Sinkende Attraktivität – Finanzunternehmen laufen die Bewerber weg

Dies ist ein Gastbeitrag von Steve Wainwright, Managing Director, EMEA der Skillsoft Gruppe

Immer weniger Absolventen und Berufseinsteiger zieht es in die Finanzbranche. Wo sich noch vor wenigen Jahren bis zu 400 Bewerber um eine freie Stelle rissen, sind es heute bestenfalls noch 50. Die Folge: bei Sparkassen und Banken mit Filialnetz werden auch 2018 zahlreiche Ausbildungsplätze unbesetzt bleiben. Längst haben Branchenexperten die prekäre Situation etablierter Unternehmen erkannt und mahnen ein umfassendes Talent Management an, um Attraktivität im „War for Talents“ zurückzugewinnen. Die Unternehmen selbst sehen jedoch offensichtlich noch immer wenig Handlungsbedarf.

Schrumpfende Gewinne, Krisen, Kosten- und Restrukturierungsdruck, Filialsterben – dies und mehr hat am Image von Banken als attraktiver Arbeitgeber gekratzt und schlägt sich seit Jahren in stark rückläufigen Bewerberzahlen nieder.

Auch im Ranking der 100 begehrtesten Arbeitgeber 2017 unter 52.000 Studenten und Absolventen der Wirtschaftswissenschaften finden sich lediglich noch 4 Branchengrößen, – vorwiegend auf den hinteren Plätzen – während BMW, Audi, Daimler, Porsche und Google mit großem Abstand zu den attraktivsten Job-Adressen gehören.

„Insbesondere traditionsreiche Finanzunternehmen geraten hinsichtlich der Gewinnung, der Förderung und dem Erhalt von Mitarbeitern und Führungskräften zunehmend ins Hintertreffen“, weiß Steve Wainwright, Managing Director EMEA des auf Talent Management spezialisierten Software-Unternehmens SumTotal Systems.

Dies bestätigt auch die Studie „Change-Barometer 5 – Herausforderungen der Bankenbranche 2014 bis 2018“: Demnach haben 67 Prozent der 283 befragten Finanzunternehmen keine konsistente Talent Management-Strategie. Rund ein Viertel habe in dieser Hinsicht noch überhaupt keine Pläne. Insgesamt sei der diesbezügliche Handlungsdruck eher gering, schlussfolgert die Studie.

Wie können gerade traditionsreiche Banken ihre Attraktivität als Arbeitgeber insbesondere bei jüngeren Generationen steigern und sich im branchenübergreifenden „War for Talents“ wirksamer positionieren? Es gibt eine Reihe guter Gründe, warum die Unternehmen ein größeres Augenmerk auf ihr Talent Management legen sollten als bisher.

Grund 1: Veränderte Geschäftsbedingungen und höhere Bewerber-Anforderungen
Der Anspruch der Unternehmen sowie das Themenfeld werden zunehmend vielseitiger, umfangreicher, komplexer. Der Trend geht in Richtung Dienstleistung on Demand. Verlustreiche klassische Geschäftsfelder werden durch ein umfassendes Finanzdienstleistungs-Portfolio für private und geschäftliche Kunden kompensiert. Die ehemals klare Abgrenzung des Bank- und Versicherungsgeschäfts ist kaum mehr erkennbar.

Dies erfordert einen gänzlich anderen Mitarbeitertypus – mit einer wesentlich breiteren Einstiegsqualifikation, permanenter Lernbereitschaft, hoher digitaler Affinität und nicht zuletzt einer ausgeprägten Beratungs- und Sozialkompetenz. Denn umfassende Finanzberatung ist – bei aller Digitalisierung – „Menschen-Geschäft“ und hängt von der Qualität der individuellen Betreuung ab.

Grund 2: Führungskräfte müssen Potenziale erkennen und fördern
Infolgedessen muss sich auch das Anforderungsprofil an Führungskräfte wandeln. Auf der Grundlage der Unternehmensziele sollten sie in der Lage sein, künftig benötigte Stellen- und Qualifikationsprofile zu entwickeln und kompetente Fachkräfte aufzubauen. Dies erfordert anstelle eines einmaligen Mitarbeitergesprächs pro Jahr permanente Impulse und regelmäßiges Feedback an die unterstellten Mitarbeiter. Auch die Steuerung praxisnaher Schulungen zur Vorbereitung von Fachkräften auf neue Aufgaben gehört zum Verantwortungsbereich einer modernen Führungskraft.

Grund 3: Veränderte Prioritäten der Millenials
Die Generation der sogenannten „Digital Natives“ ist erstaunlich konservativ eingestellt. Entsprechend haben sich die Erwartungen und Wertvorstellungen an den Beruf verändert: Galten für die Vorgängergeneration noch flexible, weitgehend selbstbestimmte Arbeitszeiten, Home Office, BYOD und Facebook am Arbeitsplatz als oberste Prämisse, orientieren sich die Prioritäten der Millenials vorwiegend am Aspekt Sicherheit. Arbeitsplatzsicherheit, nachhaltig fachliche und persönliche Entwicklungsperspektiven, klar strukturierte Karrierepfade und eine angemessene Work-Life-Balance fallen in Umfragen unter dieser Personengruppe als häufigste Stichwörter.

Grund 4: Wenn schon Finanzbranche, dann FinTech
Faszination Finanzwelt – entgegen den etablierten Unternehmen vermitteln die digitalen Disruptoren ihren vorwiegend jungen Kunden sehr erfolgreich die neue Einfachheit von Finanzgeschäften: schnell, agil und unkonventionell. Das kommt auch bei Absolventen und Berufseinsteigern gut an. Flache Hierarchien, moderne Technik und neuartige Geschäftsmodelle mit hohem Wachstumspotenzial versprechen ein flexibles Tätigkeitsumfeld, hohen Gestaltungsspielraum und gute persönliche Entwicklungsmöglichkeiten.

Grund 5: Die richtigen Anreize setzen
Was können die Traditionsunternehmen den „jungen Wilden“ entgegensetzen, um wieder mehr junge Menschen anzuziehen und sie langfristig an das Unternehmen zu binden? Eine ganze Menge! Denn mit dualem Studium, der Übernahme von Studiengebühren, Trainee-Einsteigerprogrammen und Fortbildungen an konzerneigenen Bildungseinrichtungen sind die meisten etablierten Häuser durchaus zukunftsorientiert aufgestellt. Darüber hinaus könnten diese Angebote das „Sicherheitsbedürfnis“ der Millenials sehr erfolgreich adressieren und ein veritables Alleinstellungsmerkmal gegenüber der FinTech-Konkurrenz darstellen.

Es kommt für die Banken nun aber darauf an, diese attraktiven Anreize wieder stärker im Vordergrund zu positionieren und neben dem Berufseinstieg auch die nachfolgende Karriere inklusive Aufstiegsmöglichkeiten aktiv zu fördern. Das betrifft nicht nur Young Professionals, sondern alle Mitarbeiter und Führungskräfte der Unternehmen.

Kontinuität statt starrer Positionen, gestalten statt verwalten, motivieren statt blockieren – damit lässt sich im „War for Talents“ erfolgreich punkten. Talent & Workforce Management kann insbesondere für traditionsreiche Finanzunternehmen ein machtvolles Steuerungs-Instrument sein, um qualifizierte Mitarbeiter zu gewinnen, zu entwickeln und – über Motivations-, Lern- und Anreizsysteme – langfristig an das eigene Unternehmen zu binden.

Über den Autor:

Steve Wainwright ist Managing Director, EMEA der Skillsoft Gruppe und verantwortet das operative Direktgeschäft und den Channel-Vertrieb des Corporate Learning-Anbieters in Europa, dem mittleren Osten und Afrika. Mit seiner mehr als 25-jährigen Erfahrung in Workforce-Lösungen ist Steve ein leidenschaftlicher Verfechter von Learning & Development (L & D) im Unternehmensumfeld. Vor Skillsoft leitete Steve internationale Vertriebsfunktionen bei marktführenden Unternehmen wie Salesforce.com und Oracle. Als Chief Digital Officer gehörte er außerdem zum Vorstand von SAP in Großbritannien.