Auf dem Weg zum digitalen Bauchgefühl

Wie Kundenbeziehungen sich mit Software steuern und gestalten lassen, erläutert Axel Kock, Geschäftsführer bei Pegasystems im Interview.

 

Herr Kock, in den letzten Jahren haben sich die Beziehungen von Unternehmen zu Kunden im Consumer-Bereich verändert. Wo sehen Sie die wesentliche Entwicklung?

Wir erleben in der Tat seit einigen Jahren starke Veränderungen in den Kundenbeziehungen. Ganz formell ist schon mal die Anzahl der Kontaktpunkte zwischen Unternehmen und Kunden gestiegen:
Früher gab es nur die Möglichkeiten, ein Ladengeschäft aufzusuchen oder beim Unternehmen anzurufen.
Heute können Kunden unter einer Vielzahl von so genannten Touch-Points wählen: fast schon seinerseits klassisch per E-Mail, aber eben auch per Chat, per Facebook, vielleicht sogar per Twitter.

Das sind nun aber nicht nur technische Unterschiede. Es betrifft auch die Erwartungen und Ansprüche der Kunden: Im Chat wartet der Kunde zum Beispiel nicht auf eine freie Leitung, und bei Facebook gibt es keine Öffnungs- oder Bürozeiten. Die großen Online-Player, und hier wird nicht zufällig regelmäßig Amazon genannt, haben Maßstäbe für Kundenbeziehungen gesetzt, an denen sich nicht nur andere Online-Shops orientieren müssen, sondern beispielsweise auch Versicherungen und Banken.

Wenn ein Online-Shop seine Waren Overnight zustellt, wer ist dann noch bereit, auf eine Versicherungspolice zwei Wochen zu warten? Und wer will sich beim Callcenter noch mit einer Warteschleife begnügen? „Do it like Amazon“ ist hier die Devise, hinter die die Kunden nicht mehr zurückgehen werden.

Welche Rolle spielen dabei mobile Systeme?

Viele Kundenbeziehungen werden sich in den nächsten Jahren in die Mobile Welt verlagern und für zahlreiche Kunden wird dies auch der einzige Kommunikationskanal werden; wer ihn nicht beruflich braucht, wird meist keinen PC mehr haben. Unternehmen, die es dann immer noch nicht geschafft haben, Kundenprozesse beispielsweise sauber und klar in einer App abzubilden, werden … na ja, nicht dabei sein.

Wie lassen sich diese neuen Anforderungen technisch abdecken?

Unabdingbare Voraussetzung ist, dass die Unternehmen ihre Datenbasis in Ordnung bringen. Sie müssen über aktuelle und konsistente Daten über die Kunden verfügen. Die Kunden agieren in einer Vielzahl von Kanälen und sie erwarten natürlich, dass das Unternehmen, mit dem sie kommunizieren das ebenfalls tut, und zwar so, dass es keine Brüche zischen den Kanälen gibt.
Ein Kundenberater muss wissen, was ein Kunde beispielsweise im Chat mit dem Unternehmen vereinbart hat. Es muss dabei möglich sein, Prozesse hier anzustoßen und dort abzuschließen.

Auf dieser Basis lassen sich dann weitergehende Prozesse für das Management des „Customer Engagement“ aufsetzen, also für die Art und Weise, wie Unternehmen mit
ihren Kunden interagieren.

An welche Prozesse denken Sie dabei konkret?

Wir nutzen die Daten beispielsweise, um durch entsprechende Verknüpfungen einen relevanten Kontext zu ermitteln wie etwa:

Was interessiert den Kunden?
Was interessiert ihn definitiv nicht?
In welcher beruflichen oder familiären Situation befindet er sich?
Was plant er?

Das alles wusste früher auch ein versierter Kundenberater, aber es ist nicht einfach, so etwas technisch nachzubilden.

Ein Stückweit gelingt das mit regelbasierten Abläufen; wir kennen das aus Shops mit Empfehlungen wie „Kunden, die sich dafür interessierten, kauften auch …“.
Hier werden in einem riesigen Datenpool Verknüpfungen hergestellt.
Das Ergebnis kann dann als Entscheidungshilfe entweder für automatische Abläufe verwendet werden, etwa in Online-Bestell- oder Buchungssystemen oder auch als Hilfsmittel für Mitarbeiter im Kundenkontakt.
Sie erhalten dann zum Beispiel von einem Next-Best-Action-System spezifische, auf den jeweiligen Kunden zugeschnittene Vorschläge, die sie mit ihm diskutieren können.

Welche Rolle spielt dabei künstliche Intelligenz?

Künstliche Intelligenz, KI, ist in solchen Lösungen der nächste Schritt: Wo die Algorithmen regelbasierter Abläufe nicht mehr ausreichen, arbeiten wir mit KI weiter. Die Grenzen sind hier natürlich fließend: sobald wir die Algorithmen um selbstlernende Funktionen ergänzen, können wir auch von KI sprechen, wobei es sich bei den Selbstlern-Funktionen auch wieder um Algorithmen handelt, allerdings um besonders komplexe.
Die Systeme lernen aus vielen kleinen Vorgängen und fügen sie kontextbezogen zu neuen Entscheidungen zusammen. KI ist kein Hexenwerk, sondern auch nichts anderes als höhere Programmierkunst … insofern vielleicht ja doch ein wenig Hexenwerk.

Lässt sich durch KI das „Bauchgefühl“ eines Kundenberaters tatsächlich ersetzen?

Man muss dabei berücksichtigen, dass wir beim Einsatz von echter KI im Kundenbeziehungsmanagement noch am Anfang stehen, viele Projekte befinden sich noch im Pilotstadium.

Wir verfügen daher bei diesem Thema noch nicht über viele Erfahrungswerte. Ich denke aber auch, es kommt gar nicht so sehr darauf an, das berühmte Bauchgefühl zu ersetzen. Wir wollen die Mitarbeiter ja auch nicht ersetzen, sondern ihnen neue Werkzeuge an die Hand geben.

Um beim Bauchgefühl zu bleiben: in den meisten Interaktionen mit Kunden wird es nicht gebraucht, da geht es nämlich um irgendwelche Bestätigungen, um Formulare, Termine oder Auskünfte. Das ist Routine und kann von einem Algorithmus sehr gut erledigt werden, und zwar rund um die Uhr und ohne Warteschleife.

Wenn allerdings ein Kunde sich zum Beispiel in so einem Prozess nach seiner Kündigungsfrist erkundigt, muss der Algorithmus intelligent genug sein, um „hellhörig“ zu werden, denn das ist ein Signal, dass der Kunde den Absprung plant.
Ob der Algorithmus jetzt selbst tätig wird und dem Kunden beispielsweise in einem Chat einen alternativenTarif anbietet, das will ich an dieser Stelle offen lassen.
Genauso gut könnte sich ein Mitarbeiter einschalten und mit dem wechselwilligen Kunden ein Gespräch führen.

Aber auch in diesem Fall werden die für diesen konkreten Vorgang relevanten Informationen benötigt: die Kundenhistorie, eventuelle Reklamationen des Kunden, vielleicht auch seine aktuelle finanzielle Situation oder ähnliches.

Unterscheiden sich Systeme, die autonom agieren, und solche, die von Mitarbeitern genutzt werden?

Die Algorithmen im Hintergrund sind dieselben. Aber ein Chatbot muss beispielsweise in einem Next-Best-Action-System zu einer eindeutigen Aussage kommen: Er muss dem Kunden eine bestimmten Tarif empfehlen. Einem Mitarbeiter würde das System hier vielleicht zwei oder drei Varianten anbieten, so dass er eine finale Entscheidung selbst treffen kann. Ein wichtiger Punkt, denn Mitarbeiter sollten nicht dazu degradiert werden, den Kunden einfach vorzulesen, was eine Engine ausgespuckt hat. Das demotiviert den Mitarbeiter und schließlich merkt so etwas ja auch der Kunde.

In welchen Branchen kommen solche Lösungen bevorzugt zum Einsatz?

Den Einzelhandel, insbesondere wenn er stark auf Online ausgerichtet ist, und die Finanzdienstleister habe ich schon genannt.

Ein anderer Bereich, in dem wir Lösungen für Next Best Action und Decisioning sehr erfolgreich einsetzen, sind die großen Telekommunikationsanbieter.

Hier besteht in der Regel kein persönlicher Kundenkontakt, die Produkte sind standardisiert, die Kunden sind oft wechselwillig und die Unternehmen setzen viel daran, ihre Kunden zu behalten. Das funktioniert in dieser Konstellation am besten durch Service, also durch Verbesserung der Kundenzufriedenheit. Dafür eignen sich diese Lösungen ausgezeichnet, und die Anwender sind beim Einsatz entsprechender Software derzeit auch ein Stückweit voraus.

Grundsätzlich aber sprechen wir alle Branchen an; ob Energieversorger, Automobilhersteller oder Hersteller von Hausgeräten, Kundendienst wird immer wichtiger, sowohl für B-to-C als auch für B-to-B, und in der Always-Online-Welt lässt sich ein qualitativ hochwertiger Service nur durch eine passende Software-Lösung realisieren.

 

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Kurzvita Axel Kock

 

Axel Kock, Geschäftsführer bei Pegasystems

 

Axel Kock (51) ist seit Frühjahr 2014 Geschäftsführer für die Region DACH der Pegasystems GmbH in München, einem der führenden Anbieter von strategischen Software-Lösungen für Vertrieb, Marketing, Service und Operations.
Außerdem ist er Mitglied des International Leadership Teams bei Pegasystems. Der Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt auf der Steuerung des Vertriebs und auf der Förderung des Wachstums des Unternehmens in Deutschland, Österreich und in der Schweiz.
Er wechselte 2012 von IBM Deutschland zu Pegasystems und war hier zunächst als Sales Director tätig.

 

 

 

 

 

Weiterführende Informationen: Pegasystems

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