Der Traum vom weltweit einheitlichen Urheberrecht*

von Dr. iur Till Kreutzer

Das Urheberrecht regelt die Nutzung geistiger Erzeugnisse. Es hat damit von vorn- herein einen internationalen Bezug. Nutzungen können schließlich sowohl im In- als auch im Ausland vorgenommen werden. Steht etwa ein Text im Internet, kann er auf der ganzen Welt gelesen werden. Grenzen werden hierbei allenfalls durch Umstände gesetzt, die weder mit Politik noch mit Geografie zu tun haben. Diese liegen vor allem in der Sprache – mitunter aber auch im Recht.

Die Ausgangslage: Schutzlücken durch territoriale Begrenzung der Urheberrechtsordnungen

So weit wie ein Internetangebot reicht das Urheberrecht nicht. Längst nicht: Es basiert nämlich auf dem Territorialitätsprinzip, das besagt, dass jeder Staat in seinen Grenzen eigene Urheberrechte festlegen darf und dass jedes einzelne Urheberrecht an den Grenzen des Staates endet, der es gewährt. Hierdurch kommt es zu einer Art räumlicher Zersplitterung. Es gibt nicht „das Urheberrecht“ für „das Werk“. Vielmehr bestehen zum Beispiel an einem Musiktitel deutsche, österreichische, schweizerische, US-amerikanische – und so weiter – Urheberrechte. Zur Veranschaulichung kann man sich die rechtliche Situation wie ein Mosaik vorstellen: Die einzelnen Steinchen stehen für je ein nationales Urheberrecht. Alle Steinchen zusammen ergeben das international (nicht unbedingt weltweit) geltende Urheberrecht.

Ein wirklich weltweit wirkender Urheberrechtsschutz kann vor diesem Hintergrund nur erreicht werden, wenn alle Länder ihn – und zwar auch für Ausländer – gewähren. Zwingend ist das zunächst nicht. Da das Territorialitätsprinzip jedem Land die Entscheidung darüber überlässt, ob und wem es Urheberrechte zuerkennt, können Schutzlücken entstehen. Diese können – vor allem im Bereich der Internetnutzung – erhebliche Folgen haben. Will zum Beispiel ein amerikanischer Filmproduzent gegen einen Ring von Raubkopierern in Burkina Faso vorgehen, kann es sein, dass er daran scheitert, dass Burkina Faso ihm schlicht keine Urheberrechte gewährt. „Copyright-Havens“ nennt man solche schutzfreien Gebiete, in die sich Internetanbieter, die sich in ihrem Heimatland auf rechtlich unsicherem Terrain bewegen, gerne und problemlos zurückziehen.

Schutzfreie Zonen werden jedoch immer seltener. Faktisch ist es so, dass die weltpolitische Lage es heute kaum noch einem Land erlaubt, keine Urheberrechte zu gewähren. Will ein Land sich in die internationale Staatengemeinschaft integrieren, vor allem den Wirtschaftsgemeinschaften anschließen, wie etwa der World Trade Organization (WTO), kommt es nicht umhin, ein Urheberrecht zu schaffen. Übrigens gewährt auch Burkina Faso Urheberrechte.

Das Mittel: Internationale Urheberrechtsabkommen

Um einen möglichst weltweiten Schutz des Urheberrechts zu erreichen, wurden schon im ausgehenden 19. Jahrhundert die ersten internationalen Verträge zum Schutz des Urheberrechts begründet. Im Vordergrund stehen bei diesen Abkommen zwei Zielsetzungen: Zum einen soll ein möglichst weltweiter Schutz der Urheberrechte etabliert und damit die negativen Wirkungen des Territorialitätsprinzips für Urheber und Rechtsinhaber gemindert werden. Zum anderen soll ein gewisses Grundniveau für die Ausgestaltung der innerstaatlichen Urheberrechtsgesetze vorgeschrieben werden. Als völkerrechtliche Verträge haben die internationalen Urheberrechtsabkommen verbindliche Wirkung für die Mitgliedsstaaten. Gibt ein solches Abkommen zum Beispiel vor, dass das Vervielfältigungsrecht geschützt werden muss, sind die Länder verpflichtet, dies zu gewähren.

Der lange Zeit bedeutendste internationale Vertrag zum Urheberrecht ist die (revidierte) Berner Übereinkunft (RBÜ). Diese wurde erstmals im Jahr 1886 verabschiedet und seither mehrmals geändert (zuletzt im Jahr 1979). Der RBÜ sind mittlerweile 157 Staaten beigetreten, man kann also von einer nahezu weltweit geltenden Konvention sprechen (aktuell – Stand November 2004 – existieren 194 unabhängige Staaten). Die RBÜ ist damit so was wie die Mutter aller Urheberrechtskonventionen. Die meisten später geschaffenen internationalen Konventionen verweisen in ihren Bestimmungen auf die ergänzende Geltung der RBÜ (siehe zum Beispiel Artikel 9 Absatz 1 des Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights, so genanntes „TRIPS-Abkommen“).

Das viel jüngere TRIPS-Abkommen hat in Bezug auf die internationale Anerkennung des Urheberrechts sehr schnell zur RBÜ aufgeschlossen. Die Konvention, die im Jahr 1995 in Kraft getreten ist, ist an die World Trade Organisation (WTO) gekoppelt. Jeder Staat, der Mitglied der WTO werden will, muss auch TRIPS ratifizieren. Dieser Umstand erklärt die praktische Bedeutung der Konvention. Nach nicht einmal zehn Jahren seines Bestehens hatte TRIPS im Jahr 2004 bereits 145 Mitglieder (die Europäische Union als Staatenbund inbegriffen). Anders als die RBÜ – die vorrangig dem Schutz des geistigen Eigentums dient – ist TRIPS ein reines Handelsabkommen, das neben urheberrechtlichen auch Aspekte anderer Immaterialgüterrechte (unter anderem Patent- und Markenrechte) regelt. Das Abkommen dient in erster Linie dazu, Verzerrungen und Behinderungen des internationalen Handels zu verringern.

Ein weiterer Unterschied zur RBÜ liegt darin, dass TRIPS auch Regelungen über verwandte Schutzrechte, also die Rechte der ausübenden Künstler, der Tonträgerhersteller und der Sendeunternehmen, enthält. Detaillierte urheberrechtliche Schrankenbestimmungen sucht man im TRIPS-Abkommen dagegen vergebens. Hierin findet sich nur der so genannte Drei-Stufen-Test für Beschränkungen und Ausnahmen. Dieser lautet:

Die Mitglieder begrenzen Beschränkungen und Ausnahmen von ausschließlichen Rechten auf bestimmte Sonderfälle, die weder die normale Auswertung des Werkes beeinträchtigen noch die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers unzumutbar verletzen.

Hiermit werden nur die Grenzen gezogen, innerhalb derer jedes Land seine eigenen Urheberrechtsschranken bestimmen darf. Der auf diesem Weg zu erreichende Harmonisierungsgrad ist folglich gering.

Im Jahr 1996 kamen zu TRIPS und der RBÜ (und anderen Abkommen, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll) zwei weitere internationale Urheberrechtsverträge hinzu, die als WIPO-Verträge bezeichnet werden. Der WIPO Copyright Treaty (WCT) regelt Fragen des Urheberrechts und der WIPO Performances and Phonograms Treaty (WPPT) die der verwandten Schutzrechte von ausübenden Künstlern und Tonträgerherstellern. Die WIPO-Verträge wurden verabschiedet, um die in die Jahre gekommene RBÜ fortzuentwickeln. Sie verweisen bezüglich der allgemeinen Regeln auf den Text der Berner Übereinkunft und fügen diesen zusätzliche Rechte hinzu. Durch die WIPO-Verträge wurden vor allem die mittlerweile hoch umstrittenen Vorschriften für den urheberrechtlichen Schutz technischer Maßnahmen in „das internationale Urheberrecht“ eingeführt. Da auch die Europäische Union die WIPO-Verträge ratifiziert hat, musste sie die Vorgaben hieraus umsetzen. Hierzu diente die InfoSoc-Richtlinie 2001/29/EG aus dem Jahr 2001. Die deutsche Umsetzung (sowohl der WIPO-Verträge als auch der Richtlinie) erfolgte durch den „1. Korb“, das so genannte „Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft“.

Die Lösung: Einheitliches Urheberrecht durch multilaterale Urheberrechtsabkommen

Auf dem Weg zu einer international einheitlichen Urheberrechtsordnung helfen diese Urheberrechtsabkommen nur bedingt weiter. Die hierin enthaltenen ordnungspolitischen Mittel sind nicht geeignet – und auch nicht dazu bestimmt – eine vollständig harmonisierte Weltordnung des Urheberrechts zu begründen. Die Urheberrechtskonventionen enthalten stets nur einen knappen Katalog an Mindestrechten.

Detaillierte und umfassende Vorgaben für die nationalen Gesetze sucht man im Regelfall vergebens. Schrankenbestimmungen zum Beispiel sind im internationalen Urheberrecht nur vereinzelt geregelt. Die internationalen Urheberrechtsabkommen dienen im engeren Sinne dem Schutz von Ausländern, um die negativen Auswirkungen des Territorialitätsprinzips zu vermeiden. Abweichend von der hieraus erwachsenden Grundregel, dass jeder Staat nicht nur entscheiden kann, ob, sondern auch wem er Urheberrechte zugesteht, verordnen die Konventionen das Prinzip der Inländerbehandlung. Demnach muss ein Mitgliedsstaat Urhebern aus anderen Mitgliedsländern die gleichen Rechte gewähren, die er auch den eigenen Staatsangehörigen zugesteht.

Neben der Gleichbehandlung versucht man durch die Vereinbarung von Urheberrechtsabkommen zu erreichen, dass möglichst viele Staaten zumindest einen Minimalschutz gewähren. Durch die Mindestrechte werden die Mitglieder verpflichtet, die wesentlichen Rahmenbedingungen für die Sicherung der Interessen vor allem der Rechteinhaber zu schaffen. Konkrete oder weitergehende Auflagen ergeben sich aus den internationalen Verträgen hingegen nicht. Dies lässt weiten Spielraum für die innerstaatlichen Gesetzgeber, der sehr unterschiedlich genutzt wird.

Es wäre also ein Irrtum, von der Existenz der internationalen Urheberrechtsverträge auf die Existenz einer einheitlichen internationalen Urheberrechtsordnung zu schließen. Das Gegenteil ist der Fall: Die Welt hat viele Urheberrechtsgesetze und die weichen zum Teil stark voneinander ab. Ob die Zukunft weitere Angleichungen erwarten lässt, bleibt abzuwarten. Internationale Urheberrechtsharmonisierung ist ein überaus ambitioniertes Vorhaben. Immerhin müssten hierfür Copyright- und kontinentaleuropäische Urheberrechtssysteme vereinheitlicht und die Interessen der Industrieländer mit denen der Entwicklungsländer unter einen Hut gebracht werden. Die mit dem Internet einhergehenden Schwierigkeiten bieten zwar Anlass genug, Bemühungen in diese Richtungen zu entfalten. Wie bald und ob diese Bemühungen überhaupt Früchte tragen, lässt sich im Augenblick jedoch nicht voraussehen. Zu gegensätzlich sind die Interessen und zu komplex der Regelungsbedarf.

Von Dr. Till Kreutzer
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