema entwickelt und dann nachfolgt. Der Fokussierte, der schon Erfahrung gesammelt hat und eine klare Richtung einschlagen möchte, der das Ganze strategisch, schrittweise und sauber umsetzten will. Der Mutige, der mit wenig Erfahrung, aber dafür mit Mut einfach loslegt und probiert.
Der Selbstbewusste, der die digitale Speerspitze bildet, also beim Thema Digitalisierung schon ganz vorne mit dabei ist. Er will seinen Vorsprung einfach weiter ausbauen.

Vier Archetypen von Unternehmen im Bezug zur Digitalisierung der F&E

Welcher Unternehmenstyp hat es am einfachsten, die Möglichkeiten der digitalen Transformation zu adaptieren?

Nach meiner Einschätzung der Mutige und der Selbstbewusste, weil beide eben relativ schnell sind und sich auf das Spiel einlassen. Der Fokussierte hingegen muss aufpassen, dass er nicht in seiner Strategie hängen bleibt und zu viel plant.

Inwieweit können neue Technologien die F&E Bereiche unterstützen und welche Sicherheitsstandards müssen eingehalten werden?

Das Thema Sicherheit ist enorm wichtig. Hier reden wir von zwei Dimensionen: Zum einen, vom Schutz der eigenen IT- Infrastruktur, mit der man arbeitet, zum anderen vom Schutz der Produkte die man anbietet. Denken wir beispielsweise an das Thema „Autonomes Fahren“: ein Schutz des Produktes vor unbefugtem Zugriff von außen ist unter Umständen überlebensnotwendig. Hier kann die ISO 27008 – ein relativ neuer Standard –  ein Stück weit Orientierung bieten. Wichtig ist, dass man sich immer wieder regelmäßig selbst hinterfragt. Bin ich, ist mein Unternehmen, IT-sicherheitstechnisch noch auf der Höhe der Zeit? Denn auch Standards müssen sich konsequent weiterentwickeln. Teilweise muss man hier sogar schneller als die Standards sein, da sich auch die Technologien, die von potenziellen Angreifern eingesetzt werden, weiterentwickeln. Man kann sich nie zu 100 Prozent sicher sein und muss versuchen, immer auf dem letzten Stand der Sicherheitstechnik zu sein. Nur so ist man maximal gewappnet.
Das in den letzten Wochen aktuelle Thema „WannaCry“ ließ erkennen, wie angreifbar die digitale Welt nach wie vor ist. Dadurch wurden viele aufgeweckt und das notwendige Umdenken wurde weiter „befeuert“. Die Maxime lautet, konsequentes Handeln und Orientierung an existierenden Standards, die weiterentwickelt werden.

Die entscheidende Frage ist allerdings, wie Unternehmen feststellen können, welche Schwachstellen in ihren eingesetzten Programmen sind. Hilft hier ein Vulnerability Management? Die Lösung könnte darin bestehen, sein eigener Disruptor zu sein. Beim Thema IT-Sicherheit bedeutet das, dass ich mich selbst angreife und auch auf die ungewöhnlichsten Wege eingehe, um Schwachstellen und Lücken zu finden. Dies wird auch für mein eigenes Verständnis eine große Bereicherung. Ich setze mich selbst einem Stresstest aus und finde Lücken, bevor dies einem anderen gelingt. Man muss um die Ecke denken! Konkret heißt das, Unternehmen sollten Hacker beauftragen, sie anzugreifen.

Wie können die wettbewerbsentscheidenden Trends früher erkannt und erschlossen werden?

Damit das gelingt, müssen Unternehmen viel breiter „screenen“ als in der Vergangenheit. Bisher haben Unternehmen sehr viel darauf geachtet, was die eigene Branche, der Kernwettbewerb, macht. Gerade disruptive Bedrohungen kommen jedoch nicht aus der eigenen Branche, sondern von Unternehmen, die man so nicht auf dem Radar hat. Hier muss man gewissermaßen an der eigenen Disruption arbeiten, um zu erkennen, in welchen Bereichen Bedrohungen liegen könnten. Diese Bereiche kann man dann nach potenziellen Wettbewerbern, potenziellen „Disruptoren“, durchsuchen. Nach der Auffindung eines Disruptors stellt sich die Frage, ob dieser eine Gefahr für mich darstellt, oder ob ich mich gar an ihm beteiligen sollte? Vielleicht ist es sinnvoller eine Partnerschaft, eine Kooperation, einzugehen, anstatt in Konkurrenz zu treten?
Wenn ich mein eigener Disruptor bin, muss ich mich vor fremden Disruptoren nicht fürchten. Durch dieses „sich selber in Frage stellen und Suchen nach der eigenen Disruption“ finde ich die Trends, die für die Zukunft wirklich entscheidend sein könnten.

Herr Dr. Wenzel, welche Haupterkenntnis förderte Ihre aktuelle „Leitstudie Digitalisierung“ zutage?

Das Thema Digitalisierung ist im Sprachgebrauch stark von der Netzwerk-Ökonomie, die den Markt doch deutlich verändert, geprägt. Wir glauben, die entscheidende Frage in Deutschland wird sein: Wie können erfolgreiche, klassische Technologieunternehmen mit der Digitalisierung und deren Auswirkung umgehen und daraus einen Wettbewerbsvorteil ziehen? Dazu haben wir neun Erkenntnisse abgeleitet, die, wenn man sie im Einzelnen betrachtet, den Unternehmen helfen, diesen Wandel gut zu vollziehen und daraus Profit zu schlagen.

Weitere Informationen unter:
www.3dse.de

Weitere Infos speziell zur Leitstudie und den Webinaren:
http://fue-leitstudie.de/