Erfolgsfaktoren für Smart Cities

Frau Prof. h.c. Dr. Chirine Etezadzadeh, Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes Smart City e.V und Institutsleitung des SmartCity.institute erläutert im Gespräch mit der TREND-REPORT-Redaktion, die Erfolgsfaktoren für Smart Cities, und wie eine wünschenswerte urbane Transformation gelingen kann.

 

Frau Prof. Etezadzadeh, die Rolle der Städte in Bezug auf die Emissionsgesetzgebung wächst. Welche Herausforderungen müssen Großstädte und Ballungsgebiete in Zukunft meistern?

Es ist eine Errungenschaft des letzten Jahrhunderts, dass wir einen mobilen Lebensstil pflegen. Gepaart mit westlich geprägten Konsummustern führt das insbesondere im urbanen Raum zu den Emissionswerten, die uns aktuell zu schaffen machen. Städte sind nun aufgefordert, nicht nur lokal Emissionen zu reduzieren, sondern die Stadt hinsichtlich ihrer Emissionen ganzheitlich sauberer zu machen. Das dabei entstehende Spannungsfeld zwischen der Aufrechterhaltung der Lebensqualität und dem erforderlich werdenden Verzicht stellt eine zentrale Herausforderung dar. Lösungsansätze werden aus dem Bereich der Digitalisierung kommen.

Welche neuen Produkte und/oder IT-Lösungen müssen für Smart Cities entwickelt werden?

Die Digitalisierung wird in alle Lebensbereiche Einzug halten, was den gesamten urbanen Kontext determinieren wird. Smart Cities werden insbesondere ihre urbanen Infrastrukturen modernisieren müssen. Hierbei wird es vor allem darum gehen, resiliente Systeme zu schaffen. Durch die Digitalisierung realisieren wir zwar viele positive Effekte, wie eine Steigerung der Effizienz und Nachhaltigkeit, die Systeme sollten aber gleichzeitig so gestaltet werden, dass sie potenziellen Bedrohungen standhalten können und entsprechende, auch mechanische Redundanzen aufweisen, um uns nicht vulnerabler zu machen als nötig.

Welche Priorität nehmen in Zukunft für Großstädte IoT-/Cloud-Plattformen ein?

IT-Plattformen können sich unabhängig von der Größe einer Stadt zu einer Art kommunales Gehirn entwickeln. Zumindest die Infrastrukturen können über solche Plattformen in einer Weise zusammengeführt werden, die dazu beiträgt, die Funktionsfähigkeit der Stadt aufrechtzuerhalten. Je größer die Städte werden, desto komplexer wird die Aufgabe ihrer Steuerung. Die Digitalisierung und die Vernetzung der Infrastrukturen werden uns dazu befähigen, diese Aufgaben zu bewältigen. Darüber hinaus ist es vorstellbar, dass viele weitere Prozesse über solche Cloud-Lösungen abgebildet werden, wodurch neue Geschäftsmodelle entstehen werden, die die Stadt auch wirtschaftlich am Laufen halten.

Was bedeutet in diesem Kontext „Intelligente Mobilität“ für Smart Cities?

Im Mobilitätssektor werden sich nicht nur die Antriebsverfahren, sondern auch die Nutzungsweise der Verkehrsträger sowie das Mobilitätsverhalten insgesamt verändern. Dies erfordert u.a. Innovationen im Bereich des motorisierten Individualverkehrs, des öffentlichen Verkehrs sowie in der urbanen Logistik. Hierzu haben wir im SmartCity.institute eine umfassende Studie erstellt, die diese Veränderungen analysiert und herausarbeitet, welche Handlungsbedarfe daraus resultieren. Meines Erachtens wird der Durchbruch hinsichtlich der Aufrechterhaltung der Mobilität im urbanen Raum durch autonome Fahrzeuge erreicht werden. Die zuvor angesprochenen Plattformen werden die hierfür erforderlichen Grundlagen schaffen.

Welche neuen Geschäftsmodelle wären denkbar?

Aus dem Zusammenspiel innovativer Mobilitätsformen und deren digitaler Vernetzung resultieren zahllose Möglichkeiten, Geschäftsmodelle zu etablieren. Einfachste Beispiele sind Apps, die Mobilitätsmärkte schaffen, indem sie Anbieter und Nachfrager miteinander vernetzen, wie beispielsweise Ridesharing-Dienste, Carsharing-Dienste oder Travelservices. Komplexer wird es, wenn verschiedene Verkehrsträger und Dienste derart miteinander vernetzt werden sollen, dass verkehrsträgerübergreifend nahtlose Reiseerfahrungen entstehen. Wie auch immer; die Wertschöpfungspotenziale sind mannigfaltig. Einige Geschäftsmodelle, die auf der Hand liegen, werden aber bereits durch das Aufkommen der Blockchaintechnologie bedroht. Also Augen auf bei der Gründung …

Resilienz in Smart Cities ist nicht nur eine notwendige Bedingung für Nachhaltigkeit, welches Potenzial birgt dieses Arbeitsgebiet, für deutsche Lösungsanbieter?

Deutschland hat nach wie vor in zahlreichen Branchen die Technologieführerschaft inne. Leider gilt das bislang nicht für den Bereich der Digitalisierung. Wenn wir uns aber des Themas jetzt konzentriert annehmen und Produkte schaffen, die nicht nur nachhaltig sind, sondern auch deutschen Anforderungen hinsichtlich des Datenschutzes, der Informationssicherheit, der Datenintegrität und Resilienz gerecht werden, ist die Zukunft unserer Unternehmen gesichert. Ingenieure werden deutsche Lösungen schaffen können, die ihresgleichen suchen. Allerdings müssen wir dafür Sorge tragen, dass die Ausbildung nachwachsender Generationen eine entsprechende Ausrichtung erfährt.

Hat oder braucht Deutschland einen Masterplan für die Stadt der Zukunft?

Den haben wir nicht, nein. Einen generellen Masterplan, den wir allen Städten überstülpen, wird es hoffentlich auch nie geben. Jede Stadt ist individuell zu betrachten und zu gestalten, denn jede Stadt hat andere Voraussetzungen, Probleme und Möglichkeiten. Dennoch gibt es Gemeinsamkeiten: Gemeinsame Herausforderungen, die wir kollektiv angehen können und für die wir erprobte, sichere, beständige, dezentrale und in beide Richtungen skalierbare Lösungen schaffen können. Lösungen, die Interoperabilität ermöglichen und unerwünschten Machtkonzentrationen vorbeugen.

Um solche Aktivitäten zu stützen, sollte das Thema Smart City weiter an politischer Relevanz gewinnen. Wir alle sind aufgefordert, unsere Zukunft gemeinsam zu gestalten, und sollten dies nicht einigen wenigen überlassen. Um bezüglich der Dinge, die in diesem Zusammenhang passieren, Transparenz zu schaffen und aufzuklären, haben wir die Internet-Plattform SmartCityNews.global ins Leben gerufen. Hier kann sich jeder kostenlos darüber informieren, was weltweit im urbanen Raum geschieht, von eigenen Projekten und Erfahrungen berichten, sich einbringen und mitgestalten. Es wäre schön, wenn die Politik den Mehrwert eines solchen Tools erkennen würde.

Was bedeutet für Sie der Begriff Smart City und gibt es dafür ein einheitliches Verständnis?

Eine allgemeingültige Definition hat sich bislang noch nicht durchgesetzt. Für mich ist eine Smart City eine Stadt, die nicht nur auf ihren Selbsterhalt, sondern auch auf den Erhalt ihrer natürlichen Umwelt ausgerichtet ist. Sie stellt die Lebensqualität aller Bewohner, den Erhalt des Klimas und der lebendigen Umwelt in den Mittelpunkt der Stadtentwicklung.

Eine Smart City strebt nach der Festigung ihrer eigenen Identität, nach lebendiger Vielfalt, sozialer Kohäsion und umfassender Resilienz. Sie hat eine integrierte Stadtverwaltung, die effektiv und nach den Kriterien der Urban Governance arbeitet. Sie verfügt über geeignete Infrastrukturen und nutzt interoperable Techniken, die Vernetzung von Systemen sowie die Digitalisierung, um ihre Ziele zu erreichen, ohne sich technischen Innovationen jemals auszuliefern. So in etwa definieren wir eine Smart City

Was raten Sie Verantwortlichen für Stadtplanung und Bürgermeistern?

Beginnen Sie dort, wo die Probleme liegen, und schaffen Sie kundenzentrierte Lösungen, die einen erlebbaren Mehrwert bieten.

Welche Ziele verfolgt der Bundesverband Smart City e. V.?

Der Bundesverband versucht, genau solche Lösungen zu identifizieren und zu promoten, und soll zur Plattform der Smart-City-Experten in Deutschland entwickelt werden. Wir wollen die öffentliche Diskussion zum Thema Stadtentwicklung fördern und begleiten und der deutsche Ansprechpartner sein, wenn es darum geht, Know-how-Träger im facettenreichen Themenfeld Smart City zu finden. Daher laden wir alle Smart-City-Experten und Interessierten herzlich dazu ein, Mitglied zu werden und sich aktiv in den Verband einzubringen. Im Rahmen der Blisscity – der ersten deutschen Smart City Convention, werden wir den Verband für den schweizerischen und österreichischen Markt öffnen

Welche Inhalte werden auf der Konferenz „Blisscity“ vermittelt?

Die Blisscity wird die zentrale Smart-City-Veranstaltung Deutschlands. Als erste Konferenz wird sie die Teilnehmer durch zehn zentrale Infrastruktursektoren führen und aufzeigen, wo Deutschland und der deutschsprachige Raum im Bereich der smarten Stadtentwicklung heute stehen. Führende Unternehmen und Verbände werden die Sektoren vorstellen und erläutern. Die Stadtverbände aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, werden die kommunale Sicht auf die Dinge darlegen und Städte, die als Smart-City-Pioniere in Erscheinung treten, werden ihre Erfahrungen teilen. Das SmartCity.institute und die Messe Frankfurt sorgen dafür, dass es nicht nur eine inhaltlich wertvolle, sondern auch eine sehr schöne Veranstaltung wird. Wir hoffen, auch aufgrund unserer Preisgestaltung, auf eine rege Beteiligung vonseiten der Kommunen, politischer Entscheidungsträger, der Industrie sowie von allen anderen urbanen Akteursgruppen.


Vielen Dank für das Gespräch!

 

„Blisscity“ – The Smart City Convention

SmartCity.institute

SmartCityNews.global

 

 

 

Prof. h.c. Dr. Chirine Etezadzadeh

Prof. h.c. Dr. Chirine Etezadzadeh (Volkswirtin) leitet das SmartCity.institute, SmartCityNews.global (the global smart city knowledge base) und ist Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes Smart City (BVSC) e.V. Während ihres Werdegangs arbeitete sie für einen deutschen Premium-Automobilhersteller, einen führenden amerikanischen Automobil-Zulieferer sowie als Unternehmensberaterin in der Energiewirtschaft. Seit dem Sommersemester 2014 hält Prof. Etezadzadeh Vorlesungen zum Thema „Produktentwicklung für Smart Cities“ and der Technischen Hochschule Köln. 2017 wurde Sie Honorary Professor der Beijing Information Science & Technology University (BISTU). Ihr Buch „Smart City – Stadt der Zukunft?“ ist im Herbst 2015 in deutscher und englischer Sprache im Springer Verlag erschienen.

 

 

 

Aufmacherbild / Quelle / Lizenz

Pixabay / CC0 Creative Commons