Digital Finance – Finanzwelt im Wandel

Die FinTech-(R)Evolution setzt gestandene Bankhäuser unter Druck. Neue Technologien wie die Blockchain verdeutlichen das disruptive Potenzial.

Neun von zehn Unternehmen aus 40 Ländern stufen die Digitalisierung nach Umfragen von Simon-Kucher & Partners als relevant für ihr Geschäft ein. Das gilt gerade auch für die Finanzbranche. Die technologischen Entwicklungen seit der eine „Unmenge Kapital“ verschlingenden Fi­nanzkrise sind nicht nur vielfältig, sondern auch tiefgreifend und weisen zudem ein enormes Innovationstempo auf.Besonders disruptives Potenzial wird dabei der Blockchain-Technologie zugesprochen. Sie bildet die Grundlage der Kryptowährung Bitcoin, die ohne Oberaufseher, komplizierte Verifizierungsverfahren oder Gebühren den weltweiten Austausch von Werten ermöglicht und so nebenbei das Kerngeschäft vieler Banken unterwandert. Das entspricht ganz der zugrunde liegenden Philosophie, schließlich entstand die Währung 2008 nach der Finanzkrise, um ein bankenunabhängiges Zahlungsmittel anzubieten. Die Blockchain hält dabei fest, wer Eigentümer eines bestimmten Werts ist und das dezentral auf den Rechnern aller Beteiligten. Dadurch kennt jeder Rechner sämtliche Transaktionen und es ist unmöglich, Geld doppelt auszugeben. Stark schwankende Kurse sowie negative Schlagzeilen von bankrotten Bitcoin-Börsen schmälern jedoch das Vertrauen in die Währung. Zuletzt brach der Kurs im August stark ein, nachdem es Hackern gelungen war, an der Hongkonger Bitcoin-Börse Bitfinex 120 000 Bitcoins, also etwa 58 Millionen Euro, zu stehlen und der Handel kurzzeitig ausgesetzt wurde. „Blockchain könnte für den Finanzsektor das sein, was das Internet für die Kommunikation war“, lässt die UBS verlauten und verdeutlicht damit, dass Banken mittlerweile das Potenzial der Technologie erkannt haben. Sie stehen nun vor dem klassischen Disruptionsdilemma: Entweder man wird mit der Zeit von der Technik überflüssig gemacht oder man nutzt selbst die Technologie und kannibalisiert das eigene bisherige Geschäftsmodell. Für Letzteres hat sich mittlerweile ein Konsortium von Banken entschlossen. „Mit der Blockchain schaffen wir es, Codezeilen Wert zu geben“, sagt Alex Batlin, Leiter des UBS-Blockchain-Labors. Das Schwei­zer Geldhaus stieß im März 2015 das Projekt „Utility Settlement Coin“ (USC) an, in welches mittlerweile weitere Groß­banken, wie die Deutsche Bank oder Santander, involviert sind. Anders als der Bitcoin ist der USC keine real existierende Währung, sondern lediglich ein Abwicklungsinstrument.

Smart Contracts

Smart Contracts sind Computerprotokolle, die eine schrift­liche Fixierung von Verträgen überflüssig machen sollen. Dabei agiert jeder Knoten eines Peer-to-Peer-Netzwerks als Asset-Register und Treuhänder, der Eigentümerwechsel durchführt und automatisch überprüfbare Regeln über diese Transaktionen abbildet. Alle Trans­aktionen werden stets an alle anderen Knoten repliziert. Krypto­wäh­rungen sind Spezialfälle solcher Register mit digitalem Geld als Asset.
trendreport.de/smart-contracts

Die Idee dahinter: Transaktionen an der Börse erleichtern. Diese lassen sich zwar sekundenschnell abschließen, doch dazwischengeschaltete Clearinggesellschaften lassen oft Tage vergehen, bis Geld und Wertpapier tatsächlich den Besitzer wechseln. Die Aufgabe der Clearinghäuser, nämlich zu gewährleisten, dass beide Parteien ihren Verpflichtungen nachkommen, soll dann der USC übernehmen. Bis 2018 sollen Clearinggesellschaften so obsolet werden. So wird in diesem Kontext heute an die Weisheiten von Charles Darwin erinnert, wonach weder die stärkste noch die intelligenteste Spezies überleben wird, sondern die, welche Veränderungen am schnellsten adaptiert und nutzt. Mustafa Cavus von Sopra Steria sagt, dass künftig wohl vor allem jene Banken eine große Chance haben, weiterhin Teil der künftigen Finanzszene zu sein, die sich früh mit dem strukturellen Wandel und neuen Technologien befassen.

Robo-Advisor & kognitive Systeme

Nicht alles, was heute unter dem Begriff „FinTech“ als Innovation angepriesen wird, ist indes wirklich „brandneu“. Sogenannte kognitive – also wissensbasierte Anlagesysteme und daten­ba­sier­te Strategien – existieren z. B. in den USA bereits seit fast 70 Jahren. Die vor allem auf Algorithmen und mathematischen Formeln basierende Hedge-Fund-Strategie CTA/Managed Futures wurde als Vorläufer von Robo-Investments bereits im Jahr 1949 entwickelt. In den kommenden Jahren werden solche Systeme durch die Digitalisierung und die Möglichkeiten von „Big Data“ jedoch gigantische Fortschritte machen. Durch das sogenannte Robo-Advisory / Robo-Investment hat sich eine stärkere Demokratisierung des Kapitalanlagegeschäfts entwickelt. Vorbei scheinen jene Zeiten zu sein, in denen technologisch gut aufgestellte Großinvestoren wie z. B. Hedge-Funds ihren durch Einsatz moderner Software und Computerisierung erlangten Wissensvorsprung für sich selbst nutzen konnten. Der Digitalisierungsprozess in der Finanzbranche laufe letztlich auch auf eine Demokratisierung des Anlagegeschäfts hinaus, sagt Salome Preiswerk, Gründerin von Whitebox. Das Ziel dieser Entwicklung liege darin, dem sogenannten „kleineren Mann“ Zugang zu solchen Anlageformen zu bieten, die ihm bislang verwehrt geblieben sind. Und all das sei zu einem in der Regel günstigeren Preis möglich.
Doch die Entwicklung von Robo-Advisory und kognitiven Systemen steht erst am Anfang. Die Fachleute von Sopra Steria gehen davon aus, dass sich der „synthetische Berater“ durch Nutzung von künstlicher Intelligenz zu einem Superberater entwickeln wird, der – proaktiv gesteuert – letztlich auch individuelle Finanzdienstleistungen für den Anwender erarbeiten wird.

Mobile Banking

FinTech macht sich als dynamischer Prozess also überall in der Bankenwelt breit – und zwar auf allen Ebenen, Plattformen und Anwendungsebenen. Nicht nur der sogenannte Multibanken-Ansatz (Verwaltung mehrerer Bank­konten auf einer Plattform) wird zukünftig neue Dynamik erfahren, auch die Nutzung mobiler digitaler Telekommunikationssysteme wird den Alltag der Menschen – also der Bankkunden – bestimmen. Banken erarbeiten immer neue Applikationen. So zum Beispiel auch die Volksbank, die mit dem „Geldboten“ ihren Kunden die Möglichkeit bietet will, über mobile Systeme völlig sicher Geld zu senden und anzufordern. Darüber hinaus haben Banken bereits heute die Möglichkeit, ihre Dienstleistungen in einer „Mobil-Banking-App“ zu implementieren. Das gilt zum Beispiel für das durch Werbespots bekannte Abfotografieren von Rechnungen und die dann in der Folge automatisch erfolgende Überweisung des Rechnungsbetrags. „Der Kunde benutzt ganz einfach sein Smartphone als einen Hochleistungs­scanner“, beschreibt Mer­ten Slominsky vom Software-Unternehmen Kofax das Verfahren. Damit kann er eine Rechnung, einen Kreditantrag oder ein nachzureichendes Dokument für die Baufinanzierung fotografieren. „Unsere Maschine wandelt das Ganze in maschinenlesbare Daten um und liefert ein kleines schnelles Datenpaket an die Bank, wo es entsprechend automatisiert in die Prozesse eingebunden werden kann.“

Digitalisierung der Banken

Das Schlagwort „FinTech“ und die damit einhergehende Digitalisierung in der Finanzbranche stellen traditionelle Banken vor Herausforderungen. Dabei geht es nicht nur um die in den Medien breit getretene, weil von einigen Fachleuten geforderte Abschaffung von Bargeld, sondern vor allem auch um die Modernisierung und stärkere Technologisierung der gesamten Dienstleistungskette in der Finanzindustrie.

InsurTech

Neben Blockchain vielleicht das Schlagwort des Jahres in der FinTech-Branche. Neue disruptive Geschäftsmodelle im Versicherungswesen set­zen die tradierten Unternehmen unter Druck. Dabei verzichten die Start-ups auf Geschäftsstellen und können mit digitalisierten Prozessen meist effizienter arbeiten. Laut einer McKinsey-Studie könnte in den nächsten zehn Jahren jeder vierte Arbeitsplatz in der westeuropäischen Versicherungsbranche verloren gehen.
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Zusätzlich erschwert wird der Prozess durch verschärfte Regulierungen der Banken und neue BIZ-Eigenkapitalvorschriften – in der Bankenlandschaft wird derzeit in diesem Zusammenhang von einer „Compliance-Lawine“ gesprochen. So machen sich FinTechs oft Neuerungen zu Nutze, die ursprünglich von Banken angestoßen und mitentwickelt wurden, dort aber wegen der angesprochenen Probleme ins Stocken gerieten. Allerdings könnten in der öffentlichen Diskussion jene das Nachsehen haben, die heute bereits in einen Abgesang auf die traditionellen Banken einstimmen. Banken sind zum einen stark eingebunden in das Wirtschaftsgefüge und verfügen zum anderen trotz der aktuellen Probleme noch immer über eine erhebliche Kapitalkraft.

Die Experten der Fiducia & GAD AG zählen weitere Pluspunkte der traditionellen Banken auf. Zu deren größten Vorteilen gehören zweifellos deren lang­jährige – von Vertrauen geprägten – Kundenbeziehungen. Hinzu kommen die Existenz der Filialnetze und eine Portfoliobreite, die im Gegensatz zu FinTechs eine ganzheitliche Betreuung mit einem umfassenden Allfinanz-Angebot ermöglicht. Fachleute betonen indes gleichzeitig, dass sich niemand auf diesen Vorteilen ausruhen dürfe, weil der digitale Lebensstil tiefgreifende Veränderungen mit sich bringe. In den Führungsetagen der Banken ist allerhöchste Aufmerksamkeit gefragt. Es gilt für traditionelle Banken, mit Blick auf den fortschreitenden technologischen Wandel und die Digitalisierung der Weltwirtschaft, die Effektivität der IT-Systeme zu erhöhen und neue innovative Geschäftsideen anzustoßen.

Neue Geschäftsmodelle

Die riesigen Aufgaben der Banken werden allerdings dadurch erschwert, dass die Branche gleichzeitig die Kosten senken muss. Von Bedeutung ist, dass Banken und FinTech-Unternehmen heute bereits immer enger zusammenarbeiten. Einer der Vorreiter und Initiatoren dabei ist die SWK Bank, die im Rahmen ihres sogenannten „White-Label-Bankings“ ihre Systeme und modularen Prozesse solchen Unternehmen zur Verfügung stellt, die rasch ins Kredit- und Einlagengeschäft vorstoßen wollen. „Die SWK-Plattform ist eine Art digitaler Baukasten, der auch innovative Dienstleistungen, wie Video-Legitimation, ermöglicht“, erklärt SWK-Geschäftsführer Ulf Meyer. Die Bank von morgen spielt sich für Kunden immer weniger in den großen Empfangshallen oder den schicken kunstbestückten Büros und auch immer weniger in den Filialen ab, sondern dank des Siegeszugs der Digitalisierung viel stärker in der Cloud. Und das kontinuierlich zunehmend auf den mobilen Endgeräten.

Wer heute mit den Leitern des Bereichs Human Resources bei Banken Kontakt aufnimmt, wird erfahren, dass man auch hier längst die „Revolution im Banking“ mit Blick auf die personellen Anforderungen erkannt hat. Beste Chancen haben heute Bewerber, die auf der einen Seite geistige Fitness mit Blick auf die technologische Revolution mitbringen und die andererseits aber auch das ABC des Bankings und der Finanzwelt beherrschen.

von Udo Rettberg
u.rettberg@trendreport.de

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