Onboarding Factory

Erfolgskriterien für die Umsetzung von Smart Services: Wie Deutschland der Einstieg in die Plattformmärkte gelingt
 

Worum geht es?

Neue Geschäftsmodelle sind heute zunehmend datenbasiert und Kern der sogenannten „Platform Economy“. Digitale Plattformen ermöglichen Netzwerkeffekte, die durch die Aggregation von Daten auf technischer Ebene und die Anbindung von unterschiedlichen Kunden auf betriebswirtschaftlicher Ebene entstehen.

Dabei werden im Zeitalter von Industrie 4.0 Smart Services immer wichtiger. Die individualisierten Dienste, die aus den Betriebsdaten der Produkte generiert werden, sind dabei oft wichtiger für die Wertschöpfung als das Produkt oder die Dienstleistung selbst. Physische Produkte erhalten durch den Einsatz von Sensorik und Software sowie deren Vernetzung über das Internet ein virtuelles Abbild und generieren Daten, die nach der Sammlung, Auswertung und Interpretation die Grundlage für Smart Services darstellen.

Datenbasierte Dienste komplementieren dabei das Angebot physischer Produkte, können individuell an spezifische Erwartungen der Kunden angepasst werden und bieten darüber hinaus neuartige Möglichkeiten der Monetarisierung – beispielsweise über nachträgliche Funktionserweiterungen über den gesamten Produktlebenszyklus hinweg.
 

Wo geht die Reise hin?

Smart Services werden die gegenwärtig dominierenden Produkte und Dienstleistungen von der Stange sukzessive ablösen. Die Anbieter von Smart Services agieren künftig in digitalen Innovation Ecosystems, in denen sie mit Unternehmen und Forschungspartnern unterschiedlicher Größe, Spezialisierung und Branchenherkunft kooperieren.

Das bringt mitunter disruptive Änderungen hinsichtlich Wertschöpfungsarchitektur, Nutzenversprechen und Erlösgenerierung für alle Akteure im Wertschöpfungsnetzwerk mit sich. Die Hersteller oder Betreiber von digitalisierten Produkten liefern zunächst die Betriebs- und Umgebungsdaten oder Daten zum Nutzungsverhalten. Auf digitalen Plattformen werden diese Daten kombiniert und analysiert.

Der Anbieter kann den Smart Service nun ergänzend zum physischen Produkt individuell an die Bedürfnisse seiner Kunden anpassen – und dies zum Preis eines Massenprodukts. Dies führt schon heute dazu, dass starre Wertschöpfungsstrukturen, Unternehmens- und Branchengrenzen aufgebrochen werden.
 

Standortfaktor digitaler Mittelstand

Diese weitreichenden Veränderungen ganzer Wertschöpfungsketten fordern insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen heraus. Im Gegensatz zu großen Konzernen mangelt es häufig an dem erforderlichen Wissen sowie den entsprechenden Ressourcen.

Gerade für den Innovationsstandort Deutschland ist entscheidend, dass der „Wirtschaftsmotor“ Mittelstand mit 99% aller inländischen Unternehmen und mehr als 60% der Beschäftigten den digitalen Wandel erfolgreich bewältigt.

Dazu bedarf es technologischer, betriebswirtschaftlicher wie auch regulatorischer Voraussetzungen. Denn ein hoher Digitalisierungsgrad und Wirtschaftswachstum der KMU bedingen einander, wie eine aktuelle Studie des Instituts für Mittelstandforschung zeigt. Nur so kann die Leitanbieterrolle Deutschlands erreicht werden. Dies betrifft insbesondere Engineering- und Systemintegrationsleistungen für digitale Plattformen als zentraler Beitrag zur Festigung der technologischen Souveränität Deutschlands.

 

Neue Kooperationsmodelle

Zur Realisierung von datenbasierten Geschäftsmodellen ist eine hohe Flexibilität in der Vernetzung sowie eine übergreifende, automatisierte Kollaboration und Interaktion von verschiedenen Akteuren in sich entwickelnden Ecosystems notwendig. Die Akteure des Ökosystems lassen sich generisch auf vier unterschiedliche Ebenen verorten (siehe Abb.):

Im Zentrum hochflexibler Wertschöpfungsnetzwerke in evolvierenden digitalen Ökosystemen befinden sich die Betreiber von Software-definierten oder Serviceplattformen als technische und betriebswirtschaftliche Integrationsschicht. Dort erfolgt zunächst die Kombination und Analyse der Betriebs-, Umgebungs- oder Nutzungsdaten, die von den digitalisierten und vernetzten Produkten (Smart Products) der jeweiligen Datenlieferanten (Hersteller, die gleichzeitig auch Kunden sein können) generiert werden.

Im Anschluss werden diese Daten zu intelligenten Dienstleistungen veredelt. Der Anbieter (z. B. ein Marktplatz oder App Store) erhält schließlich über Plattformen die Möglichkeit, individualisierbare Smart Services für die Nutzer bzw. Kunden bereitzustellen.

 

Akteure im digitalen Ökosystem (acatech 2017)

Die Offenheit der digitalen Plattformen mit niedrigen Eintrittsbarrieren wird oftmals als erfolgskritisch angesehen. Dadurch ist es auch Akteuren außerhalb tradierter Unternehmens- bzw. Branchengrenzen möglich, Daten über die Plattform zur Verfügung zu stellen oder auf Grundlage der geteilten Datenbasis Dienste und Anwendungen zu entwickeln und anzubieten. So wird nicht nur der Wettbewerb über die digitale Plattformen gefördert, sondern auch das Innovationspotenzial forciert und die Möglichkeit einer schnelleren Erreichung der kritischen Masse an Nutzern der Plattform gegeben.
 

Von der Idee zur Umsetzung: eine Onboarding Factory für den Mittelstand

Obwohl die Bedeutung von digitalen Plattformen bei einem Großteil der Unternehmen des Mittelstands verstanden wird, fehlt es häufig noch an der praktischen Implementierung. Ausnahme sind hier einige große und mittelständische Plattformanbieter wie Axoom, ADAMOS, MindSphere, Asset Intelligence Network, IoT Suite oder 365farmnet.

In der Breite des Mittelstands besteht aber oftmals noch ein gewisses Misstrauen gegenüber neuen Technologien, mangelnde Zugangsmöglichkeiten zu Wissen und Talenten, aber auch fehlende Unterstützung bei der Umsetzung von datengetriebenen Geschäftsmodellen.

Als Starthilfe für den Eintritt in diese Smart Service Welt (vergleiche gleichnamiges Technologieprogramm des Bundeswirtschaftsministeriums) und zur Vermittlung der für eine erfolgreiche Partizipation in digitalen Plattformen und Ökosystemen notwendigen Fähigkeiten und Kompetenzen könnte eine sogenannte Onboarding Factory für Deutschland konzipiert und umgesetzt werden.

Die Onboarding Factory nimmt den Mittelstand auf dem Weg in die Plattformmärkte sinnbildlich „an die Hand“. Die Expertise eines Netzwerks führender Unternehmen aus den Bereichen Technologie, Beratung und IT-Services sowie Institutionen aus Wissenschaft und Politik bündeln ihr Wissen in einer Onboarding Factory, um großen, mittleren und kleinen Unternehmen bei der Digitalisierung ihrer Wertschöpfungsprozesse zu unterstützen und ihnen das gesammelte Wissen über daten- bzw. plattformbasierte Geschäftsstrategien weiterzugeben.
 
 
 
In der konkreten Umsetzung könnte eine Onboarding Factory folgendes leisten:

• Best Practices für erfolgreiche Plattformstrategien (siehe acatech Reports zur Smart Service Welt 2015, 2016, 2017) aufzeigen

• Hilfestellungen bei der Einordnung innerhalb eines hochflexiblen digitalen Ökosystems mit seinen verschiedenen Synergiepotenzialen anbieten

• Antworten zu ökonomischen (insb. Aspekte der Plattformökonomie), organisationsspezifischen (insb. Anpassung der Organisationsstruktur und Aufbau relevanter Kompetenzen), technischen (insb. Einsatz und Betrieb notwendiger Hard- und Softwarekomponenten) sowie rechtlich/regulatorischen (insb. im Kontext der Datenhoheit, des Datenschutzes und der Datensicherheit) Fragestellungen geben.
 
 
 
Darüber hinaus kann mit Design Thinking oder vergleichbaren Ansätzen eine kritische Analyse bestehender Geschäftsmodelle erfolgen und potenzielle Innovationsmöglichkeiten mit einer anschließenden Prototypenentwicklung für Smart Services erarbeitet werden.

Bei der Konzeption einer solchen Onboarding Factory ist es wichtig, strategische Anknüpfungspunkte mit bestehenden Initiativen (z. B. Mittelstand 4.0-Kompetenzzentren und Modellregionen der Intelligenten Vernetzung des BMWi) zu finden, um so Synergien zu schaffen und dem Mittelstand einen bestmöglichen Überblick zu Förder- und Einstiegsmöglichkeiten zu geben.

Plattformmärkte sind Grundlage der Wettbewerbsfähigkeit. Weltweit wird umfassend in den Aufbau von Plattformen und Ecosystems investiert, insbesondere in China, Korea, Japan und den USA: Deutschland sollte hier nicht zurückbleiben und den Einstieg in die Plattformökonomie mit Nachdruck vorantreiben.

 

 

Weitere Informationen:
acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften e.V.
Themenschwerpunkt Technologien

 

 

Autoren:

Dr. Johannes Winter

Dr. Johannes Winter ist Bereichsleiter Technologien bei acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften und leitet die Geschäftsstelle „Lernende Systeme – Die Plattform für Künstliche Intelligenz“
acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften e.V.

 

Prof. Dr. Svenja Falk

Prof. Dr. Svenja Falk ist Managing Director bei Accenture Research und Honorarprofessorin an der Justus-Liebig-Universität Gießen.
Accenture