Forschung und Entwicklung in Zeiten des IoT

Dr. Armin Schulz ist überzeugt davon, dass auch die Forschung und Entwicklung in den Unternehmen sich vor dem Hintergrund des Internets der Dinge neu aufstellen muss. Essenziell wird es aus seiner Sicht sein, in Services und Dienstleistungen ausgehend von den Bedarfen der Kunden zu denken. Die dadurch entstehenden Herausforderungen erläutert der Geschäftsführer von 3DSE Management Consultants im Gespräch mit der TREND REPORT-Redaktion.

Vor welche Herausforderungen stellt das IoT die F&E Bereiche in Unternehmen?
Das IoT basiert ja auf der Vernetzung von bisher einzelnen, getrennten Systemen. Der Wert eines Systems, also der Nutzen, den es für einen Anwender bietet, basiert zukünftig stark auf der Vernetzung mit anderen Systemen und den sich daraus ergebenden Möglichkeiten. Zudem werden neue, „systemübergreifende“ Angebote möglich für Dienstanbieter, die mehrere Systeme nutzen, aber kein eigenes System entwickeln oder anbieten. Für die F&E Bereiche bedeutet das vor allem, dass sie zukünftig stark über die Grenzen ihres eigenen Systems hinausdenken und sich fragen müssen: „In welchem Netzwerk agiert mein System bzw. muss mein System funktionieren?“ Der Betrachtungsumfang wird somit ein ganz anderer. Die Schwierigkeit dabei entsteht daraus, dass ein Großteil der anderen Systeme im Netzwerk überhaupt nicht selbst beeinflusst werden kann, aber das Zusammenspiel trotzdem beherrscht werden muss. Den Anwender interessiert es nicht, wer der „Owner“ eines Systems ist, er will nur, dass das Produkt oder der Service, den er kauft, funktioniert, unabhängig davon welche Systeme im Hintergrund zusammenwirken müssen. F&E Bereiche müssen daher neue Kompetenzen aufbauen, um das Spiel unter den neuen Spielregeln erfolgreich zu gestalten. Was sind die Use Cases des Kunden? Wie läuft die Customer Journey ab? Welche Rolle spielt mein System in dieser Customer Journey? Wie gewährleiste ich das einwandfreie Zusammenspiel meines Systems mit den anderen Systemen im IoT? Das Denken vom Kundenproblem her und in Systemverbünden wird ganz neue Bedeutung bekommen.

Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Unternehmenskultur, insbesondere in F&E-Bereichen?
Das ist eine interessante Frage. Wir haben eben über die Notwendigkeit gesprochen, zukünftig über die bisherigen Grenzen des eigenen Systems hinauszudenken. Dies macht vor allem eine Öffnung der bisher meist sehr „geschlossen“ agierenden Unternehmen notwendig. Ich muss mich stärker mit anderen auseinandersetzen: „Was passiert in meinem Systemumfeld? Mit wem kann ich interagieren?“. Unternehmen müssen eher in Kooperationen agieren, als im klassischen OEM-Lieferanten Verhältnis. Dies erfordert in den meisten Unternehmen ein starkes Umdenken. Das Kundenproblem muss stärker in den Mittelpunkt gestellt werden, als das eigene Produkt. Auf Grund der Dynamik im IoT, die auch durch das Zusammenspiel der vielen verschiedenen Player entsteht, muss in einer ganz anderen Geschwindigkeit entwickelt und Lösungen am Markt angeboten werden. Fehlschläge dürfen dabei nicht als Katastrophe angesehen werden, sondern als Chance etwas zu lernen und zu verbessern. Unternehmen sollten sich immer wieder mit „frischer DNA“ von außen anreichern, um sich weiterzuentwickeln. Die Fähigkeit dies zuzulassen und konstruktiv voranzutreiben, hängt in großen Maße von der Unternehmenskultur ab und der – wie wir es nennen – „vorherrschenden dominanten Logik“. Diese kann aber nicht „über Nacht“ verändert werden. Eine große Rolle spielt dabei die Unternehmensführung – nicht nur was sie sagt, sondern vor allem auch jeden Tag vorlebt. Wenn eine Veränderung nicht nur jeden Tag gepredigt, sondern auch authentisch danach gehandelt wird und auch die Gründe dafür überzeugend erläutert werden, dann ist die Chance groß, dass die Mannschaft folgt.

Dr. Armin Schulz sieht die zentrale Frage in der zukünftigen F&E Aufstellung darin, neue Services und Produkte vom Kunden her zu denken.

Dr. Armin Schulz sieht die zentrale Frage in der zukünftigen F&E Aufstellung darin, neue Services und Produkte vom Kunden her zu denken.

Wie müssen Unternehmen sich in der F&E aufstellen, um für die Herausforderungen vorbereitet zu sein?
Ich bin überzeugt, dass es essentiell sein wird, sich sehr viel stärker vom Kundenproblem her nach Customer Journeys und Use Cases aufzustellen, als vom Produkt bzw. System und seinen Subsystemen her. Was die Unternehmen in einigen Jahren liefern werden, sind nicht mehr die Systeme, sondern die Features, die die Kundenprobleme adressieren. Ich denke, das muss sich auch in der F&E Aufstellung niederschlagen. Dabei wird dem Design der Kundenschnittstelle und dem Thema User Experience, kurz UX, große Bedeutung zukommen. Um die Features und die UX richtig zu gestalten, sind Daten über das Kundenverhalten und die Nutzung der Features der Dreh- und Angelpunkt. Diese Daten müssen zentral zusammengeführt, intelligent ausgewertet und in der richtigen Art und Weise interpretiert werden. Auch hierfür sind die passende Aufstellung und vor allem der Aufbau der relevanten Kompetenzen notwendig. Die Interaktion mit dem Kunden muss die Form einer Co-Creation annehmen. Die Kundenschnittstelle darf nicht mehr einzig in einer Marketingeinheit beheimatet sein, sondern muss direkt und schnell sein. Die klassischen Lieferantenverhältnisse müssen sich zu partnerschaftlichen Kooperationsformen wandeln. Open Innovation im Netzwerk mit Partnern, Startups, Instituten, Lieferanten, Wettbewerbern und anderen muss zur Norm werden. Kernkompetenzen müssen überdacht werden: „Wo und wie will ich mich positionieren?“ Um „Dream-ons“ zu vermeiden muss man sich an den eigenen Stärken orientieren und diese im Kontext IoT zukunftsfähig interpretieren. Systemkompetenz für Netzwerke von Systemen muss aufgebaut werden. Die Organisation muss in Ökosystemen denken und die Fähigkeit zur Gestaltung von Ökosystemen entwickeln. Dabei darf der Fokus nicht nur auf der Hardware liegen, sondern vor allem auf den Features und Services, die auf Basis der Hardware möglich werden. Hierzu ist es auch wie schon erwähnt notwendig, sich von klassischen Geschäftsmodellen zu lösen und die Art und Weise wie zukünftig die Ertragsströme entstehen völlig neu zu denken. „Fail fast and early“ muss als Chance erkannt werden, etwas auszuprobieren, statt alles langfristig planen und durchdenken zu wollen. Damit will ich aber nicht sagen, dass die Silicon Valley Mentalität im IoT-Kotext überlegen ist. Ich bin überzeugt, dass es den richtigen Mix aus beiden Welt braucht: sozusagen Silicon Valley Mentalität gepaart mit „German Engineering“.

Wie wird die Schnittstelle zum Kunden zukünftig aussehen?
Sehr verkürzt würde ich sagen: einfach, direkt, transparent und immer verfügbar. Immer mehr neue Player besetzen durch extrem einfache, intuitive, und „sexy“ Lösungen die Kundenschnittstelle und setzen sich zwischen Kunden und alteingesessene Hersteller. Ein schönes Beispiel ist hier das Start-Up TADO. TADO hat das Kundenproblem der steigenden Energie- und Heizungskosten erkannt und verstanden: mit einer einfachen, intelligenten Thermostat-Lösung, die hilft Heizungskosten zu sparen und über eine App gesteuert wird, hat sich TADO etabliert und sich so zwischen die Heizungsanbieter und den Endkunden geschoben. Der Trend geht ganz klar zu einem kontinuierlichen Dialog mit dem Kunden, um durch die permanente, datenbasierte „Beobachtung“ seines Verhaltens besser zu verstehen, was er braucht oder zukünftig brauchen könnte sowie zu einer höherfrequenteren Lieferung von Mehrwert durch neue Features – nicht nur alle paar Jahre beim Launch eines neuen Produkts. Schlüsselfähigkeiten werden hierfür Kundenverständnis und Geschwindigkeit sein. Die Schnittstelle der Zukunft wird digital sein, weniger persönlicher, dafür aber personalisierter und individueller auf die einzelnen Bedürfnisse zugeschnitten.

Auf der 3DSE-Leitkonferenz in der BMW-Welt in München steht der Austausch auf einer hochkarätigen Ebene im Vordergrund.

Auf der 3DSE F&E Leitkonferenz in der BMW Welt in München steht der Austausch auf einer hochkarätigen Ebene im Vordergrund.

Welche kritischen Entscheidungen sind jetzt zu treffen, um handlungsfähig zu sein?
Die zentrale Frage ist aus meiner Einschätzung heraus: „Worüber will ich zukünftig Wert für meine Kunden generieren? Welche sind die Wertströme, die ich im IoT bedienen möchte?“. Ich muss Klarheit darüber bekommen, aus welchen Diensten meine Kunden im IoT zukünftig Wert ziehen werden und welche Rolle ich dabei haben möchte. Darauf aufbauend muss ich mich damit auseinandersetzen, welche Schlüsseltechnologien (z.B. Datenanalytik, künstliche Intelligenz, over-the-air-updates, Kryptographie, etc.) und Fähigkeiten (z.B. Gestaltung von Geschäftsmodellen, UX Design, agile feature Entwicklung) ich als Organisation brauche, um diese zukünftige Positionierung zu bedienen. Kann ich das alleine oder brauche ich dafür Partner? Dieser strategischen Stoßrichtung sollte man dann konsequent folgen und Dinge ausprobieren, lernen und basierend auf den Learnings die Richtung korrigieren. In gewisser Weise muss eine Art Transitionsszenario hin zu einer IoT-orientierten Organisation aufgebaut werden. Da im IoT aber vieles nicht vorhersagbar ist, muss man sich auch zwingend Optionen rechts und links vom dominanten strategischen Pfad offenhalten.

Welche Erkenntnisse können Teilnehmer Ihrer F&E Leitkonferenz in diesem Zusammenhang erwarten?
Ich glaube besonders interessant ist mit Sicherheit das Branchenspektrum, das vertreten sein wird. Dies ermöglicht einen guten Überblick, an welchen Lösungen die unterschiedlichen Firmen arbeiten und Transparenz darüber, mit welchen Ansätzen die oft ähnlichen Herausforderungen angegangen und ggf. bereits gelöst wurden. Es sind Firmen vertreten, die in ihrem Bereich als führend anzusehen sind (z.B. Bosch, BMW, Intel, Infineon, John Deere, BSH, Continental, Airbus), sodass ein Austausch mit den Besten möglich wird. Ohne zu übertreiben denke ich, dass Sie derartig wertvolle Insights und intensiven Kontakt mit gleichgesinnten Top F&E Führungskräften aus den unterschiedlichen High-Tech Industrien die alle vor sehr, sehr ähnlichen Herausforderungen stehen, in so verdichteter Form nirgendwo anders bekommen.

Weitere Informationen unter:
www.3dse.de
www.fue-leitkonferenz.de